Die Hoffnung war groß. Nach den NSA-Enthüllungen von Edward Snowden ab Sommer 2013 gab es mehr als genug Reformempfehlungen, wie Behörden ab sofort mit den Daten der Bürger umgehen sollten. Die Kunst sollte von nun an darin bestehen, die Erfassung und Verarbeitung der Daten zu verbessern, ohne das System mißbrauchen zu können.
Sicherheit durch den Staat, aber auch Sicherheit vor dem Staat, waren die Ziele. Es war eine Zeit der fokussierten Behörden- und fundamentalen Staatskritik. Eine kurze Zeit.
Kaum jemand hätte sich damals vorstellen können, was nun Gerd Landsberg, seines Zeichens Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes in einem Interview mit der Rheinischen Post vorschlug.
Er zeichnete ein „Konzessionsmodell“, wonach Kommunen privaten Unternehmen ihre Datensätze, wie beispielsweise ÖPNV-Mobilitätsdaten der Bürger, in anonymisierter Form kostenpflichtig zur Verfügung stellen sollten. Denn „auch die Städte und Gemeinden müssen sich noch mehr klar machen, daß Daten das Öl des 21. Jahrhunderts sind und sich damit wichtige Einnahmen erzielen lassen“, erklärt Landsberg.
Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt
Sein Einwurf kommt zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, nachdem seit Wochen der vermeintliche Skandal um Cambridge Analytica immer wieder hochkocht.
Dementsprechend regt sich auf allen Seiten rhetorischer Widerstand. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff warnte: „In heutigen Zeiten von Digitalisierung und Big Data existieren Möglichkeiten, auch vermeintlich anonyme und damit harmlose Daten so zu verknüpfen, daß plötzlich doch wieder Rückschlüsse auf einzelne Personen erfolgen können. Die allein ökonomische Betrachtung personenbezogener Daten als ‘Öl des 21. Jahrhunderts’ degradiert den Menschen zur Ware.“
Ähnlich argumentierte Anke Domscheit-Berg, netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag: „Daten von öffentlichen Verkehrsbetrieben können und sollten genutzt werden, um Straßen- und Tiefbau zu optimieren.“
Auch Konstantin von Notz, stellvertretender Grünen-Fraktionschef, gab mit seinem Beitrag Einblicke in die von staatlichen Behörden verfolgte Big-Data-Strategie. Er empfahl, statt „nun auch vollends in das höchst fragwürdige Geschäft der Kommerzialisierung persönlicher Daten der Bürgerinnen und Bürger einzusteigen, sollten sich die Kommunen auf die Bereitstellung von mit öffentlichen Geldern entstandenen Daten und Informationen konzentrieren, um so wirtschaftliche Impulse zu setzen.“ Echter Widerspruch hört sich anders an.
Und Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags berichtete davon, daß Städte heute schon beispielsweise Geo-Daten immer häufiger kostenfrei zur Verfügung stellen. „Diese Daten können dann von Privatpersonen oder Unternehmen genutzt und aufbereitet werden. So entstehen beispielsweise 3D-Bilder, visualisierte Entwürfe von Architekten oder Simulationen über Verkehrsflüsse, und die Navigation wird verbessert“, verdeutlicht Dedy.
Kommunen sammeln schon seit langer Zeit Daten ihrer Bürger
Tatsache ist: Auch staatliche Stellen fernab jeglicher Geheimdiensttätigkeit sammeln seit langer Zeit Daten der Bürger in vielfältiger Form. Und diese Daten werden genutzt. Einzig die mögliche Kommerzialiserung auf dem freien Markt wird anno 2018 noch kritisiert. Nicht mehr als laue Kritik am Markt. Daß der Staat jedoch Daten sammeln soll, bleibt von den Entscheidern unbestritten.
Das Schlagwort lautet „Smart City“. Die Forschungsarbeiten, an denen auch das Fraunhofer Institut beteiligt ist, zu den vielfältigen kommunalen Einsatzmöglichkeiten von Sensoren, Algorithmen und Massenspeichern, laufen bereits seit einer Dekade.
Deutsche Großstädte wie Hamburg und Berlin kooperieren seit langem schon mit den großen IT-Konzernen, um ihre eigene Big-Data-Infrastruktur auszubauen. Kritisiert wird dies öffentlich nicht. Wenn sich etwas Widerstand regt, dann bleibt es bei lauer Kapitalismuskritik 2.0 – so, wie jetzt im Falle Landsberg.
Wohin die Reise gehen kann
Ein Blick nach Fernost zeigt uns, wohin die Reise gehen kann, sollte sich kein ernsthafter Widerstand regen. Nahe der südkoreanischen Millionenstadt Incheon entsteht seit 2003 der Trabant New Songdo City. Bis zum Jahr 2020 sollen hier Wohnflächen von rund 3,2 Millionen Quadratmetern sowie Gewerbeflächen von rund 4,7 Millionen Quadratmetern errichtet worden sein. Ziel der Planer – in dem Projekt kooperieren das koreanische Unternehmen POSCO, der US-amerikanische Bauträger Gale International und die Architektengruppe Kohn Pedersen Fox aus New York mit den Behörden – ist es, „eine neue Stadt aus einem Guß“ zu bauen.
Ihr Derivat des orwellianischen Super-Überwachungsstaats baut auf folgende Zutaten: Per Breitbandverbindung werden alle Haushalte und Büros untereinander und gleichzeitig mit einer städtischen Zentrale verbunden. Meteorologische Meßinstrumente sorgen für Wetterprognosen und regeln die Bereitstellung von Energie in der gesamten Stadt.
In jedem Gebäude gibt es Geräte, die den jeweiligen Energieverbrauch melden und die Menschen dazu auffordern, ihren Verbrauch zu mindern. Straßensensoren leiten Fahrzeuge, berücksichtigen Verkehrsdichte und schalten Ampeln. Cloud Computing macht es möglich.
Gegen eine solche Zukunftsvision von Stadtleben mutet Zuckerbergs Werbemaschinerie, ob mit oder ohne Zutun kommunaler Behördenvertreter, an wie ein Kinderspiel.