„Man könnte den Eindruck bekommen, je stärker sich kriminelle Großfamilien in Deutschland ausbreiten, desto stärker werden Polizeikräfte abgebaut.“ Jan Timke, Vorsitzender der Wählervereinigung Bürger in Wut aus Bremen, ist empört. Denn die Umsetzung der Polizeireform des Innensenators Ulrich Mäurer (SPD) wirft ihre Schatten voraus. Nach dem Willen des Senators soll die Bremer Polizei effektiver werden. Er will die Stellen von 2.480 auf 2.600 heraufsetzen. Was der berechneten Polizeistärke von vor neun Jahren entspräche.
Bürgerschaftsabgeordneter Timke sieht statt Effektivität jedoch genau das Gegenteil eintreten. Eine der stärksten Waffen im Kampf gegen die organisierte Kriminalität ist in Gefahr. Eine akribische Sammlung von Daten. Ihr Name: Istec. Die Abkürzung steht für „Informationsstelle ethnische Clans“. Sie ist eine Art Genealogisches Handbuch Krimineller mit libanesischen Wurzeln, der Aufbau begann vor sechs Jahren.
Kampfansage gegen Großfamilien
Timke vermutet, daß die Ermittlungsgruppe aufgelöst werden soll. Die Stellungnahme des Bremer Innenressorts gegenüber der JUNGEN FREIHEIT bestätigt das: „Die Ermittlungen und ordnungsrechtlichen Maßnahmen sollen zukünftig an den Delikten orientiert innerhalb der Fachkommissariate bearbeitet werden.“ Delikt- statt Täterorientierung.
Im Jahr 2010 wurde die Arbeitsgruppe, die aus vier Beamten bestand, gegründet. Das Projekt war zunächst auf ein Jahr begrenzt. Die Gründung war eine kriminalistisch-digitale Kampfansage gegen die seit Jahrzehnten sich in Deutschland immer stärker etablierenden türkisch-libanesisch-arabischen Großfamilien-Clans. Sie handeln mit Waffen, Mädchen, Drogen und verdienen mit Schutzgelderpressung. Ihre Brutalität, die Verschwiegenheit und die Tatsache, daß sie sich in Deutschland ihre eigene Parallelgesellschaft aufgebaut haben, machen die Ermittlungen so schwer.
Ein besonderes Problem sind die unübersichtlichen Verwandtschaftsverhältnisse. Die Clan-Mitglieder tragen denselben Nachnamen, sind aber nicht unbedingt miteinander verwandt. Fehlt ein negativer Nachweis, müssen sie nicht vor Gericht gegeneinander aussagen.
Täter- statt Deliktorientierung
Ähnliche Vorgehensweisen beobachteten Fahnder des thüringischen Landeskriminalamtes schon vor Jahren, als sie im Umfeld der in Erfurt ansässigen Mafia ermittelten. Verdächtige trugen sogar denselben Vornamen: Vincenzo. „Zu unterscheiden waren sie nur am Geburtsdatum“, so ein Beamter. „Gerichtsfeste Ermittlungen werden so natürlich erschwert.“
Vor sechs Jahren ging die Bremer Polizei einen völlig neuen Weg. Täter- statt Deliktorientierung. Sie sammeln die polizeilichen Erkenntnisse über ethnische Clans, übertragen sie in eine Datei. Jeder Tatverdächtige, der dem Mhallamiye-Clan-Umfeld (JF 34/15) zugeordnet werden kann oder nur einmal in den Fokus der Fahnder gerät, wird mit seinen Daten und verwandtschaftlichen Beziehungen erfaßt.
So ist es möglich, Straftaten einzelnen Familienmitgliedern zuzuordnen. Und so wird ein kriminelles Netz sichtbar, das heute schon weit über Bremen hinausreicht. „Vor sechs Jahren sollte der Clan nur über 2.600 Personen verfügen, heute gehen Ermittler von 3.500 aus“, sagt Timke.
Anstieg der Clan-Straftaten
Wie wichtig für den Stadtstaat die Ermittlungsgruppe ist, zeigt auch die Entwicklung der erfaßten und zuordnungsfähigen Straftaten durch ethnische Clans. Im Jahr 2015 erklärte das Innenressort, daß die Straftaten, die ethnischen Clans zugeordnet werden konnten, von 816 Taten (2012) auf 877 registrierte Fälle im Folgejahr gestiegen seien.
Doch auch wenn die Fahnder schnell und sauber ermitteln – eine Garantie für die Verurteilung der Täter ist das noch lange nicht. Zum Beispiel liegt einer dieser 2013er Fälle wie Blei in den Regalen des Landgerichts Bremen. Es ist der sogenannte Baustellenüberfall. Am 8. August 2013 hatten Mitglieder eines kurdisch-libanesischen Familienclans vier Bauarbeiter überfallen und zum Teil schwer verletzt.
Nach drei Jahren noch kein Prozeß
Die Polizei hatte die Täter schnell ermittelt, Anklage wurde im Dezember 2013 gegen sechs Clan-Mitglieder erhoben. 15 Verhandlungstage sind angesetzt, 70 Zeugen sollen gehört werden. Doch der Prozeß vor der 1. Strafkammer des Landgerichts ist nicht terminiert. Immerhin drei Jahre und zwei Monate nach der Tat! Die Kammer sei mit Haftsachen ausgelastet und es fehle an Personal.
„Ein echter Justizskandal“, sagt Timke. „Der Staat muß gegenüber kriminellen Angehörigen ethnischer Clans klare Kante zeigen. Dazu gehört es auch, überführte Straftäter rasch abzuurteilen.“
Schwierige Beweislage
In einem anderen Fall versucht dies die Bremer Justiz gerade. Vor dem Landgericht wird ein Prozeß wegen gefährlicher Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung und Verstoß gegen das Waffengesetz geführt. Tatzeitpunkt: 23. März 2016. Tatorte: Ein Parkplatz am Klinikum links der Weser und in der Notaufnahme. Die Angeklagten heißen: Sami, Mohammed, Ali und Haliel. Der Nachname beginnt bei allen Angeklagten mit M. Alle sind vorbestraft, drei von ihnen hatten zum verhandelten Tatzeitpunkt Bewährung.
Daß die Anklage vor dem Land- und nicht, bei den zu erwartenden geringen Strafen, vor dem Amtsgericht erhoben wurde, hat nur einen Grund: die schwierige Beweislage.
JF 43/16