Anzeige
Anzeige

AfD-Bundesparteitag: Sonneberg ist wichtiger als Brüssel

AfD-Bundesparteitag: Sonneberg ist wichtiger als Brüssel

AfD-Bundesparteitag: Sonneberg ist wichtiger als Brüssel

Bundessprecher Tino Chrupalla redet auf dem AfD-Parteitag auch über Sonneberg
Bundessprecher Tino Chrupalla redet auf dem AfD-Parteitag auch über Sonneberg
Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto | Revierfoto
AfD-Bundesparteitag
 

Sonneberg ist wichtiger als Brüssel

Der Rückenwind der guten Umfragewerte läßt den 14. Bundesparteitag der AfD erstaunlich geordnet anlaufen. Wird die Partei nun erwachsen? Später kommt es zu Szenen, die Beobachter als "Typisch AfD" erkennen. Am Rande winkt Sonneberg. Ein Kommentar von Christian Vollradt
Anzeige

Umfragewerte im Superlativ und ein lautlos arbeitender Bundesvorstand, der sich nicht in der Öffentlichkeit bekriegt. In den Schlagzeilen ist die AfD aktuell wegen ihrer Stärke, die Medien wie politische Mitbewerber gleichermaßen so sehr schockiert, daß man sich dort gegenseitig vorhält, Ursache für dieses Phänomen zu sein. Im Gegenzug sind das die Zutaten für das Stimmungshoch, das auf dem Parteitag in Magdeburg allenthalben spürbar ist.

Und so ist verständlich, daß der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla seine Parteifreunde beschworen hat, diese Harmonie und Einigkeit in den eigenen Reihen beizubehalten. Der Grad von Disziplin und Gefolgschaft, mit der die Delegierten am ersten Verhandlungstag im Großen und Ganzen den Wünschen der Parteispitze nachkamen, ist  – immer noch – eher ungewöhnlich für eine Partei, in der man zu früheren Zeiten mit Wonne übereinander herfiel und dabei auch gern die eigenen Führungskräfte demontierte.

Erwachsen mit ein bißchen Kinderkrankheiten

Diese Unsitte gehöre der Vergangenheit an, so das gewünschte Signal von Magdeburg. Die Partei sei zehn Jahre nach ihrer Gründung erwachsen, reifer geworden. Tatsächlich ist in den Messehallen an der Elbe zu beobachten, wie an den Saalmikrofonen fast gar nicht gebrüllt und bei Differenzen in inhaltlichen Fragen die Argumente erstaunlich ruhig und sachlich ausgetauscht werden können.

Doch spätestens nachdem bei der anschließenden Aufstellungsversammlung die ersten drei Listenplätze für die Wahl zum Europaparlament im kommenden Jahr relativ lautlos mit den favorisierten Kandidaten besetzt waren, fiel die AfD doch wieder in alte Verhaltensmuster zurück. Da implodierten Bündnisse, wurden im Vorfeld getroffene Absprachen hinfällig, da brauchte man vier Wahlgänge für einen Kandidaten und da gab es Stichwahlen ohne Sieger. Da schien es wieder wichtiger zu sein, einen bestimmen Bewerber auf jeden Fall zu verhindern, als einen anderen. Zäh zog sich die ganze Prozedur in die Länge. Viele Mitglieder im Saal quittierten das entnervt mit Augenrollen und dem Stoßseufzer „Typisch AfD!“ Und draußen auf dem Parkplatz kamen die Landesfürsten zum Krisengespräch zusammen.

Dabei waren es nicht mehr wie früher zwei konträre Lager oder Strömungen, die sich in einem Patt gegenseitig blockierten. „Flügel“ und „Gemäßigte“ oder wie man die alten Widersacher nennen mochte, sind weitgehend erodiert. Neue Bündnisse, zuweilen recht ungewöhnliche, werden geschmiedet, Netzwerke gebildet. Diese Allianzen sind kaum noch ideologisch geprägt, sondern basieren auf eher kurzfristigen Machtinteressen, sind daher auch ziemlich volatil. Von „Beutegemeinschaften“ spricht man dann abschätzig in der AfD, wobei damit natürlich immer nur die jeweils anderen gemeint sind.

Stichwahlen ohne Sieger

Kungelrunden und Hinterzimmergespräche, so verpönt sie auch immer sein mögen, sind Normalität im Parteibetrieb. Hört man sich unter AfD-Funktionären um, so wünschen viele sich, daß solche Absprachen professioneller getroffen werden. Mancher vermißt hier ein deutlich stärkeres Engagement, eine gewisse Regie des Bundesvorstands. Angesichts der Bedeutung, die der AfD mittlerweile zukomme, könne man in Brüssel und Straßburg nicht mit einem zufällig und bunt zusammengewürfelten Haufen ankommen, lautete eine hinter vorgehaltener Hand geäußerte Kritik.

Ja, die Bedeutung des Ringens um nationale Souveränität, des Kampfes gegen einen übergriffigen Brüsseler Super-Staat wurde an diesem Parteitagswochenende in den Messehallen an der Elbe oft beschworen. Doch viel bezeichnender für das, was die Mitglieder der Blauen umzutreiben scheint, ist eine Szene, die sich währenddessen vor der Tür abspielte.

Ein Pavillon aus Sonneberg

Da bildete sich eine lange Schlange an einem kleinen Pavillon. Den Wartenden ging es nur um einen, den (gar nicht so) heimlichen Star des Parteitags, einen Mann mit kleiner ovaler Brille, der es längst zu bundesweiter Bekanntheit gebracht hat: Robert Sesselmann, frisch gebackener Landrat des Kreises Sonneberg in Thüringen. Stundenlang mußte der prominenteste kommunale Verwaltungschef mit AfD-Parteibuch Autogramme geben und sich für Selfies zur Verfügung stellen.

Das wirkt auf den ersten Blick vielleicht etwas putzig. Aber: Ob die AfD den Sprung von der Protest- zu einer Mitregierungspartei tatsächlich eines Tages schafft, ob die in Magdeburg in vielen Beiträgen gegeißelten Brandmaueren fallen, entscheidet sich nicht in der Höhle des „Bürokratie-Monsters“, nicht in der belgischen Metropole, sondern eher in einem kleinen Landkreis im Süden Thüringens. Insofern hat die Euphorie und Begeisterung der Autogrammjäger und Robert-Sesselmann-Fans einen erstaunlich rationalen und realpolitischen Kern: Für das weitere Schicksal der AfD ist Brüssel weit weniger wichtig als Sonneberg.

Foto: picture alliance/dpa/Revierfoto | Revierfoto
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag