BERLIN. Die Kandidatin der SPD für die Bundespräsidentenwahl, Gesine Schwan, hat sich der Meinung von DGB-Chef Michael Sommer über zu erwartende soziale Unruhen angeschlossen.
Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, könne sich die Politikerin vorstellen, daß „in zwei bis drei Monaten die Wut der Menschen“ deutlich wachse. Bleibe dann die Hoffnung aus, daß sich die Lage verbessert, „kann die Stimmung explosiv werden“, meinte Schwan. Wenn in der jetzigen Wirtschaftskrise nicht gegengesteuert wird, könne dies sich zu einer Gefahr für die Demokratie auswachsen.
Der Gewerkschaftsvorsitzende Sommer hatte Politik und Wirtschaft davor gewarnt, die Krise auf dem Rücken der Beschäftigten auszutragen. Massenentlassungen wären demnach eine „Kampfansage“ an Arbeitnehmer und Gewerkschaften. Der erwartete Rückgang der Wirtschaftsleistung um sechs Prozent sei vergleichbar mit den Zahlen der Wirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre, sagte Sommer.
Historiker widersprechen
Das habe die bekannten Folgen gehabt, meinte der DGB-Chef unter Anspielung auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933. Historiker wiesen jedoch darauf hin, daß es während der Weimarer Republik kein soziales Netz gab, welches dem heutigen vergleichbar wäre.
Scharfe Kritik an Schwans und Sommers Äußerungen kam unter anderem vom bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU). Wer Ängste vor sozialen Unruhen schüre, betreibe „das Geschäft von Rattenfängern am rechten und linken politischen Rand“, sagte Seehofer der in Passau erscheinenden Neuen Presse.
Auch führende Sozialdemokraten widersprachen ihrer Präsidentschaftskandidatin. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor Panikmache. Die Politik habe sich als handlungsfähig erwiesen. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) verwies auf den funktionierenden Sozialstaat in Deutschland, durch den die Möglichkeit gegeben sei, „mit schwierigen Situationen klarzukommen“.
<---newpage---> Zustimmung von der NPD
Zustimmung erhielten Sommer und Schwan dagegen von Norbert Walter, dem Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Proteste seien seiner Meinung nach nicht ausgeschlossen. Der soziale Friede – ein wesentlicher Faktor für die politische Stabilität – sei dann in Gefahr, sagte Walter dem ZDF.
Der Vorsitzende der Gewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE), Hubertus Schmoldt, warnte dagegen vor derartigen Horrorszenarien. Gefragt nach möglichen sozialen Unruhen sagte Schmoldt gegenüber dem NDR, die gemeinsame Aufgabe sei es, „genau das zu verhindern“.
Einer Meinung mit der SPD-Präsidentschaftskandidatin ist auch die sächsische Landtagsfraktion der NPD. Ihre Warnungen „vor möglicherweise bevorstehenden sozialen Unruhen“ seien „mehr als berechtigt“, teilte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Johannes Müller mit. Seine Partei sehe sich durch die Krise in ihrer Globalisierungskritik bestätigt und werde dies auch entsprechend während der kommenden Wahlkämpfe artikulieren.
Wirtschaftsforscher sehen schwarz
Bei der Vorstellung ihrer Frühjahrsgutachten am Donnerstag erwarteten die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute für dieses Jahr einen Rückgang des Wirtschaftswachstums um sechs Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Auch für das Jahr 2010 werde „noch nicht mit einer durchgreifenden wirtschaftlichen Erholung“ gerechnet.
Die Erfahrungen vergangener Rezessionen zeigten, daß diese besonders hartnäckig seien, wenn sie mit Banken- und Immobilienkrisen einhergingen. Die Rezession sei jetzt in allen Teilen der Realwirtschaft angekommen, heißt es in der Gemeinschaftsdiagnose. „Die noch vor uns liegenden Auswirkungen der Krise wie die Arbeitslosigkeit sind noch nicht überstanden“, so einer der Forscher.
Von neuen Konjunkturprogrammen rieten die Wirtschaftswissenschaftler jedoch ab. Die beschlossenen Pakete müßten erst einmal wirken, mahnten sie. „Wir gehen davon aus, daß im dritten Quartal die Investitionsprogramme anlaufen“, sagte Roland Döhrn vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung.
<---newpage---> „Extrem schlechte konjunkturelle Grundtendenz“
Die Gutachter erinnerten in ihrem Bericht auch an die staatliche Verschuldung: Das Defizit der öffentlichen Haushalte werde in diesem Jahr voraussichtlich um 3,7 Prozent ansteigen und im kommenden sogar 5,5 Prozent erreichen. Dieses strukturelle Staatsdefizit gelte es mittelfristig wieder abzubauen.
Wegen der „extrem schlechten konjunkturellen Grundtendenz“ rechnen die Institute mit einem beschleunigten Abbau der Beschäftigung in Deutschland. Im Jahr 2009 sei mit einem Verlust von mehr als einer Million Arbeitsplätze zu rechnen. Für den Herbst erwarten die Konjunkturforscher insgesamt über vier Millionen Arbeitslose, durchschnittlich sollen dieses Jahr 3,7 Millionen Menschen arbeitslos sein.
Auch 2010 werde der Beschäftigungsabbau weitergehen, sagen die Wirtschaftswissenschaftler voraus. Mit knapp unter fünf Millionen Arbeitslosen bis zum Ende des nächsten Jahres werde demnach gerechnet. Das zunehmende Arbeitsplatzrisiko dürfte sich auch auf den privaten Konsum auswirken. Wenn wie in der Prognose vorhergesagt bis Ende dieses Jahres die privaten Haushalte deutlich weniger konsumieren werden, ziehe dies in der Folge wiederum die gesamtwirtschaftliche Produktion erneut nach unten, so die ernüchternde Bilanz der Institute. (vo)