BERLIN. Der scheidende Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, hat vor einem programmatischen Ausschluß von Türken in Deutschland gewarnt. „‘Kauft nicht beim Türken’ würde ein signifikanter Teil der Bevölkerung schon umsetzen wollen, auch als Programm“, sagte er der Berliner Zeitung. „Die jüngsten Ausschreitungen gegen Muslime und als Muslime gelesene Menschen und Einrichtungen in England sind leider ein erschreckendes Beispiel.“
Weiter mahnte Mazyek, der 14 Jahre den Vorsitz innehatte, daß ein Konflikt zwischen der deutschen Mehrheitsbevölkerung und Muslimen in Deutschland drohe. „Die Brüche sind da, und die Angriffe werden stärker.“ Mit Blick auf die Vergangenheit nannte er den Umgang mit den Juden im Dritten Reich als Beispiel. „Hätte das Hitler-Regime direkt 1933 damit begonnen, hätte es Aufstände und Widerstand gegeben. Es war ein allmählicher, sehr gefährlicher Prozeß.“
Mazyek: Politik wird sich an Muslimen orientieren
Besonders der Krieg im Gazastreifen befeuere die Bildung einer muslimischen Identität auch unter zuvor säkulären Migranten der zweiten und dritten Generation. „Wir erleben (…) das völlige Hinwegsehen, quasi eine programmatische Entsolidarisierung, gegenüber fast 50.000 toten Palästinensern in Gaza.“ Im Vergleich zum Krieg gegen die Ukraine offenbare dies eine „Doppelmoral“. Auch die Markierung als Fremde befeure die Identitätsbildung. „Eine neue, längst deutsche Generation von Muslimen sagt: Jetzt erst recht“, erklärte Mazyek.
Kritik äußerte Mazyek auch an Muslimen in Deutschland. Ihnen sei es nicht gelungen, „den notwendigen Emanzipationsprozeß gegenüber der ehemaligen Heimat abzuschließen“. Dafür müsse jedoch auch die deutsche Politik tätig werden.
Bezogen auf den demokratischen Prozeß merkte der 55jährige an, „wenn Sie Einwanderer nach der richtigen Migrationspolitik fragen, bekommen Sie teils ähnliche Antworten wie im AfD-Jargon“. Mit Blick auf künftige Wahlen prognostizierte er: „Es wird in den nächsten Jahren insbesondere in der Kommunalpolitik und bei Landtagswahlen Parteien geben, die sich verstärkt entlang der Bedürfnisse muslimischer Wähler orientieren.“ (sv)