BERLIN. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen, bei denen die AfD deutlich hinzugewann, als „bitter“ bezeichnet. Die Parteien seiner Regierungskoalition wurden hingegen abgestraft. Nun forderte der SPD-Politiker alle Parteien auf, Regierungen ohne „Rechtsextremisten“ zu bilden.
Am Sontag hatte die AfD ihren Stimmenanteil ausbauen können. In Sachsen liegt sie mit 30,6 Prozent der Stimmen knapp hinter der CDU (31,9 Prozent). Deutlich stärkste Kraft wurde die AfD in Thüringen, wo sie 32,8 Prozent der Wählerstimmen auf sich einte. Die Parteien der Ampelkoalition verloren dagegen. In Sachsen kommen SPD und Grüne auf 12,4 Prozent während die FDP in dem Freistaat unter die Kategorie „Sonstige“ fällt. In Thüringen erreichen die drei Parteien 10,4 Prozent.
„Die Ergebnisse für die AfD in Sachsen und Thüringen sind besorgniserregend“, sagte Scholz der Nachrichtenagentur Reuters. „Daran kann und darf sich unser Land nicht gewöhnen. Die AfD schadet Deutschland. Sie schwächt die Wirtschaft, spaltet die Gesellschaft und ruiniert den Ruf unseres Landes.“
SPD-Politiker suchen nach Antworten
Unterdessen begann SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert mit Schuldzuweisungen. So blockiere die FDP die Rentenreform, wodurch „viele Versprechen noch nicht eingelöst“ worden seien, sagte er gegenüber Phoenix. „Da spreche ich, glaube ich, für viele in der SPD, wenn ich sage: Der Geduldsfaden wird dünner.“
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken hingegen zeigte sich optimistisch, die gemeinsame Arbeit mit Grünen und FDP auf Bundesebene fortzusetzen. „Wir haben noch viel vor“, sagte sie dem Deutschlandfunk. „Deswegen bin ich zuversichtlich, daß wir auch weiterhin zusammen gut arbeiten werden.“
Spahn: „Olaf Scholz ist das Gesicht des Scheiterns“
Spitzenpolitiker der Union sind sich hingegen einig, daß sie in Sachsen und Thüringen einen klaren Regierungsauftrag erhalten haben. „Michael Kretschmer hat den Auftrag, weiterhin als Ministerpräsident in Sachsen zu regieren“, sagte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“. Auch Thüringens CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt solle eine Regierung anführen. „Das ist der Auftrag aus diesem Wahlergebnis.“
Verantwortlich für den deutlichen Wahlerfolg der AfD sei die Bundesregierung. „Olaf Scholz ist das Gesicht des Scheiterns – auch in Thüringen und Sachsen“, sagte der frühere Gesundheitsminister. Zur vierten Amtszeit von Angela Merkel (CDU) saßen Spahn und Scholz gemeinsam in der Bundesregierung.
Den Aussagen Spahns pflichtete Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) bei. „Die Ampel ist eine rauchende Ruine im Osten“, sagte er dem Radiosender „Bayern 2“. Die Erfolge der AfD seien eine Zäsur. „Auch wenn sich das durch Umfragen angedeutet hat: Wenn das Wahlergebnis real wird, dann spürt man erst mal, was sich in Deutschland verändert hat.“
Politikwissenschaftler: „Diese Wahl war eine Wutwahl“ gegen Westen und Ampel
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) ergänzte: „Für die Ampel hat die letzte Stunde geschlagen. Wenn man jetzt noch wirklich weitermachen will, ist das eine schwierige Hypothek für die nächsten Monate.“ Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) lobte in dem Zuge die Arbeit des CDU-Vorsitzenden. „Das ist sehr klar auch ein Erfolg unseres Bundesvorsitzenden Friedrich Merz“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Der Politikwissenschaftler Oliver Lembcke ordnete die Landtagswahlen als ostdeutsches Phänomen ein. „Das ostdeutsche Parteiensystem – in Thüringen und in Sachsen – ist einfach ein grundsätzlich anderes als im Westen“, sagte der langjährige Mitarbeiter an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena der Bild-Zeitung. „Diese Wahl war eine Wutwahl gegen eine westdeutsch geprägte Parteienlandschaft und gegen die Ampel.“ Im Osten der Republik entwickle sich ein neues dreigliedriges Parteiensystem aus AfD, CDU und BSW. „Da verfestigt sich etwas“, sagte er.
Koalition zwischen CDU und BSW bleibt umstritten
Zu einer möglichen Koalition zwischen der CDU und dem BSW äußerten sich die jeweiligen Parteispitzen bedingt optimistisch. „Es gibt Parallelen, es gibt auch erhebliche Unterschiede“, sagte die BSW-Vorsitzende Amira Mohamed Ali im ZDF-„Morgenmagazin“.
Ähnliche Töne schlug Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) an. „Ich möchte diesem Land eine stabile Regierung geben“, betonte er im Deutschlandfunk. Zu Verhandlungen mit dem BSW sagte er, „wir koalieren nicht mit Frau Wagenknecht, sondern mit Menschen, die in den sächsischen Landtag gewählt worden sind“.
Unglücklich mit einem solchen Bündnis ist der rheinland-pfälzische CDU-Chef Christian Baldauf. „CDU und BSW haben vollkommen konträre Positionen. Da fehlt mir ehrlich gesagt jede Phantasie, und ich sehe derzeit keinerlei Möglichkeit für inhaltliche Kompromisse“, sagte er der dpa.
AfD will mitregieren
Derweil bekräftigte AfD-Chefin Alice Weidel den Regierungsanspruch ihrer Partei. Wir müssen festhalten, daß ohne die AfD keine stabile Mehrheitsbildung möglich ist“, sagte sie im ZDF-„Morgenmagazin“. Eine „undemokratische Brandmauer“ werde sich nicht länger durchsetzen lassen.
Ebenso erklärte ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla die Bereitschaft zu Verhandlungen. „Wir werden mit allen reden, die es gut mit Thüringen oder mit Sachsen meinen“, sagte er dem Radiosender WDR 5. Überschneidungen in den Themen Grenzsicherung und Abschiebungen sehe er bei der CDU, wiederum „einige Überschneidungen“ in der Sozialpolitik mit dem BSW. (sv)