BERLIN. In der aufgeheizten Debatte um die Interview-Äußerungen des Bundesbankvorstandsmitglieds Thilo Sarrazin (SPD) hat der ehemalige Präsident des BDI, Hans Olaf Henkel, den ehemaligen Berliner Finanzsenator in Schutz genommen. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk am Montag sagte Henkel, Sarrazin habe sich differenziert mit dem „Ausländerproblem in Berlin“ auseinandergesetzt und werde jetzt dafür „fertiggemacht“.
Vieles von dem, was Sarrazin gesagt hatte, stimme, pflichtete Henkel ihm bei. Doch würden in Deutschland „gewisse Wahrheiten nicht ausgesprochen, und wenn sie ausgesprochen werden, dann wird sich nicht mit den Punkten auseinandergesetzt“.
Hintergrund sind kritische Äußerungen Sarrazins in einem Interview der Zeitschrift Lettre International zu Integrationsdefiziten bei in Deutschland lebenden Türken. Am Wochenende war bekanntgeworden, daß sich der 64 Jahre alte SPD-Politiker möglicherweise wegen Volksverhetzung verantworten muß.
„Nicht das, was er gesagt hat, ist ein Skandal“
„Nicht das, was er gesagt hat, ist ein Skandal, sondern ein Skandal ist, wie die deutschen, die meisten deutschen Medien und viele politische Vorbilder mit ihm umgehen“, so Henkel weiter im Deutschlandradio-Interview. Sarrazin werde „hier wirklich fertiggemacht“, und zwar sowohl von der Berliner Staatsanwaltschaft, die mit Verdacht auf Volksverhetzung gegen ihn ermittle, als „auch von Gutmenschen der grünen und linken Szene, die jetzt wieder meinen, sie müßten die Probleme zudecken“.
Die Öffentlichkeit werde gegenwärtig Zeuge eines „unglaublichen und schändlichen Vernichtungsfeldzuges gegen einen Menschen“, so Henkel, der heute als Publizist arbeitet. Derzeit prüften Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt, ob ein Anfangsverdacht auf den Straftatbestand der Volksverhetzung vorliege, sagte ein Polizeisprecher der Nachrichtenagentur Reuters.
Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Axel Weber, hat dem ehemaligen Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin den Rücktritt nahegelegt. Sarrazin solle sich aus dem Vorstand der Bundesbank zurückziehen, um dem Ansehen der Einrichtung nicht zu schaden, heißt es laut einem Bericht von Spiegel Online.
Danach soll Weber gesagt haben: „Jeder hat Verantwortung für die Institution und muß mit sich selbst ins Gericht gehen.“ Es gehe um die Glaubwürdigkeit der Bank. Dieser Verantwortung müßte sich ein jeder Mitarbeiter bewußt sein – vom Pförtner bis zum Vorstand.
Türkische Gemeinde fordert Entschuldigung
Auch der Vizechef der Türkischen Zentralbank, Ibrahim Turhan, schaltete sich mit einem Kommentar in die deutsche Debatte ein. Nach einer Meldung der Zeitung Sabah vom vergangenen Sonntag sagte er im Hinblick auf Sarrazin: „Allah möge ihm mehr Verstand geben.“
In Deutschland lebende türkische Verbandsvertreter gaben ebenso ihrer Abneigung gegen Sarrazin Ausdruck. „Das ist unerhört!“ sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland Kenan Kolat der Nachrichtenagentur dpa, nachdem das Interview veröffentlicht worden war.
Der ehemalige Berliner Finanzsenator sei „aus unserer Sicht nicht mehr haltbar“, wenn er sich nicht bei den angesprochenen Gruppen entschuldige, so Kolat gegenüber der Nachrichtenagentur AFP.
Empört zeigten sich auch der Vorstandsvorsitzende der Türkisch-Deutschen Unternehmervereinigung (TDU), Hüsnü Özkanli, sowie der Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg, Safter Çinar. „Das ist absolut unter der Gürtellinie und inhaltlich völliger Quatsch“, wetterte Çinar laut Spiegel Online.
„Weder integrationswillig noch integrationsfähig“
Sarrazin hatte in dem Interview mit Lettre International den Berlinern mangelnde Leistungsbereitschaft vorgeworfen und die Integrationspolitik der Stadt kritisiert. Berlin leide unter zwei Komponenten: „der 68er-Tradition und dem West-Berliner Schlampfaktor“.
Zudem gebe es zahlreiche Araber und Türken in der Hauptstadt, die keine produktive Funktion hätten außer für den Obst- und Gemüsehandel. Deren Zahl sei durch eine falsche Politik noch gewachsen. Große Teile davon seien weder integrationswillig noch integrationsfähig.
„Ich muß niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert“, kritisierte Sarrazin, der Mitglied der SPD ist.
Sarrazin entschuldigte sich
Die Gewerkschaft der Bundesbank verlangte indessen Sarrazins Rauswurf aus der Bundesbank. Der Gewerkschaftsfunktionär Uwe Foullong bezeichnete Sarrazins Äußerungen als „skandalös“ und „rechtsradikal“. Er schade damit dem Ansehen der Bundesbank, kritisierte das Verdi-Vorstandsmitglied.
Die Fraktionschefin der Bündnisgrünen im Bundestag, Renate Künast, sprach von „Menschenverachtung“.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl und der SPD-Politiker Vural Öger forderten unterdessen ein Parteiausschlußverfahren gegen Sarrazin. Er sei entsetzt über die Wortwahl des ehemaligen Finanzsenators und hoffe, daß die Geschichte Konsequenzen habe, sagte Öger im WDR.
Sarrazin selbst hatte sich bereits am Donnerstag für seine Äußerungen entschuldigt: „Die Reaktionen, die mein Interview verursacht hat, zeigen mir, daß nicht jede Formulierung in diesem Interview gelungen war. Das bedauere ich“, sagte er der Berliner Morgenpost.
Baring: „Jeder, der Klartext redet, wird niedergemacht“
Inzwischen sprangen auch andere Prominente dem in Bedrängnis geratenen Bundesbankvorstandsmitglied bei. Der Politikwissenschaftler Arnulf Baring sagte Bild Online, Deutschland habe ein massives Problem mit Einwanderern aus der Türkei und dem arabischen Raum. „In der Sache kann Sarrazin niemand widerlegen“, so Baring, doch „im Lande der Leisetreter und der politischen Korrektheit wird jeder, der Klartext redet, gleich niedergemacht“.
Der Publizist Ralph Giordano äußerte gegenüber derselben Internetzeitung, Sarrazin habe „zu Recht auf die haarsträubenden Zustände in den Parallelgesellschaften“ hingewiesen. Multikulti-Illusionisten, professionellen Gutmenschen und Sozialromantikern jedoch dürfe man nicht nachgeben und sich mundtot machen lassen. „Seien wir doch froh über einen, der Sinnvolles und Richtiges in provokanter Form ausspricht!“ meinte der Buchautor Henryk M. Broder. (krk/ru)