Daß das Private politisch ist, ja, politisch durchdrungen werden muß, ist eine der immer wiederkehrenden Parolen seit ‘68. Die Logik zwingt dazu, daß die linke Ideologie nach Erziehung und Sexualität mit dem Essen ihr nächstes Ziel gefunden hat. Der Bundestagsantrag der Grünen, der vorigen Donnerstag auf der Tagesordnung stand, war daher abzusehen. Nach Energiewende und Verkehrswende soll die „Ernährungswende“ den Dreiklang abrunden.
Einer der Kernpunkte: Das Essen in den Kantinen von Kitas und Schulen soll „gesünder“ und „leckerer“ werden. Was sich zuerst nach einer vernünftigen Idee anhört, der wohl kaum jemand widersprechen will, ist nach zweitem Lesen ein verdeckter Angriff auf Eßkultur und Familienleben. Denn die Grünen wollen, daß das Essen in Kantinen für Kinder und Jugendliche zur Hauptmahlzeit wird.
Heißt: Nicht etwa das gemeinsame Speisen in der Familie ist die zu erhaltende Komponente im deutschen Eßverhalten, die längst angeschlagen ist und die es zu bewahren gilt – sondern die vom Staat spendierte Mahlzeit im anonymen Gerangel von hunderten Schülern. Nach der Lufthoheit über den Kinderbetten folgt nun die Lufthoheit über den Kindertellern. „Gemeinschaftsverpflegung“ nennt dies das grüne Papier. Allein das Wort klingt bereits nach kollektivistischer Kantine mit grauem Einheitsbrei nach sozialistischem Vorbild.
„Unser Ernährungssystem ist gescheitert“
Daß „gesund“ und „lecker“ seinen Preis hat, ist nur Nebensache – bezahlen dürfen ja andere. Stattdessen fordert das Papier eine großzügige Unterstützung von „Food-Startups“. Von innovativen Restaurantkonzepten ist da die Rede, deretwegen die Grünen fordern, das Gewerbemietrecht für solche Bistros und Cafés „weiterzuentwickeln“. Wer grün-ideologisch Essen zubereitet, soll demnach entlastet werden.
Aber nicht nur die Ökoläden und Hipstercafés im Berliner Prenzlauer Berg dürfen sich über das Programm freuen: wie schon bei den Vorgängerprojekten hängt ein ganzer Rattenschwanz an Klientel am Vorschlag der Grünen, die sich nur auf deren Umsetzung freuen. Ernährungsexperten und Ernährungserzieher sind dabei nur eine Kategorie; diejenigen, die sich an „Kommunalen Ernährungsstrategien“ beteiligen, sollen Zugriff auf leerstehende Liegenschaften des Bundes haben.
Im üblichen Duktus der Panikmache verkündet die grüne Frontfrau Renate Künast im Plenum: „Unser Ernährungssystem ist gescheitert.“ Es ist bezeichnend, wie wenig Aufsehen ein solcher Satz erregt: hätte der Politiker einer anderen Partei geurteilt, unser Verkehrssystem, unser Rechtssystem oder unser Wirtschaftssystem sei gescheitert, wäre ihm die Empörung von Parlament und Presse sicher gewesen. Künast und ihre Kollegen sagen nichts anderes, als daß die Mehrheit der Deutschen zu unbedarft ist, um sich und andere richtig zu ernähren. Doch das scheint bereits allgemeiner Konsens zu sein.
„Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei“
Denn die Forderung nach „Gemeinschaftsverpflegung“ bedeutet: Der Staat weiß es besser als die Eltern. Die Forderung nach einer „nationalen Reduktionsstrategie“ von Salz, Zucker und Fett in den Produkten heißt, der Staat traut seinen Bürgern nicht zu, selbst entscheiden zu können, was sie essen wollen und was nicht. O-Ton Künast: „Die Zeit der Freiwilligkeit ist vorbei.“ Prost Mahlzeit.
Die Grünen sind bereits im Wahlkampf 2013 kolossal gescheitert, als sie medienwirksam einen fleischlosen Tag in der Woche forderten, einen sogenannten Veggie-Day. Daß man damit der katholischen Kirche einige Jahrhunderte hinterherhinkte, machten die Grünen mit mehr Bevormundung wett. Das Thema stellte sich im Sommerloch des damaligen Jahres als Katastrophe heraus, wodurch die Partei wichtige Stimmen verlor. An der allgemeinen Überzeugung der Grünen bezüglich Umstrukturierung der Gesellschaft und Bevormundung im Privatleben hat aber diese Lehre offenbar nichts geändert.
Die grüne Vorstellung krankt schon deswegen an der Realität, weil sich bis heute Ernährungstrends und Forschungsergebnisse im Takt neuer Erkenntnisse ändern. Zur Utopie wird die Ernährungswende aber deswegen, weil ihre Umsetzung in weiten Teilen unmöglich ist. Wie beispielsweise eine „nationale Reduktionsstrategie“ in der Praxis aussehen soll, wird besonders bei der Einfuhr von Fertigprodukten mit hohem Fett- oder Zuckergehalt deutlich.
Wie genau ein Riesenkonzern wie Coca-Cola oder Nestlé seine Produkte in Deutschland „gesünder“ anbieten soll als anderswo, bleibt ein Rätsel, da sie globale Märkte bedienen. Ein Einfuhrverbot für Softdrinks? Das Szenario von geschmuggelten Süßigkeiten und Fettprodukten bekäme dann hierzulande denselben Charakter wie der Alkoholschmuggel der Skandinavier in ihre Länder. Vielleicht kämen die Grünen dann endlich auf den Geschmack von Grenzkontrollen.