Eskaliert der Krieg zwischen Rußland und der Ukraine und weitet sich aus, wenn Deutschland schwere Waffen auf direktem Weg an die Ukraine liefert? Im In- und Ausland wächst die Kritik am zögerlichen Kurs der Bundesregierung, im Blickpunkt steht Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). In der Ampel-Koalition brodelt es, die Opposition macht Druck, EU- und Nato-Partner, allen voran aber die Ukraine, fordern eine stärkere militärische Unterstützung des Landes im Verteidigungskrieg gegen Rußland.
Während im innerdeutschen Diskurs die einen das Motto „Hannemann, geh Du voran, hast die größten Stiefel an“ hochhalten, warnen die anderen: „Wie man in den Wald ruft, schallt es auch zurück.“ Der schwarze Peter liegt bei Deutschland, so scheint es. Wäre es militärisch hilfreich, strategisch klug oder sogar moralisch notwendig, die Ukraine nicht nur mit Geld, leichten Waffen, und indirekt auch mit schwerem Gerät, sondern direkt mit Panzern, Artillerie und Kampfflugzeugen zu beliefern?
Nur bei einem Thema einig
Darüber diskutieren in der Talk-Runde bei Maybrit Illner am Donnerstag abend der ehemalige Vize-Kanzler Sigmar Gabriel (SPD), der Bundestagsabgeordnete und Oberst a.D. Roderich Kiesewetter (CDU), die deutsche und ukrainische Staatbürgerin und Grünen-Mitglied, Marina Weisband, der ehemalige militärische Berater von Angela Merkel und Brigadegeneral a.D., Erich Vad, und die Verteidigungsexpertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Claudia Major. Illner eröffnet die Sendung mit dem Titel „Putins Offensive – Deutschland weiter defensiv?“ mit den Worten: „Wer den Erklärungsversuchen des Kanzlers folgt, weiß am Ende weniger als zuvor.“ Ein wenig Licht ins Dunkel sollen ihre Gäste bringen.
In einem Punkt sind sich alle in der Runde einig: Alle wollen Frieden für die Ukraine, keiner will einen Dritten Welt- und oder einen Nuklearkrieg. Doch während Gabriel und Vad meinen, die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine könnten den russischen Präsidenten Wladimir Putin zu einem solchen provozieren, behaupten Major, Weisband und Kiesewetter das Gegenteil.
Bigadegeneral a.D. gegen „Kriegrhetorik“
Weisband berichtet von Unverständnis, das Verwandte aus der Ukraine der deutschen Politik entgegenbrächten. Sie wolle Frieden für ihre Familie in der Ukraine und in Deutschland. Von Kanzler Scholz erwarte sie deshalb eine Antwort auf die Frage: „Will die Bundesregierung, daß die Ukraine den Krieg gewinnt?“ Später fragt sie: „Darf die Ukraine den Krieg nicht gewinnen?“ Ein Sieg der Ukraine hieße lediglich, daß Rußland hinter der russischen Grenze bleibe.
Diese Art der „Kriegrhetorik“ hält der Bigadegeneral a.D. Vad für gefährlich und für grundsätzlich falsch. Der Fokus solle auf einem Ende des Krieges liegen und nicht auf einem militärischen Sieg. Es wäre wichtig zu sagen: „Wir wollen nicht den Sieg der Ukraine.“ Es ginge darum, langfristig eine friedliche und politische Lösung zu finden für einen Konflikt, der sich über lange Zeit hin strecken würde.
Die Diskussion über die Lieferung von Kampfpanzern bezeichnet Vad als „Phantomdebatte“. Kampfpanzer zu schicken, sei „militärisch unsinnig“, da dafür weder die notwendige Ausbildung der ukrainischen Soldaten noch die Technik, Infrastruktur und Logistik vorhanden seien. Die anderen Nato-Staaten würden zudem auch keine schweren Waffen liefern.
Zahl der Militärexperten gewachsen wie vorher die der Virologen“
Damit hat Vad den ehemaligen Außenminister Gabriel auf seiner Seite. Dieser formuliert als rote Linie: „Was die USA machen, können wir auch machen. Was die USA nicht machen, können wir nicht machen.“ Einig sind sich die beiden auch in der Kritik an Möchtegern-Experten. Vad äußert sich sichtlich erregt: „Mich stört es, wenn deutsche Politiker von den Grünen militärische Lösungen als ultimatives Ziel darstellen. Das ist doch verrückt. Das machen Politiker, die den Wehrdienst verweigert haben.“ Gabriel freut sich, mit dem Brigadegeneral a.D. einen „echten Experten“ in der Runde zu haben, denn zuletzt sei die „Zahl der Militärexperten gewachsen wie vorher die der Virologen“.
Für ein Überschreiten der von Gabriel gesetzten rote Linie, spricht sich eine andere Expertin bei Illner, Claudia Major, aus, indem sie die Forderung nach Kampfpanzern mit einschließt. Es sei „in unserem Interesse, daß Rußland diesen Krieg nicht gewinnt“. In Europa dürfe sich kein Krieg lohnen. Dabei kann Major auf die Zustimmung von Weisband setzen, die formuliert: „Damit das Völkerrecht irgendwas wert ist, muß es verteidigt werden.“ Ihrerseits sieht Major die rote Linie bei der Entscheidung der Nato, nicht Kriegspartei werden zu wollen. Unterhalb dessen sei aber viel möglich und Deutschland sei „in guter Gesellschaft“, beteilige es sich an der massiven Aufrüstung der Ukraine. Deutschland habe eine Verantwortung: „Wenn wir uns bewegen, können wir etwas bewirken.“
Was, wenn Putin weitere Staaten angreift?
Eine moralische Pflicht sieht auch Oberst a.D. Kiesewetter darin, die Ukraine mit allen möglichen Mitteln zu unterstützen. Zwar stelle Deutschland bereits Geld und leichte Waffen bereit und beteilige sich am Ringtausch in Slowenien, jedoch verdiene die Ukraine „jede Hilfe“. Die Ukraine verteidige Werte, die „wir ihr verhindert haben“, indem das Land noch nicht in die Nato oder die EU aufgenommen worden sei. Diese Perspektive gelte es zu schaffen.
Bei einer Niederlage drohe die Gefahr, daß Putin weitere Länder im Osten Europas angreife. Der CDU-Politiker fordert für die Ukraine „Sicherheitsgarantien, die belastbar sind“. Mit einem migrationspolitischen Argument unterstreicht er die Dringlichkeit seines Anliegens. Über zwölf Millionen ukrainische Flüchtlinge seien unterwegs. Diesen müsse signalisiert werden, daß eine Chance besteht, in die Ukraine zurückzukehren. Die Schlußfolgerung, was das für die Inlandspolitik heißen würde, gelinge es nicht, überläßt er dem Zuseher.
Bei der insgesamt ehrlich geführten Diskussion bei Illner fällt nur die eingeschobene SPD-Apologetik Gabriels etwas aus der Reihe. Nach einer Filmsequenz, die die Zusammenarbeit vergangener Jahre zwischen der SPD und Rußland zeigt, antwortet dieser, es herrsche die Meinung vor: „Jeder der mit Rußland geredet hat, ist Schuld an diesem Krieg.“ Diese Einstellung halte er für „Wahnsinn“. Immerhin, Nord-Stream II zu bauen, sei ein Fehler gewesen, sagt Gabriel und stellt zugleich klar: Entschuldigt habe er sich dafür jedoch nicht.