HAMBURG. Die Forderung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), auch unter 60jährige sollten sich ein viertes Mal gegen Corona impfen lassen, sorgt für Wirbel in der Fachwelt. Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg hat den Vorstoß scharf kritisiert. „Das ist natürlich ein kommunikatives Desaster. Das führt zur Verunsicherung der Menschen“, sagte er im Interview mit „Welt-TV“. Lauterbach sei nicht „nicht seriös“.
Der Gesundheitsminister hatte mit seiner Forderung erneut eine Empfehlung der ständigen Impfkommission (Stiko) konterkariert. Schmidt-Chanasit sagte die Empfehlungen der Stiko erfolgten auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Evidenz. „Und die Äußerungen von Minister Lauterbach sind eben nicht auf dieser Grundlage erfolgt.“
Lauterbach übertrifft mit seiner Forderung die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), die einen zweiten Booster nur für Menschen ab 60 Jahren empfohlen hat. Die Stiko legt diesen sogar nur über 70jährigen und Risikogruppen nahe.
Schmidt-Chanasit sagte, die Stiko orientiere sich an klaren Parametern. Daraus folge: „Die vierte Impfung ist gerade, weil sie für einen kurzen Zeitraum schwere Verläufe verhindern kann, für besonders Gefährdete sinnvoll.“ Aus seiner Sicht sollte man sich etwa auf Pflegeeinrichtungen konzentrieren – „aber sicherlich nicht den 20jährigen eine vierte Impfung anbieten“.
Herbstwelle keineswegs gewiß
Darüber hinaus berücksichtige Lauterbach nicht, daß viele Dreifach-Geimpfte „eine Infektion durchgemacht haben“. Schmidt-Chanasit: „Da stellt sich natürlich überhaupt nicht die Frage der vierten Impfung. Denn hier liege nun eine natürliche Immunisierung vor. „Und von möglichen Nebenwirkungen haben wir noch gar nicht gesprochen.“ Das müsse alles in diese Bewertung einfließen.
Außerdem: Wenn man sich ohne Indikation die vierte Impfung abhole, „dann stellt sich wirklich die Frage einer fünften Impfung. Ist die dann überhaupt noch möglich?“ Lauterbachs Voraussage, „daß diese ohne Probleme möglich wäre, ist nicht seriös“. Man wisse noch nicht, wie die Empfehlung später aussehen werde.
Auch, ob es zu einer starken Herbstwelle komme, ist für den Virologen nicht sicher. Da sich angesichts hoher Infektionszahlen bereits im Sommer viele ansteckten, könnte sich durch eine zeitliche befristete Immunisierung der Anstieg verschieben. (fh)