„Überrumpelt“ war die Polizei nach eigenen Angaben, als sich am Sonntag trotz eines vorherigen Demonstrationsverbots etwa 1.000 Menschen auf dem Potsdamer Platz in Berlin versammelten. „Bitte kommen Sie nicht mehr dort hin“, twitterten die Behörden gegen 18 Uhr. Es klang nach Überrforderung.
Eigentlich waren nur 50 Personen angemeldet gewesen. Der Name der Veranstaltung: „Frieden in Nahost.“ Die Polizei betrachtete sie als eine Ersatzdemonstration für „Solidarität mit der Zivilbevölkerung im Gazastreifen“, die sie zuvor bereits verboten hatte.
Die hohe Zahl der Demonstranten habe die Behörden völlig überrumpelt, betonte die Berliner Polizeipräsidentin Barbarba Slowik im Innenausschuß des Abgeordnetenhauses. Von allen Seiten seien Leute auf den Potsdamer Platz geströmt. „In der Dynamik, in der Schnelligkeit“ habe man noch nie so etwas gesehen, betonte Slowik.
Am Potsdamer Platz in Berlin beteiligen sich über 1.000 Personen an einer antiisraelischen Versammlung. Die Polizei löst die Kundgebung auf, da es sich um eine Ersatzveranstaltung einer verbotenen Versammlung handele. Es kommt zu Ausschreitungen. pic.twitter.com/mP3W3OUQaj
— democ. (@democ_de) October 15, 2023
Wasserwerfer kam nicht zum Einsatz
Aggressiv sei die Stimmung gewesen. Das zeigen auch Videos vom Sonntag. Polizeibeamte und pro-palästinensische Demonstranten schubsen und stoßen sich gegenseitig über den Asphalt, immer wieder stimmen die Teilnehmer des Protestes arabische Sprechchöre an. Auf vielen Aufnahmen scheinen die Ordnungshüter in der Minderheit zu sein.
Schließlich habe die Polizei einen Wasserwerfer in die Nähe des Geschehens verlegt. Zum Einsatz sei er allerdings nicht gekommen – zu viele Kinder seien anwesend gewesen. Es werde jetzt geprüft, inwiefern das Versammlungsrecht mißbraucht worden sei.
Die Bilanz des Tages: 153 Festnahmen, 80 Strafanzeigen und 68 Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten. Mindestens ein Beamter wurde durch einen Tritt in den Unterleib verletzt.
Zu der ursprünglich als Mahnwache angemeldeten Versammlung am #PotsdamerPlatz strömten heute mehr und mehr Teilnehmende mit Fahnen und pro-palästinischen Symbolen, was vom Veranstalter im Rahmen des Kooperationsgesprächs als nicht gewollt und vorgesehen dargestellt wurde. Auf… https://t.co/AsfwG3p5Ek
— Polizei Berlin (@polizeiberlin) October 15, 2023
Brandstiftungen und Graffiti
Schon zuvor gab es Anzeichen, daß die Stimmung in der Stadt angespannt ist. Am Freitag informierte eine Anwohnerin eines Studentenwohnheims gegen 11 Uhr die Polizei – am Eingangsbereich hatten Unbekannte mit roter Farbe einen Davidstern gemalt. Ein pro-israelisches Graffiti? Oder eine „Markierung“ des Hauses, eine aufgemalte Zielscheibe?
Auch am Paul-Lincke-Ufer malte jemand Davidsterne an Wohnhäuser, daneben hebräische Wörter. Am Alexanderplatz, an der Sonnenallee, in Friedrichshain, in Kreuzberg und am Gesundbrunnen wurden pro-palästinensische Schriftzüge gesprayt. Und am Alice-Salomon-Platz in Hellersdorf beobachtete ein Anwohner wie mehrere Jugendliche eine israelische Flagge von einem Fahnenmast entwendeten und sie anschließend auf offener Straße in Brand setzten.
Zusätzlich häufen sich Brandstiftungen und Angriffe, bei denen nicht ganz klar ist, ob ein weltanschaulicher Hintergrund vorliegt. In der Nacht zum Montag bemerkte ein Passant ein brennendes Auto auf dem Planufer in Kreuzberg. Nachdem die herbeieilenden Beamten das Feuer gelöscht hatten, fiel ihnen ein Graffiti an einer nahen Häuserwand auf. Es zeigte einen durchgestrichenen Davidstern.
Die Mordkommission ermittelt
Etwa zeitgleich ging auf der Franz-Klühs-Straße ein Müllcontainer in Flammen auf. Nachdem die alarmierte Feuerwehr den Brand gelöscht hatte, wurde hier eine „israelfeindliche Schmiererei“ an einer nahen Häuserwand bemerkt, so der Polizeibericht.
Zufälle? Gezielte Angriffe? Darüber rätselt die Berliner Polizei auch im Stadtteil Gropiusstadt. Am Sonntag mittag warf eine unbekannte Person einen Einkaufswagen aus einen 19stöckigen Wohnhaus an der Johannisthaler Chaussee. Getroffen wurde niemand. Doch da sich vier Einsatzkräfte der Polizei – und ein Anwohner des Hauses – auf dem Gehweg befanden, übernahm die Mordkommission die Ermittlungen.
Bereits in der Nacht zum Donnerstag hatte eine Gruppe von etwa acht unidentifizierten Personen einen Molotow-Cocktail auf ein Polizeiauto in Kreuzberg geworfen. Zwar entzündete sich der Brandsatz nicht, doch das Motiv scheint nach derzeitiger Lage klar. Bei ihrer Flucht riefen die Angreifer nach Angaben der Polizei: „Allahu Akbar“.