Zwei Legislaturperioden rot-rote Koalition müßten einer bürgerlichen Opposition in die Karten spielen. Spätestens nach diesen zehn Jahren müßte ein politischer Wechsel zumindest denkbar sein. Müßte.
Doch nicht mit dieser Berliner CDU. So wird sich nach der Abgeordnetenhauswahl im September nur die Frage stellen, ob SPD oder Grüne den Regierenden Bürgermeister stellen. Die Hauptstadt-Union hat es trotz großer Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der Landespolitik nicht geschafft, sich in Stellung zu bringen – geschweige denn aus ihrer miserablen Situation herauszukommen. Klaus Wowereit (SPD) konnte schon vor fünf Jahren zwischen Linken und Grünen als Koalitionspartner wählen. Die CDU brauchte er dafür nicht einmal arithmetisch.
Die Berliner CDU bekommt kein Bein mehr auf den Boden
Sie bietet den Wählern auch heute keinerlei Alternative. Die unter Richard von Weizsäcker und Eberhard Diepgen zwei Jahrzehnte dominierende Berlin-Partei bekommt kein Bein mehr auf den Boden. Hinter Sozialdemokraten und Grünen liegt sie seit Monaten bei Umfragen auf dem dritten Platz; die Union überholt von einer Partei, die weltanschaulich so gut wie nichts von den Regierungsparteien SPD und Linkspartei unterscheidet. Das sagt sehr viel über den Zustand der Berliner CDU.
Geschieht kein Wunder, wird sie auch im September abgeschlagen ins Ziel kommen. Obwohl Frank Henkel seit drei Jahren Fraktion und Partei anführt, gaben aktuell 56 Prozent der Wahlberechtigten an, diesen Namen noch nie gehört zu haben. Welch ein Armutszeugnis für den Mann, der als Spitzenkandidat antritt, um Regierender Bürgermeister zu werden.
Henkel schmeißt sich dazu noch bei jeder Gelegenheit den Grünen an den Hals. Er würde selbst dann mit Renate Künasts Partei zusammengehen, wenn diese stärker werde als die Union, sagte er schon knapp zwei Jahre vor der Wahl. Mehr konnte und kann die Partei nicht signalisieren, wie sehr sie sich aufgegeben hat. Die CDU als Mehrheitsbeschaffer für ein grünes Stadtoberhaupt, das können neben den Wählern eigentlich nur noch die Grünen selbst verhindern.
Regierungsbeteiligung als Selbstzweck
Die Hauptstadt-Union dagegen zeigt ihren potentiellen Sympathisanten, worum es ihr bei der Wahl geht: Regierungsbeteiligung als Selbstzweck, nicht als Mittel zum Zweck. Motto: Wählt uns doch einfach mal – wir sagen euch aber nicht, warum. Und wir werden euch das auch nach der Wahl nicht verraten.
Das Paradoxe an der Situation: Sollte die ehrgeizige Renate Künast das Ziel verfehlen, mit den Grünen stärkste Partei zu werden, wäre die windelweiche und von den Wählern verschmähte Union plötzlich doch am Drücker. Künast könnte womöglich auf das aufdringlich-peinliche Angebot Henkels eingehen. Denn nur dann würde sie trotz Wahlschlappe Regierende Bürgermeisterin werden. Es ist nämlich nicht unwahrscheinlich, daß in einem Vier-Parteien-Parlament – die FDP wird wohl an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern – Grüne und CDU stärker sind als SPD und Linke.
Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß in dem neu gewählten Abgeordnetenhaus rund 75 Prozent aller Abgeordneten links der Mitte zu Hause sein werden – nämlich bei SPD, Grünen und Linkspartei. Bisher hat die politische Linke diese historische Chance noch gar nicht begriffen. Mit jener satten verfassungsändernden Mehrheit könnte Berlin zur Antifa-Musterstadt ausgebaut werden.
Das Merkel-Virus grassiert in der Berliner CDU
Zu verorten ist die Ursache dieser Katastrophe in erster Linie nicht in der Strahlkraft der anderen, sondern in der Schwäche der Union. Und die ist hausgemacht. Natürlich stehen keineswegs 75 Prozent der Berliner politisch links. Und die 40 Prozent, die noch vor zwölf Jahren in Berlin CDU wählten, sind auch nicht ausgewandert. Das absehbare fatale Ergebnis ist vielmehr ein Ausdruck der verzweifelten Hilflosigkeit der bürgerlichen Wähler.
Denn das Merkel-Virus hat sich auch unter den Berliner Unions-Politikern rasend schnell verbreitet. Sie sind einfach nicht imstande, offensiv zu vertreten, wofür sie stehen. Wobei dieser Plural noch geschmeichelt ist. Denn neben dem nahezu unbekannten Frank Henkel gibt es auch sonst niemand, der Positionen besetzt, der populär oder mindestens ein wenig bekannt wäre. Die einst mächtigen Bezirksfürsten riskieren nur intern eine große Klappe und zeigen damit, wie unpolitisch sie in Wirklichkeit sind.
Dabei gäbe es genügend Ansätze, der linken Regierung Tag für Tag den Wind aus den Segeln zu nehmen, feurige Oppositionspolitik zu betreiben und die Bürger auf seine Seite zu ziehen. Aber eine schikanierende Verkehrspolitik mit der Abschaffung aller grünen Wellen attackiert die CDU genausowenig wie eine verfehlte Bildungspolitik, die allen bürgerlichen Ansprüchen zuwiderläuft. Nicht einmal auf dem Gebiet der inneren Sicherheit oder der Ausländerpolitik kann sich die Union als Alternative darstellen – und das trotz brennender Autos und permanenter Gewalt in den öffentlichen Verkehrsmitteln.
Kein CDU-Politiker will der neue Sarrazin sein
In der Sarrazin-Debatte unterstützte die Henkel-Partei gegen die Mehrheit der Bevölkerung die heftigen Kritiker des früheren Finanzsenators. Und selbst dem extrem populären, von der eigenen Parteielite aber gehaßten und gemobbten Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) tritt die CDU laufend und politisch korrekt vors Schienbein. Die Chance, sich in diesem riesigen Vakuum zu profilieren, will und kann die Partei nicht nutzen.
Größer als die Vorfreude aufs Schulterklopfen durch das Volk ist die Angst vor den Attacken der Journalisten in der Hauptstadt. Keiner aus der Berliner CDU-Führung will der neue Sarrazin sein, der morgen am medialen Pranger bespuckt wird. Da schwimmt man doch lieber im Strom mit und schmeichelt sich bei der beinharten Spitzenkandidatin der Grünen, Renate Künast, ein, ohne auch nur zu ahnen, wie lächerlich und unwählbar man sich macht.
(JF 30/11)