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Schule in Ribnitz-Damgarten: Doch unverhältnismäßig: Wende im Fall Loretta

Schule in Ribnitz-Damgarten: Doch unverhältnismäßig: Wende im Fall Loretta

Schule in Ribnitz-Damgarten: Doch unverhältnismäßig: Wende im Fall Loretta

Loretta mit ihren Eltern. Diese verlangen nun vor Gericht Gerechtigkeit für ihre Tochter.
Loretta mit ihren Eltern. Diese verlangen nun vor Gericht Gerechtigkeit für ihre Tochter.
Loretta (m.) mit ihren Eltern Foto: privat
Schule in Ribnitz-Damgarten
 

Doch unverhältnismäßig: Wende im Fall Loretta

Ein Gymnasialdirektor witterte staatsschutzrelevante Tendenzen bei einer Schülerin. Polizeieinsatz. Sondersitzungen im Landtag. Minister behaupteten, alles sei nach Recht und Gesetz gegangen. Nun kommt raus: Die Behörden sind vollkommen übers Ziel hinausgeschossen.
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Der Satz besteht nur aus 13 Wörtern. Fast unscheinbar kommt er daher. Darüber hinaus gähnend langweilig in seiner Diktion. Uncharmant, einfallslos, Behördendeutsch eben. Wie er da so angepappt, ganz unten auf Seite Zwei der Antwort der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns steht, erweckt er den Eindruck, als wollte er überlesen werden. Denn bei genauerem Hinsehen wird klar: Diese Worte bergen Dynamit.

„Mit Bezug auf den Sachstand am 27.02.2024 ist eine Meldung per Meldebogen angezeigt.“ So lautet die Antwort der Landesregierung auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Enrico Schult von der AfD-Fraktion, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt. Endlich, nach drei langen Monaten, steht fest: Im Fall Loretta haben die Behörden völlig überzogen reagiert. Das Meldeverhalten des Schuldirektors und der Polizeieinsatz, bei dem Beamte die damals 16jährige Gymnasiastin abführten, war niemals durch auch nur irgendeine Verordnung gedeckt.

Der Fall sorgte deutschlandweit für Aufsehen

Rückblick, 27. Februar 2024. „Wir hatten gerade Chemieunterricht, Säuren und Basen“, schildert Loretta damals die Geschehnisse gegenüber der JF. Loretta ist Schülerin des Richard-Wossidlo-Gymnasiums in Ribnitz-Damgarten. „Da sehen wir durchs Fenster, wie ein Polizeiwagen vorfährt.“ Drei Beamte steigen aus und betreten die Schule. Kurz darauf klopft es an der Tür. „Herr Zimmermann trat herein“, erinnerte sich Loretta gegenüber dieser Zeitung. Herr Zimmermann ist der Direktor des Gymnasiums. „Die Tür wurde dabei von ihm so weit geöffnet, daß der Rest der Klasse deutlich wahrnehmen konnte, daß dort drei Beamte stehen. Alle dachten wir, was ist jetzt los? Und dann fiel mein Name – da schwante mir sofort, worum es ging.“

Loretta hatte in sozialen Netzwerken AfD-Posts geteilt, auch Werbung mit blauen Schlümpfen. Sie geht davon aus, daß deshalb die Beamten gekommen seien. Loretta  steht auf und geht aus dem Klassenraum. Die Polizisten nehmen sie auf dem Schulflur in Empfang. „Ein Polizist vor, einer hinter mir, einer seitlich und auf der anderen Seite halbschräg Herr Zimmermann“, schilderte sie gegenüber dieser Zeitung im vergangenen März die Szene. Anschließend wird das Mädchen durch die Beamten und den Direktor durch das Schulgebäude zum Lehrerzimmer eskortiert.

Eine „Art Gefährderansprache“

Auf dem Weg dorthin muß die Gruppe durch das Atrium der Schule, wo mindestens zwei höhere Klassen sitzen, schildert Loretta diese Minuten. „Sämtliche Stimmen verstummten und alle haben mich angestarrt – das war wirklich sehr, sehr unangenehm“, sagt sie. „Gott sei Dank erreichten wir endlich das Lehrerzimmer. Aber leider waren dort schließlich noch Herrn Zimmermanns Sekretär, unsere Hausmeister und ein Lehrer, was mir wieder sehr peinlich war, denn was würden sie denken, wenn ich so hereingeführt werde?“

Die JF fragte im März bei der zuständigen Polizeidienststelle nach den genauen Gründen für den Einsatz. „Gegen 09.45 Uhr informierte der Schulleiter die Polizei über einen möglicherweise strafrechtlichen Sachverhalt“, erklärte Marcel Opitz, der Pressesprecher der zuständigen Polizeiinspektion Stralsund, der JF den Ablauf des Geschehens. „Demnach lägen Informationen vor, wonach eine 17jährige Schülerin mutmaßlich verfassungsfeindliche Inhalte in sozialen Netzwerken verbreitet haben könnte. Es wurde ein Funkwagen zur Schule entsandt, um diesen Sachverhalt zu prüfen.“

Kein strafrechtlich relevanter Inhalt

Bevor die Beamten zum Chemieraum gingen, hatten sie die Posts geprüft, doch „ein Anfangsverdacht einer Straftat konnte mithin nicht festgestellt werden“, sagt damals schon Pressesprecher Opitz. Anstatt wieder abzurücken, muß Loretta den Spießrutenlauf auf sich nehmen. Diese Zeitung fragte damals die Polizei nach der Rechtsgrundlage für das Vorgehen und das anschließende Gespräch im Lehrerzimmer. „Nach der Feststellung, daß nach vorliegenden Informationen kein strafrechtlicher Sachverhalt vorzuliegen scheint, wurde mit der Schülerin eine Art „Gefährderansprache“, hier ein normenverdeutlichendes Gespräch gemäß Paragraph 13 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes in Mecklenburg-Vorpommern geführt.“ In dem Gespräch, so die Polizei, wurden Loretta zwei Straftatbestände aufgezeigt, und zwar die Paragraphen 86a und 130 Strafgesetzbuch.

Lorettas Mutter schildert gegenüber der JF das Telefonat, das sie mit dem Schulleiter führte, nachdem sie von ihrer Tochter informiert worden war. „Ich sagte, ‘Herr Zimmermann, wenn Sie meinen, daß mit meiner Tochter etwas nicht stimmt, reden Sie erst mit mir!’ Der Direktor antwortete, daß er das nicht dürfe, er habe die Auflage, sofort die Polizei zu informieren.“

Meldebogen reicht eigentlich aus

Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg sah das ähnlich. Sie ließ „in einer Mitteilung ihres Hauses erklären, Schulleitungen in Mecklenburg-Vorpommern seien gehalten, die Polizei einzuschalten, wenn bei Besitz, Erstellung und/oder Verbreitung von Textnachrichten, Fotos oder Videos ein strafrechtlicher Hintergrund nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden könne“, berichtete am 18. März die Zeitung die Welt.

Der Direktor wie auch die Ministerin bezogen sich auf ein Rundschreiben des Ministeriums, das am 22. Februar 2024 an alle Schulen im Land versendet worden war. Eine Anleitung, wie mit Bombendrohungen, Amokandrohungen, Waffen- und Drogenvorkommnissen und Mißbrauch digitaler Medien an Schulen umzugehen sei. Allerdings steht dort auch drin: „Bei meldepflichtigen Vorfällen ohne Brisanz oder vermuteter Öffentlichkeitswirkung reicht eine Anzeige mittels Vordruck der Meldebögen A und B innerhalb von 24 Stunden.“

Scharfe Kritik von der AfD

Und genau darauf hob der Landtagsabgeordnete Enrico Schult in seiner Kleinen Anfrage ab und fragte: „War dieses Kriterium auf den Fall Ribnitz-Damgarten anwendbar?“ Die Antwort des Ministeriums waren die oben zitierten Worte. „Mit Bezug auf den Sachstand am 27.02.2024 ist eine Meldung per Meldebogen angezeigt.“

„Ganz offenbar war der Polizeieinsatz am Ribnitz-Damgartener Wossidlo-Gymnasium Ende Februar unangemessen und stand sogar den internen Regelungen des Bildungsministeriums entgegen“, sagt Schult. Eine einfache Meldung per Meldebogen hätte völlig ausgereicht und wäre ganz im Sinne des geltenden Notfallplanes gewesen. „Insofern sind die Behauptungen von Bildungsministerin Oldenburg im Bildungsausschuß und im NDR, der Schulleiter hätte ‘vollkommen richtig’ gehandelt, also tatsachenwidrig.“

Loretta (m.) mit ihren Eltern Foto: privat
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