BERLIN. Die Bundesregierung hat einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der die Befugnisse des Verfassungsschutzes deutlich erweitern soll. Demnach soll es dem Inlandsgeheimdienst künftig möglich sein, persönliche Informationen von beobachteten Bürgern an „inländische Stellen“ weiterzugeben. Bisher durften zwar Polizeibehörden über konkrete Anschlagspläne informiert werden, Informationen über vermeintlich radikale Ansichten, die nicht strafbar sind, mußte der Verfassungsschutz aber geheimhalten.
Trete das neue Gesetz in Kraft, könnten Verfassungsschutzmitarbeiter auf Lehrer oder Sporttrainer eines beobachteten Bürgers zugehen und sie von der Beobachtung unterrichten. Das soll nach Plänen der Bundesregierung dann möglich sein, wenn das der „Deradikalisierung“ diene oder dazu beitrage, „das Gefährdungspotential zu reduzieren“.
Hintergrund des Gesetzesentwurfs ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April vergangenen Jahres. Karlsruhe hatte den bayerischen Verfassungsschutz ermahnt. Würde ein Geheimdienst zu leichtfertig Einschätzungen über Bürger an Dritte übermitteln, verstoße das gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Daher hatten die Richter strengere Regeln für die Weitergabe persönlicher Daten von Beobachteten angemahnt.Der Gesetzentwurf soll dies unter bestimmten Voraussetzungen nun doch erlauben.
FDP-Politikerin kritisiert: Verfassungsschutz darf „nicht aktiv Verdachtsmomente verbreiten”
Kritik an den Plänen des Bundesinnenministeriums kommt unter anderem von Mark Zöller, einem Rechtswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Berlin werde den Vorgaben aus Karlsruhe „überhaupt nicht gerecht“, monierte er gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Statt dessen nutze Faesers Ministerium die Debatte für eine „Ausweitung der Befugnisse“.
Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagte der Bild: „Ich warne vor dieser Ausweitung der Befugnisse der Nachrichtendienste. Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Bürger vor Verfassungsfeinden zu schützen – nicht aktiv Verdachtsmomente zu verbreiten.” Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte im Bundestag, der Gesetzesentwurf sei „juristisch so schlicht nicht haltbar“.
Die Bundesregierung hat bis Ende 2023 Zeit, die Befugnisse des Verfassungsschutzes gemäß den Vorgaben des Verfassungsgerichts gesetzlich zu regeln. Passiert das nicht, dürfte die Behörde ab 1. Januar 2024 keinerlei Einschätzungen mehr übermitteln. Der neueste Entwurf soll im November abgestimmt werden. (st)