NEUBRANDENBURG. Rund einen Monat nach dem Einholen der Regenbogenfahne in Neubrandenburg hat der Stadtrat seine Entscheidung wieder zurückgenommen. „Die Stadtvertretung bekennt sich zur Regenbogenflagge als einem internationalen Symbol für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit“, heißt es in einem Beschluß, den der Stadtrat am Mittwoch mit 24 „Ja“-Stimmen, drei „Nein“-Stimmen und sechs Enthaltungen annahm.
Die AfD hatte zuvor aus Protest gegen die Abstimmung den Saal verlassen. „Zu der Regenbogenfahne sagen wir gar nichts mehr“, begründete Fraktionschef Peter Fink den Schritt der JUNGEN FREIHEIT gegenüber. „Das ist uns nicht mal eine Abstimmung wert.“ Deshalb hätten er und seine Kollegen auch geschlossen den Saal verlassen. „Die Einhaltung des Grundgesetzes ist uns wichtig – dazu gehören auch Vielfalt und Toleranz. Aber wir stellen uns gegen diese Symbolpolitik.“ Was zähle sei Sachpolitik, keine Fahnen, so Fink.
Bürgervereinigung meldet Zweifel an
Zweifel an der Angemessenheit von Fahnen als Zeichen für Toleranz äußerten indes auch andere Ratsfrauen und -Herren. Dem Nordkurier zufolge warnte beispielsweise Sabine Balschat vom Fraktionszusammenschluß BSW/Bürger für Neubrandenburg, daß ihr viele Bürger geschrieben hätten: „Schwarz-Rot-Gold ist bunt genug.“ Es sei gefährlich, den Flaggenbeschluß von vor einem Monat einfach wieder abzuwickeln, weil dies zu einer weiteren Spaltung der Stadtgesellschaft führe. Ihre Kollegen vom BSW stimmten trotzdem geschlossen für die Vorlage.
Jede Form von Ausgrenzung und Diskriminierung sei zu verurteilen, mahnten die Ratsherren in ihrem fraktionsübergreifenden Antrag. Die Stadtregierung sei nun dazu aufgerufen, bis zum 21. Mai 2025 „Maßnahmen zur Förderung einer angemessenen und dauerhaften Sichtbarkeit von Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt in der Stadtgesellschaft“ zur Abstimmung vorzulegen.
Oberbürgermeister Witt zeigt sich unversöhnlich
Anfang kommendes Jahr wird der derzeitige Bürgermeister der Stadt in Mecklenburg-Vorpommern, Silvio Witt, vorzeitig aus dem Amt scheiden. Nach dem Anfang Oktober erfolgten Beschluß der Stadtverordnetenversammlung, die bunte Flagge auf dem Bahnhofsvorplatz abzuhängen, erklärte der Unternehmer und Kabarettist seinen Rücktritt – er werde seinen Posten Ende Mai räumen. Witt erneuerte in der Sitzung am Mittwoch seine Vorwürfe gegen das Stadtparlament. Der Flaggenstreit habe gezeigt, wie schlecht es um die demokratische Kultur der Stadt mit den vier mittelalterlichen Toren bereits bestellt sei.
In dem Antrag des Ratsherren Großmüller – der in der Vergangenheit mehrfach durch Kampagnen gegen Witt aufgefallen war – wurde als Begründung für das Flaggenverbot angeführt: „Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger in Neubrandenburg sieht das Hissen der Regenbogenflagge an öffentlichen Gebäuden als unangemessen an.“ Öffentliche Gebäude wie der Bahnhof der Stadt sollten „politische Neutralität“ wahren und keine „kontroversen Symbole oder Signale“ aussenden.
Im Nachgang der Stadtratssitzung kam es in Neubrandenburg zu Demonstrationen und Mahnwachen für das Wiederaufhängen der Flagge, an der sich teilweise über 1.000 Menschen beteiligten. Auch Bürgermeister Witt nahm an einigen der Kundgebungen teil.
Kundgebung vor Ratsversammlung fordert Rückkehr des Regenbogens
Auch am Mittwoch gab es vor dem ehemaligen Haus der Kultur und Bildung, in dem die Stadtverordneten dieses Mal tagten, eine Demonstration. Etwa 50 Teilnehmer hatten sich laut dem Nordkurier auf Betreiben der Initiative „MV bleibt bunt“ zusammengefunden, um die zur Sitzung eilenden Ratsherren auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen.
Bei dieser Gelegenheit überreichte das Bündnis für Vielfalt dem Stadtpräsidenten Thomas Gesswein (CDU) eine Petition zur Rückabwicklung des Flaggenverbots. „Von der Regierung und den Politikern hoffe ich auf anhaltende Unterstützung, damit sich alle, unabhängig von ihrer Herkunft und Religion, sicher und wertgeschätzt fühlen“, betonte einer der Redner vor der Stadtbibliothek. „Vielfalt, Weltoffenheit, Toleranz Freiheit, und Selbstbestimmung, ist grundsätzlich unvereinbar mit Tim Großmüllers sogenannten Werten“, echauffierte sich ein anderer über den Initiator des Flaggenverbots in der Stadt.
Antrag für Gender-Verbot in Neubrandenburg scheitert
Die auf den Antrag „Bekenntnis für Weltoffenheit, Toleranz und Vielfalt“ folgende Vorlage „Genderverbot in Neubrandenburg“, eingebracht von Großmüller, scheiterte unterdessen. Die Fraktionen „CDUplus“, „SPD/Grüne“, „BSW/BfN“ und fraktionslose Linke stimmten mit ihrer Mehrheit dagegen, AfD, „Projekt NB“ und Großmüller selbst dafür. In dem von dem fraktionsfreien Fitneßstudiobetreiber gezeichneten Papier hieß es: „Gendersprache unter Verwendung des Gendersterns oder anderer geschlechtergerechten Sprachzeichen darf nicht verwendet werden.“
In einer Wortmeldung betonte er dem Nordkurier zufolge: „Unsere deutsche Sprache ist klar und deutlich. Wir brauchen so eine Verunstaltung nicht.“ Bundesländer wie Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Hessen und Schleswig-Holstein würden bereits ähnliche Wege beschreiten. (fw)