BERLIN. Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat den politischen Umgang mit muslimischem und linkem Antisemitismus scharf kritisiert. Deutschland habe „seit Jahrzehnten eingeübte Abwehrreflexe gegenüber rechts – und das ist gut“, sagte er dem Tagesspiegel. Aber: „Was lange vernachlässigt wurde, ist die Beschäftigung mit Antisemitismus etwa aus dem arabischen Raum, wo es völlig normal sein kann, mit antisemitischen Vorstellungen aufzuwachsen.“
Einige Bürger hätten außerdem „Probleme, über linken Antisemitismus in Deutschland zu sprechen. Egal, wo Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit herrühren: Wir brauchen mehr Entschlossenheit beim Schutz der Menschenwürde“.

Gleichzeitig äußerte der 85jährige Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen. Zwar sei die Reaktion auf das Massaker vom 7.Oktober gerechtfertigt, „aber die Art der Kriegsführung überschreitet das Maß dessen, was akzeptiert werden kann“, betonte Gauck. Zwar würde er gerne israelische Freunde besuchen, aber insbesondere die aktuelle Regierung des jüdischen Staates sorge dafür, daß er froh sei, „nicht hinfahren zu müssen“.
Gauck plädiert für modernen Konservatismus
Die Unterstellung, Israel verübe einen Genozid an der palästinensischen Bevölkerung, teilt der ehemalige Bundespräsident dennoch nicht. Die geplante Vernichtung einer Gruppe aufgrund ihrer Ethnie, Nationalität oder Konfession könne er – anders als beim Holocaust – nicht erkennen. Dennoch müßten „Kriegsverbrechen, die Verletzung rechtlicher Normen überhaupt oder unverhältnismäßige militärische Gewalt und Zerstörung“ auch als solche benannt und kritisiert werden.
Außerdem plädierte Gauck für einen modernen Konservatismus. Etwa ein Drittel der Deutschen hätte „strukturkonservative Prägungen und Bedürfnisse“, die es von der Politik zu respektieren gelte. Andernfalls „wandern diese Wähler nach Rechtsaußen ab“. (st)





