BERLIN. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ihre Kritik an Bundesbank-Vorstand Thilo Sarrazin (SPD) am Wochenende nochmals verschärft. „Die Äußerungen von Herrn Sarrazin sind vollkommen inakzeptabel“, sagte Merkel im Interview mit der ARD. Seine Wortwahl und Ausdrucksweise erschwere die Debatte über das Thema Integration und spalte die Gesellschaft.
Empört zeigte sich die Kanzlerin auch über Sarrazins Äußerungen zur genetischen Besonderheit der Juden. Der frühere Berliner Finanzsenator hatte im Interview mit der Welt am Sonntag auf die Frage, ob Völker auch über eine genetische Identität verfügten, gesagt: „Alle Juden teilen ein bestimmtes Gen, Basken haben bestimmte Gene, die sie von anderen unterscheiden.“
Grünen-Chefin Claudia Roth warf Sarrazin daraufhin vor, den „Boden des Grundgesetzes“ verlassen und sich für jedes öffentliche Amt disqualifiziert zu haben. „Es ist nicht zu ertragen, wie Sarrazin mit immer neuen Ungeheuerlichkeiten die öffentliche Debatte bestimmt. Seine Äußerungen über Juden und Muslime erfüllen den Tatbestand der menschenverachtenden, rassistischen Hetze und sind ein bodenloser Skandal“, sagte Roth dem Internetportal DerWesten.
Kritik von Özkan und zu Guttenberg
Kritik kam auch von Niedersachsens Sozialministerin Aygül Özkan: „Es gibt unendlich viele fleißige Zuwanderer – diese verdienen Respekt, nicht Häme. Alle jene, die sich einbringen, die ihre Kinder motivieren, die Deutsch lernen, die als Arbeitnehmer Steuern zahlen, die als Unternehmer Arbeitsplätze schaffen – sie alle verdienen Respekt“, mahnte die CDU-Politikerin in der Bild-Zeitung.
Auch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) ging auf Distanz zu Sarrazin. Jede Provokation habe ihre Grenzen, und diese Grenze sei nun mit der ebenso „mißverständlichen wie unpassenden Äußerung eindeutig überschritten“, sagte zu Guttenberg.
Noch deutlicher wurde CSU-Generalsekretär Alexander Doberindt: „Der Typ hat einen Knall“, kritisierte Dobrindt im Münchner Merkur. Dennoch müsse man über Fehler bei der Integration diskutieren – vor allem über „den mangelnden Integrationswillen von türkischstämmigen und muslimischen Migranten, wie ihn der Integrationsbericht der Bundesregierung offenlegt“.
Lediglich der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler verteidigte Sarrazin. Dieser sei „nicht irgendein hergelaufener Polemiker, sondern hat in wichtigen Staatsämtern Herausragendes geleistet“. Auch wenn man ihm nicht in allen Punkten folgen müsse, hätten sich zum Thema Überforderung Deutschlands durch Einwanderung Helmut Schmidt, Oskar Lafontaine und auch Rudolf Augstein schon härter geäußert.
Unterstützung von Ex-BDI-Chef Henkel
Zuvor hatten bereits der frühere Chef des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Hans-Olaf Henkel, sowie der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Robbin Juhnke, den Umgang mit Sarrazin gegenüber der JUNGEN FREIHEIT kritisiert und eine offene Debatte über dessen Thesen gefordert.
Unterstützung war zudem vom stellvertretenden Vorsitzenden der CDU-Fraktion im hessischen Landtag, Hans-Jürgen Irmer, gekommen. Sarrazin drücke sich auf die ihm „eigene Art und Weise aus und sagt damit, was viele Menschen in diesem Land empfinden, was in den Medien aber leider so gut wie nicht stattfindet“, sagte Irmer der JF.
Unterdessen kündigte Bundesbankpräsident Axel Weber für den Nachmittag eine Erklärung zum Fall Sarrazin an. Politiker nahezu aller Parteien hatten am Wochenende erneut die Absetzung Sarrazins als Mitglied des Bundesbankvorstandes gefordert.
Auch beschloß das SPD-Präsidium am Montag nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, ein Parteiordnungsverfahren gegen Sarrazin einzuleiten. Dies wolle das Gremium dem Parteivorstand vorschlagen. (krk)
> Dossier zum Fall Sarrazin
> JF-Umfrage: Kommt Sarrazins Kritik an der Einwanderung zu spät