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Porträt: Der unbedingte Wille zur Macht

Porträt: Der unbedingte Wille zur Macht

Porträt: Der unbedingte Wille zur Macht

Bodo Ramelow
Bodo Ramelow
Bodo Ramelow: Neuer Ministerpräsident mit schillernder Vergangenheit Foto: dpa
Porträt
 

Der unbedingte Wille zur Macht

Am Freitag wurde der Linkspartei-Politiker Bodo Ramelow vom Landtag in Thüringen im zweiten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt. Doch wer ist der Mann, der nun die Geschicke von 2,2 Millionen Menschen bestimmt? Ein Porträt.
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Wer Bodo Ramelow eine große Freude bereiten möchte, der muß ihn zu Gesprächen mit jungen Menschen einladen. Diese hätten „einen herrlich unabhängigen und erfrischenden Blick auf die Dinge“, vertraute der Linkssozialist, der am Freitag im zweiten Wahlgang zum ersten sozialistischen Ministerpräsidenten der Bundesrepublik gewählt wurde, nach einem Kamingespräch mit Stipendiaten politischer Stiftungen seinem Tagebuch an.

Der 58 Jahre alte Ramelow ist eifriger Tagebuchschreiber. Was er oder ein „seelenverwandter“ Mitarbeiter unter seinem Namen im Internet schreibt, ist Teil seiner Marketingstrategie. Es dient dazu, den künftigen Thüringer Regierungschef als normalen, sympathischen Familienmenschen darzustellen, der am liebsten mit seiner dritten Ehefrau Germana Alberti vom Hofe, einer Kommunikations- und Verhaltenstrainerin, und seinem Hund Attila, einem Jack Russell Terrier, spazierengeht. Darüber schreibt er dann auch: „Ja, man findet den Ramelow mit viel Geduld am Wochenende in der heimischen Natur.“

Reisen in die DDR

Leider ist der Alltag eines Spitzenpolitikers nicht immer schön. Beispielsweise wenn einem zwei Stunden lang ein Eckzahn saniert wird oder man sich mit der eigenen Biographie beschäftigen muß, der „originalen und der Version der Thüringer Allgemeinen“. Per Unterlassungsklage wurde die Zeitung aufgefordert, nicht mehr zu behaupten, Ramelow könne aufgrund bestehender Legasthenie nur schlecht lesen und schreiben. „Lesen konnte und kann ich und zwar sehr gut“, teilte Ramelow mit. Er sei in seiner Funktion als Gewerkschafter nicht oft, sondern lediglich einmal in die DDR gereist. Alle anderen Besuche seien privat gewesen. Ramelow legt auch Wert darauf, daß er ein Interview mit Spiegel-Redakteur Fleischhauer abgebrochen  habe, weil dieser beleidigend geworden sei: „Ein solches Verhalten, insbesondere wenn es um die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ging, mußte ich nicht hinnehmen.“

Fast drei Jahrzehnte wurde Ramelow vom Geheimdienst beobachtet. Insbesondere ging es um angebliche Kontakte zur Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)  in den achtziger Jahren, um eine Solidaritätsbekundung für einen vom Berufsverbot Betroffenen, wohl auch um sein Engagement in der Friedensbewegung. Später interessierte sich für ihn auch das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz. Schließlich war Ramelow 1999  nicht nur Mitglied der umbenannten SED geworden, sondern einer ihrer Spitzenfunktionäre. Nachdem das Bundesverwaltungsgericht Leipzig in dritter Instanz die Überwachung Ramelows im Juli 2010 noch gebilligt hatte, erklärte das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe im September 2013 diese Praxis für grundgesetzwidrig. Ein Urteil, das ihn überrascht habe, wie Ramelow der Welt gestand: „Ich habe geheult.“

Aufhebung der Immunität

Ein Vierteljahr später wurde Ramelows Immunität vom Thüringer Landtag aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft ermittelte gegen ihn wegen der Blockade eines Trauermarsches für die Opfer der Bombenangriffe vom Februar 1945 in Dresden. Ramelow selbst behauptete, lediglich „als Vermittler zwischen Demonstranten und Polizei aufgetreten“ zu sein. Videoaufnahmen scheinen aber zu beweisen, daß er in Rangeleien mit Polizisten verwickelt war. Es war nach 2002 das zweite Mal, daß seine Immunität aufgehoben war.

Ramelow, geboren in Niedersachsen, aufgewachsen in Rheinhessen, stammt aus einem protestantischen Elternhaus. Zu Hause wurde er von der Mutter mit der Peitsche geschlagen. Ramelow spricht von „Gewaltorgien“. Er erlernte den Beruf eines Kaufmanns (Fachausbildung Wild und Geflügel) und brachte es bis zum Filialleiter. In der linksgeprägten Universitätsstadt Marburg, wo die DKP in den achtziger Jahren im Stadtrat saß, wurde er 1981 hauptamtlicher Funktionär der Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV). Mitte der achtziger Jahre stand seine Unterschrift dann unter einem Wahlaufruf für die DKP.  „Uns ist klar, eine starke DKP-Fraktion nutzt Marburg“, hieß es darin.

Die DDR im Rucksack

Als Gewerkschafter wechselte er dann 1990 nach Thüringen, um die dortige Dependance der HBV aufzubauen, deren Landesvorsitzender er wurde. Schon 1994 trat er auf der zentralen Maifeier der PDS in Erfurt auf. Im Januar 1997 gehörte er zu den Initiatoren der „Erfurter Erklärung“, die eine engere Zusammenarbeit von SPD, Grünen und Linkssozialisten forderte. Ein Ziel, an dem Ramelow seitdem beharrlich gearbeitet hat. Die Genossen bedankten sich, indem sie ihm, der 1999 mangels Fortexistenz seiner Gewerkschaft den Job verloren hatte, die Spitzenkandidatur für die Thüringer Landtagswahl antrugen. Ramelow trat der PDS bei, wurde als Landtagsabgeordneter erst stellvertretender, dann Vorsitzender seiner Fraktion.

Schnell galt er als schillerndster Politiker Thüringens, der die Landtagspolitik aufmischte und die dahindämmernde PDS aus ihrem Dornröschenschlaf erweckte. Die Frankfurter Rundschau attestierte dem „Blondschopf mit dem Brilli im Ohr“, das „einzig Bunte im SED-Nachfolgegrau“ zu sein. Damit auch seine Genossen endlich munter wurden, fand Ramelow drastische Worte. Er müsse „kotzen“, wenn alte PDSler die DDR-Vergangenheit schönredeten. Dem Weser-Kurier sagte er vergangene Woche: „Wir haben die SED im Rucksack und leugnen das nicht.“

Machtwille um jeden Preis

2005 formte er in den Verhandlungen mit der WASG eine „neue Linke“ und führte sie vom Müllhaufen der Geschichte in den Bundestag. Wie er das getan hat, brachte ihm unter den Genossen Bewunderung und Kritik ein, je nachdem, ob diese sein Vorgehen als hart und sachlich oder aber autoritär empfanden. Es sei nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich Ramelow „mit seiner Mischung aus Rabaukentum und Sachkenntnis in die Bundespolitik boxen würde“, schrieb die Zeit. Sein unbedingter Wille, Thüringen selbst zu regieren, war unübersehbar. Zwar war die Haartolle einem Seitenscheitel gewichen, Brilli im Ohr und Tuaregring verschwunden, und auch die Anzüge sahen inzwischen besser aus, aber noch schlug der streitbare Protestant im Freistaat zu sehr mit dem Säbel drein, als das Florett zu benutzten.

Weil er zwar einen SPD-Ministerpräsidenten toleriert hätte, aber keinen Christoph Matschie, überließ er 2009 der CDU die Macht. Ein Fehler, aus dem er gelernt hat. In diesem Jahr wäre er zu fast jedem Zugeständnis bereit gewesen, um an die Spitze zu gelangen. „Die Parteiendemokratie in Deutschland ist insgesamt in der Krise“, hat Ramelow in einem Interview philosophiert. Weder SPD noch CDU seien jemals wieder als Volkspartei in der Lage, eine eigenständige Mehrheit zu erreichen. „Wir sind als neuere Partei auch Teil dieser krisenhaften Erscheinung.“

Statt das berühmte „Gespenst“ aus dem Kommunistischen Manifest zu bemühen, zitiert Ramelow, so wie bei seiner Predigt am Reformationstag in der Berliner St.-Thomas-Kirche, lieber Paulus: „Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut. Achte einer den anderen höher als sich selbst, und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem anderen dient.“ Profaner sieht es die Thüringer Allgemeine. Zur Zeit wirke Ramelow „wie ein Kind im Advent, das sich zwingen muß, das große Paket, das da unterm Baum steht, nicht schon heimlich auszupacken“.

 

Bodo Ramelow: Neuer Ministerpräsident mit schillernder Vergangenheit Foto: dpa
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