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Nach der Entscheidung in Münster: Staatsrechtler Murswiek zum AfD-Urteil: „Ich warne davor, mit dem Feuer zu spielen“

Nach der Entscheidung in Münster: Staatsrechtler Murswiek zum AfD-Urteil: „Ich warne davor, mit dem Feuer zu spielen“

Nach der Entscheidung in Münster: Staatsrechtler Murswiek zum AfD-Urteil: „Ich warne davor, mit dem Feuer zu spielen“

Auf dem Foto befindet sich Rechtsprofessor Dietrich Murswiek, der jüngst in einem Interview das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster gegen die AfD kommentierte. (Themenbild)
Auf dem Foto befindet sich Rechtsprofessor Dietrich Murswiek, der jüngst in einem Interview das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster gegen die AfD kommentierte. (Themenbild)
Rechtsprofessor Dietrich Murswiek zum Streit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz: „Die entscheidende Frage ist, wie viele Anhaltspunkte und wie gewichtige Anhaltspunkte brauchen wir.“ Foto: picture alliance / dpa | Uli Deck
Nach der Entscheidung in Münster
 

Staatsrechtler Murswiek zum AfD-Urteil: „Ich warne davor, mit dem Feuer zu spielen“

Droht nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster ein baldiges AfD-Verbot? Daran glaubt der emeritierte Staatsrechtler Dietrich Murswiek nicht – und teilt gegen den Verfassungsschutz aus. Die JF dokumentiert sein Interview im „Kontrafunk“.
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Herr Murswiek, hat Sie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG) in irgendeiner Form überrascht?

Dietrich Murswiek:

Es war nicht wirklich überraschend. Das hängt damit zusammen, daß die Voraussetzungen dafür, daß der Verfassungsschutz eine Organisation als Verdachtsfall beobachten darf, sehr gering sind. Ich muß das mal etwas genauer erklären.

Es gibt drei Stufen, die der Verfassungsschutz für die Einstufung von Organisationen verwendet, die er möglicherweise oder auch erwiesen für verfassungsfeindlich hält. Nämlich die Einstufung als Verdachtsfall, die Einstufung als Fall erwiesener Verfassungsfeindlichkeit und dann noch die Situation, daß angenommen wird, die beobachtete Organisation erfülle die Voraussetzungen für ein Organisationsverbot bzw. Parteiverbot. Auf allen diesen drei Stufen sind die rechtlichen Anforderungen unterschiedlich hoch.

Bei der Einstufung als Verdachtsfall reicht es schon aus, daß tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht vorliegen, daß diese Organisation oder in diesem Fall diese Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Das muß also überhaupt nicht nachgewiesen sein. Und diese Anhaltspunkte entnimmt der Verfassungsschutz hauptsächlich verschiedenen Äußerungen von Mitgliedern und Funktionären der betreffenden Partei. Es muß sich um Aussagen handeln, aus denen sich eine verfassungsfeindliche Zielsetzung ergibt. Wenn ein einzelner Politiker so etwas sagt, ist das ein Anhaltspunkt dafür, daß die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

Man muß dann ein qualitatives und quantitatives Gesamturteil bilden, um zu sehen: Haben wir hier genügend Anhaltspunkte? Die entscheidende Frage ist, wie viele Anhaltspunkte und wie gewichtige Anhaltspunkte wir brauchen. Das ist ein sehr konturenloses Kriterium. Und der Verfassungsschutz und auch das Gericht haben einen sehr breiten Einschätzungsspielraum.

Wenn man die bisherige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte mit Bezug zur AfD kennt, dann war es insofern nicht sehr überraschend, daß das OVG zu dem Ergebnis kam, daß hier Anhaltspunkte vorliegen. Ob es überzeugend begründet wird, daß diese Anhaltspunkte ausreichen, oder ob die Anhaltspunkte, die das OVG für gegeben hält, auch wirklich als solche gewertet werden können, das läßt sich zurzeit leider nicht beurteilen, denn das Urteil ist noch nicht veröffentlicht. Das OVG hat nur eine knappe Presseerklärung herausgegeben, in der nur allgemeine Thesen stehen. Da müssen wir abwarten, bis das Urteil veröffentlicht ist.

„Von der Aussicht auf Erfolg eines Verbotsverfahrens sagt das Urteil überhaupt nichts“

Sie haben diese Pressemitteilung des OVG angeführt. Da habe ich aufgehorcht, als ich las, das Gericht sei nicht an die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichtes gebunden gewesen, zu fordern, daß etwaige Quellen des Verfassungsschutzes innerhalb der Parteistrukturen abzuschalten seien. Und nachdem, was Sie mir jetzt auch noch oder uns geschildert haben, klingt es für mich so, daß das also auch heißen kann, im Zweifel basieren die Vorwürfe des Verfassungsschutzes gegen die AfD, die zum aktuellen Urteil geführt haben, auf Aktivitäten des Verfassungsschutzes, nämlich von den inoffiziellen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes innerhalb der Struktur. Das ist doch ein Dilemma.

Murswiek: Das ist ein Dilemma, das läßt sich auch nicht ausschließen. Und ich frage mich auch, ob diese These, das OVG sei nicht an das Bundesverfassungsgericht gebunden, sich durchhalten läßt. Die AfD sollte das einmal im Revisionsverfahren testen, denn für mich leuchtet das gar nicht ein, daß da so ein himmelweiter Unterschied besteht zwischen dem Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht.

Auch beim Verwaltungsgericht kommt es ja darauf an, die Wahrheit zu ermitteln. Und um zu ermitteln, ob hinreichende Anhaltspunkte von AfD-Mitgliedern produziert worden sind, muß ich doch wissen, ob das wirklich Mitglieder sind, die aus sich heraus als Menschen, als Mitglieder diese Äußerung gemacht haben oder ob es vielleicht V-Leute des Verfassungsschutzes sind.

Ich habe gelesen, daß die Berichterstattung der meisten Medien über das Urteil eigentlich eine Mißdeutung des Urteils sei. Das habe ich ehrlich gesagt nicht ganz verstanden. Können Sie das eventuell aufklären?

Murswiek: Mir ist aufgefallen, daß einige Politiker aus verschiedenen sonstigen Parteien öffentlich geäußert haben, nach diesem Urteil müsse man jetzt konsequent an ein Verbotsverfahren herangehen. Diese Auffassung ist in der Tat ein totales Mißverständnis des Urteils. Denn für die Frage, ob ein Verbotsverfahren Aussicht auf Erfolg hat, ergibt sich aus diesem Urteil überhaupt nichts.

Denn das Verbotsverfahren hat ganz andere Voraussetzungen. Es kann nur dann Erfolg haben, wenn der Nachweis geführt wird, daß die Partei tatsächlich als Ganzes und nicht nur in einzelnen Teilen verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, und zusätzlich kommt dazu, daß beim Verbotsverfahren auch diese verfassungsfeindlichen Ziele von der Gesamtpartei in aggressiv-kämpferischer Weise vertreten werden müssen. Darüber sagt dieses Urteil überhaupt nichts.

Ich sehe auch überhaupt nicht im Entferntesten, daß diese Voraussetzungen erfüllt sein könnten. Also kann man eigentlich diejenigen, die einen Verbotsantrag stellen könnten, nur davor warnen, hier mit dem Feuer zu spielen. Der Schuß könnte sehr nach hinten losgehen, wenn sich dann vor dem Bundesverfassungsgericht herausstellt, daß der Verbotsantrag unbegründet ist.

„Daß es ein ethnisch-kulturell verstandenes deutsches Volk gibt, ist eine Tatsache“

Der Verdacht steht im Raum, daß unbedingt ein Urteil vor den Wahlen zum EU-Parlament gefällt werden sollte. Und es gibt ja dann auch noch am selben Tag Kommunalwahlen in acht Bundesländern. Das geht etwas unter in der Berichterstattung. Vor allem aber vor den drei Landtagswahlen im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, damit der AfD maximal geschadet werden kann. Ist das nur eine Verschwörungstheorie?

Murswiek: Ich bin immer sehr vorsichtig, einem Gericht zu unterstellen, es verfolge sachfremde Zwecke, sofern sich solche nicht direkt aufdrängen. Ich würde jetzt nicht von mir aus irgendwelche Vermutungen in dieser Hinsicht anstellen.

Ich möchte Sie aber auf einen Aspekt der Presseerklärung des Oberverwaltungsgerichts hinweisen. Das Hauptargument des Bundesverfassungsschutzes, das von Haldenwang und seinem Amt permanent wiederholt worden ist, lautete, die AfD verwende einen verfassungswidrigen Volksbegriff. Wer davon ausgehe, daß es neben dem Staatsvolk auch ein Volk gebe, das nach Kriterien wie Sprache, Kultur oder Abstammung definiert sei, liefere damit einen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Diese Ansicht ist rechtlich evident falsch und auch in sich unstimmig.

Der ethnisch-kulturelle Volksbegriff ist ein deskriptiver Begriff. Als solcher kann er gar nicht verfassungsfeindlich sein. Daß es ein ethnisch-kulturell verstandenes deutsches Volk gibt, ist eine Tatsache. Es gibt aber keine verfassungsfeindlichen Tatsachen. Wenn der Verfassungsschutz die bisher von ihm vertretene Auffassung durchsetzen könnte, würde das ja bedeuten, daß er praktisch ein Verbot durchsetzt, die Wahrheit, die empirische Wahrheit auszusprechen. Das wäre extrem grundgesetzwidrig und ein ganz schlimmer Verstoß gegen die Meinungsfreiheit.

Und hier hat das OVG Münster nun Klarheit geschaffen und ausdrücklich festgestellt, daß die deskriptive Verwendung eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffs nicht verfassungswidrig sei. Aber das ist nicht alles. Das Gericht sagt, es sei allerdings möglich, daß dieser deskriptive Volksbegriff verknüpft wird mit einer politischen Zielsetzung, die die fundamentale Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen in Frage stellt.

Also, wenn von einer Partei gesagt wird, die Angehörigen des ethnisch-kulturellen Volkes müßten bessere Rechte haben als die sonstigen Staatsangehörigen, dann ist das laut dem OVG verfassungsfeindlich. Diese Auffassung entspricht auch der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Insofern steht sie eigentlich außer Streit.

„Ich habe diskriminierende Aussagen von führenden AfD-Politikern meiner Erinnerung nach nie gehört“

Auch die AfD hat selbst eingeräumt, daß es so ist. Aber die AfD sagt, sie selbst knüpfe an die Verwendung des ethnischen Volksbegriffs überhaupt keine rechtlichen Konsequenzen. Und vor allen Dingen wolle sie keinen deutschen Staatsangehörigen, auch mit Migrationshintergrund, in irgendeiner Weise diskriminieren oder gar von den staatsbürgerlichen Rechten ausschließen.

Was interessant sein wird, und insofern kann man jetzt gespannt sein auf das Urteil, ist die Frage, wie das Oberverwaltungsgericht Münster nun die These begründet, die es ja aufstellt, daß die AfD nun tatsächlich in erheblichen Teilen eine solche verfassungsfeindliche Verknüpfung des ethnisch-kulturellen Volksbegriffs mit verfassungsfeindlicher Diskriminierung von ethnisch Nichtdeutschen vornimmt.

Ich habe Aussagen, aus denen sich eine solche Diskriminierung ergibt, von führenden AfD-Politikern meiner Erinnerung nach nie gehört. Es gibt sicherlich ganz vereinzelte Aussagen von untergeordneten Parteimitgliedern, irgendwelche Spinner gibt es in jeder Partei, und da müßte dann, wenn das der Fall ist, die AfD auch sehen, daß sie sie los wird.

Aber es würde mich sehr überraschen, wenn wir dann in einigen Wochen, wenn das Urteil veröffentlicht wird, zur Kenntnis nehmen müßten, daß tatsächlich solche Verknüpfungen des ethnischen Volksbegriffs mit Diskriminierung von migrantischen deutschen Staatsangehörigen nachgewiesen werden.

Die andere Alternative ist, daß das Urteil, wenn es dann zu lesen sein wird, gar nicht tatsächlich eine Verknüpfung in dem genannten Sinne vornimmt, sondern daß es das macht, was der Verfassungsschutz die ganze Zeit macht, nämlich daß es die Verwendung des ethnischen Volksbegriffs verknüpft mit Unterstellungen von politischen Zielen, die man einzelnen Mitgliedern macht. Diese Ziele sind dann gar nicht nachgewiesen, sondern der Verfassungsschutz sagt, bestimmte Äußerungen müßten in diesem Sinne verstanden werden. Wenn das geschieht, dann haben wir natürlich ein Desaster auf der Beweisführungsebene.

>> Das Interview ist zuerst am 15. Mai 2024 im Internetradio „Kontrafunk“ veröffentlicht worden.

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Prof. Dr. Dietrich Murswiek ist emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Er ist Autor des 2020 erschienenen Buches „Verfassungsschutz und Demokratie“.

Rechtsprofessor Dietrich Murswiek zum Streit zwischen der AfD und dem Verfassungsschutz: „Die entscheidende Frage ist, wie viele Anhaltspunkte und wie gewichtige Anhaltspunkte brauchen wir.“ Foto: picture alliance / dpa | Uli Deck
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