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Abhörskandal: Wir hatten uns doch so lieb

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Abhörskandal: Wir hatten uns doch so lieb

Merkels_Telefon
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Abhörskandal
 

Wir hatten uns doch so lieb

„Das Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht. “ Die Unbedarftheit der deutschen Bundeskanzlerin beleuchtet die geistige Verfassung der politischen Klasse. Es wäre überraschend, wenn die Amerikaner nicht bisher jeden Kanzler überwacht hätten. Und so bleibt der Verdacht, daß Merkels Empörung letztlich Theaterdonner ist.
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Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem Diensttelefon: Unbedarftheit oder nur Theaterdonner? Foto: picture alliance/dpa

Im Juli 2008 versprach der damalige Präsidentschaftskandidat Barack Obama in seiner Rede an der Berliner Siegessäule den Anbruch einer neuen Ära, in der „Verbündete einander zuhören werden“. Heute wissen wir, daß Obama, zumindest was die USA angeht, Wort gehalten hat.

Wie weitgehend sein Interesse an den „Freunden“ ist, hat zuletzt auch in Deutschland manche „Irritation“ ausgelöst. Selbst das Mobiltelefon der Kanzlerin wurde jahrelang abgehört. Soviel Interesse ging selbst Merkel zu weit, die klare Kante zeigte: „Das Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht. Wir sind Verbündete, aber so ein Bündnis kann nur auf Vertrauen aufgebaut sein.“

Das Maß an Unbedarftheit wird offensichtlich

Das Maß an Unbedarftheit, das in dieser Äußerung zum Ausdruck kommt, beleuchtet schlaglichtartig die geistige Verfassung etlicher Vertreter der politischen Klasse in Deutschland. Freundschaft und Vertrauen mögen im Zwischenmenschlichen Kategorien sein, die von Bedeutung sind. Wer glaubt, sie auf die staatliche Sphäre übertragen zu können, dokumentiert damit nur, daß er nicht verstanden hat, was dort den Kern des Politischen ausmacht.

Dieser Kern kann mit einem Bonmot umschrieben werden, das von Charles de Gaulle stammen soll: „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen.“ Belege für das Unverständnis deutscher Politiker dieser Einsicht gegenüber hat es in den letzten Wochen hinreichend gegeben. Wenn zum Beispiel Unionsfraktionschef Volker Kauder fordert, Amerika solle sein „Weltmachtgehabe“ gegenüber seinen „Partnern“ aufgeben, darf nach seiner Urteilsfähigkeit gefragt werden.

Man muß hier nicht gleich auf die „tributpflichtigen Vasallenstaaten“ verweisen, von denen die graue Eminenz der US-Außenpolitik, Zbigniew Brzezinski, sprach. Es reicht eine Besinnung darüber, daß die USA als westliche Führungsmacht anderen Spielregeln folgen, um Weltmacht auf dem Schachbrett der Geopolitik zu bleiben. Der Präsident hat auf diesem Schachbrett nur eines im Auge zu behalten, nämlich daß die Interessen seines Landes gewahrt bleiben. Dafür ist er gewählt worden, und in diesem Sinne haben die Geheimdienste, allen voran die National Security Agency (NSA), zu agieren.

Nur amerikanische Interessen und sonst nichts

Brzezinski hatte bereits in seinem hellsichtigen Werk „Between Two Ages“ (1970) der Schwärmerei über eine neue „Intimität“ zwischen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Abstammung im Zuge der elektronischen Vernetzung der Welt eine Absage erteilt und lieber von wachsenden Verflechtungen, von gegenseitigen Abhängigkeiten und vom Zwang der Staaten zur Ratifizierung internationaler Vereinbarungen gesprochen. Er zählt Deutschland – neben Frankreich, Rußland oder China – zu jenen „geostrategischen Akteuren“, die in der Lage seien, amerikanische Interessen zu gefährden und Macht und Einfluß auf Nachbarstaaten oder ganze Regionen auszuüben.

Brzezinskis Ausführungen sind durch den Whistleblower Edward Snowden bestätigt worden; dieser lancierte unter anderem, daß Deutschland neben China und Rußland zu jenen Ländern gehört, die von Amerika am intensivsten überwacht werden.

Auslöser für Washingtons forcierte Überwachungsmaßnahmen soll das Nein von Kanzler Gerhard Schröder zum Irak-Krieg 2003 gewesen sein, wie am vergangenen Wochenende bekannt wurde. Besonders beunruhigend für die USA seien die freundschaftlichen Beziehungen des Kanzlers zu Rußlands Präsident Wladimir Putin gewesen. Schröder selbst sei sich laut Bild-Zeitung bewußt gewesen, mit seiner Haltung zum Irak-Krieg in das Visier der US-Geheimdienste geraten zu sein. Man wird getrost noch weitergehen können: Es wäre überraschend, wenn die Amerikaner nicht jeden deutschen Kanzler seit Beginn der Bundesrepublik geheimdienstlich überwacht hätten.

Breit angelegte Überwachung Deutschlands auf der Wunschliste

Wie stark Deutschland im Fokus des Informationsinteresses des Weißen Hauses steht, zeigt bereits ein Dokument, das Anfang der achtziger Jahre bekannt wurde. Hier wird der Zielkatalog für die weltweiten Operationen der US-Geheimdienste sowie das Informationsinteresse des Weißen Hauses im Hinblick auf bestimmte Regionen und Länder festgelegt. Zu diesem Zielkatalog gehören auch die Nato-Verbündeten, insbesondere aber Deutschland und Frankreich.

Die Informationsgewinnung erstreckte sich von der Innen-, Außen- und Wirtschaftspolitik über die Rüstungs- und Kernenergieforschung bis hin zu der Tätigkeit der Geheimdienste der überwachten Staaten. Dieser Zielkatalog, der seither die eine oder andere Modifikation erfahren hat – Stichwort 9/11 –, dürfte im Hinblick auf die dort fixierten Ziele bis heute seine Gültigkeit behalten haben.

Daß Präsident Barack Obama vor diesem Hintergrund von der Überwachung Merkels nichts gewußt haben will, darf ausgeschlossen werden. Wahrscheinlicher erscheint da schon jene Aussage eines hochrangigen Mitarbeiters der NSA, nach der Obama seit Jahren von dem Lauschangriff gegen Angela Merkel weiß und diesen auch billigte. Der Nachrichtendienstler behauptete weiter, daß das neue Kanzler-Smartphone auf Drängen Obamas gehackt worden sei.

Deutsche Dienste dürften informiert gewesen sein

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) und deutsche Geheimdienste sollen sich erst nach einer Anfrage des Spiegel für die Frage interessiert haben, ob Regierungsmitglieder abgehört wurden. Diese Anfrage basierte auf einem Fund der Mobiltelefonnummer Angela Merkels in einem der Papiere Edward Snowdens.

Durch den Datenaustausch mit der NSA mußten deutsche Geheimdienste – und damit auch das Kanzleramt – von dem Ausmaß der NSA-Aktivitäten wissen. Es bleibt deshalb der Verdacht, daß Merkels Empörung letztlich nicht mehr als eine Art Theaterdonner ist, der unumgänglich wurde, weil die NSA-Aktivitäten in den Medien ruchbar zu werden drohten.

JF 45/13

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