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Dramatische Lage: Christen: Verfolgte ohne laute Lobby

Dramatische Lage: Christen: Verfolgte ohne laute Lobby

Dramatische Lage: Christen: Verfolgte ohne laute Lobby

Weltweit werden rund 380 Millionen Christen verfolgt. Trotzdem ist das Thema in der deutschen und westlichen Öffentlichkeit kaum präsent.
Weltweit werden rund 380 Millionen Christen verfolgt. Trotzdem ist das Thema in der deutschen und westlichen Öffentlichkeit kaum präsent.
Ägyptische Christen räumen ihre von Islamisten geplünderte und niedergebrannte Kirche in der Provinz Minya auf. Foto: picture alliance / AP Photo | Roger Anis
Dramatische Lage
 

Christen: Verfolgte ohne laute Lobby

Hunderte Millionen Christen leiden weltweit unter Gewalt und Diskriminierung. Auch in Europa wird die Luft dünner. Betroffene sowie Hilfsorganisationen schildern in der JUNGEN FREIHEIT ihre Erfahrungen – und was sie sich vom Abendland und der Bundesregierung erhoffen.
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Wenn Obiora Ike morgens das Haus verläßt, muß er fürchten, abends nicht zurückzukehren. Zu groß und zu zahlreich sind die Bedrohungen, denen er als Christ in seinem Heimatland Nigeria ausgesetzt ist. „Vertreibungen, Entführungen, Massaker, bei denen ganze Dorfbevölkerungen ausgelöscht werden – für Christen gibt es in Nigeria keine Sicherheit“, schildert der katholische Priester der JUNGEN FREIHEIT die Situation.

Ike gehört zu den Hunderten Millionen Christen weltweit, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden. Eine exakte Zahl zu nennen gestaltet sich schwierig – es fehlt an einer verbindlichen Definition dafür, was unter Verfolgung genau zu verstehen ist.

So geht der Verein Hilfsaktion Märtyrerkirche, der mit Pfarrer Ike zusammenarbeitet, von rund 200 Millionen Christen weltweit aus, „die ständig in Gefahr sind, bedrängt oder verfolgt zu werden“. Das Hilfswerk Open Doors hingegen spricht von mehr als 380 Millionen Christen, die wegen ihres Glaubens „intensiver Verfolgung und Diskriminierung ausgesetzt sind“.

Rangliste der zehn Staaten weltweit, in denen die Verfolgung am stärksten ist. Grafik: JF / Quelle: Open Doors

Weltweit wurden zuletzt 4.500 Christen ermordet

Open Doors veröffentlicht jährlich einen Weltverfolgungsindex, eine Rangliste der 50 Länder, in denen Christen am stärksten verfolgt werden. Pfarrer Ikes Heimatland Nigeria liegt in der Rangliste „nur“ auf Platz sieben – obwohl es für Christen „das gewalttätigste Land der Welt ist“, wie der Leiter von Open Doors Deutschland, Markus Rode, im Gespräch mit dieser Zeitung erläutert. Zwischen Oktober 2023 und September 2024 wurden in Nigeria etwa 3.100 Christen ermordet, global waren es insgesamt etwa 4.500.

Der Grund für die „niedrige“ Einstufung liegt darin, daß Open Doors neben körperlicher Gewalt ebenso berücksichtigt, inwiefern Christen wegen ihres Glaubens in unterschiedlichen Lebensbereichen unter Druck stehen, diskriminiert oder benachteiligt werden. „Um neben der Gewalt auch diese andere Form der Verfolgung zu messen, fließen fünf Lebensbereiche in unsere Betrachtung ein“, erklärt Rode: „das Privatleben, das Familienleben, das gesellschaftliche Leben, das Leben im Staat und das kirchliche Leben.“

Um verläßliche Informationen zu sammeln, greift Open Doors zum einen auf die eigene Forschungsabteilung World Watch Research, eigene lokale Netzwerke und eigene Länderexperten zurück. Zum anderen holt sich die Organisation Unterstützung von externen Experten.

„Die Verfolgung von Christen nimmt von Jahr zu Jahr zu“

„Wir müssen leider feststellen, daß die Verfolgung von Christen von Jahr zu Jahr zunimmt“, berichtet Rode. Er nennt drei Hauptquellen, aus denen sich die Feindseligkeit speist: totalitäre und diktatorische Regime wie in China oder Nordkorea, das im Weltverfolgungsindex den ersten Platz belegt; religiöser Nationalismus wie in der Türkei oder Indien; und islamistische Staaten und Gruppen wie in Subsahara-Afrika, dem Iran oder Afghanistan.

Markus Rode, Leiter von Open Doors Deutschland. Foto: ©Open Doors

 

Wie sieht die Verfolgung konkret aus? In Nordkorea beispielsweise teilt der Staat die Bevölkerung in drei Gruppen ein: den Kern (28 Prozent der Gesellschaft), die Schwankenden (45 Prozent) und die Feindlichen (27 Prozent), zu denen die geschätzt 400.000 Christen (1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung) des Landes zählen.

Open Doors geht davon aus, daß sich Zehntausende Christen in Arbeitslagern befinden, und verweist auf einen Uno-Bericht von 2020 über die zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, die dort stattfinden. Laut dem Bericht werden Frauen in den Lagern vergewaltigt und bei Schwangerschaften gezwungen, ihre Kinder abzutreiben. Christliche Männer werden geschlagen oder anderweitig mißhandelt.

In Nordkorea droht die Hinrichtung

Außerhalb der Arbeitslager stehen willkürliche Verhöre durch die Polizei und den Geheimdienst für alle Bürger auf der Tagesordnung. Wer in den Verhören als Christ identifiziert wird, muß damit rechnen, ins Arbeitslager oder in abgelegene Bergregionen geschickt zu werden. Zudem durchsuchen die Polizei und der Geheimdienst ohne Vorwarnung die Wohnungen der Bürger. Finden sie christliches Material, stufen sie das als Verbrechen gegen den Staat ein. Zur Strafe kann die gesamte Familie verbannt, verhaftet oder sogar hingerichtet werden.

Jede Form der Religionsausübung gilt als Akt der Untreue, und das Volk wird von klein auf geschult, Feinde des Regimes zu melden. In den Schulen ermutigen die Lehrer die Schüler dazu, ihre Eltern zu denunzieren. Viele christliche Eltern warten daher, bis ihre Kinder das Jugendalter erreicht haben, ehe sie mit ihnen über ihren Glauben sprechen.

Demselben Ziel der totalen Überwachung dient das System „Inminban“, die kommunistische Nachbarschaftswache, mit dem Abweichler von der Staatsideologie in jedem Häuserblock aufgespürt werden sollen. Wer christliche Verwandte hat, wird ebenfalls streng überwacht, erhält keinen Zugang zu höherer schulischer sowie universitärer Bildung und darf weder der Armee noch der herrschenden Einheitspartei beitreten.

Hindu-Nationalisten setzen Andersgläubige unter Druck

Während die Christenverfolgung in Nordkorea auf der totalitären kommunistischen Ideologie beruht, ist in Indien der religiöse Nationalismus maßgeblich. Obwohl in dem laut Verfassung säkularen Staat, der im Weltverfolgungsindex den elften Platz belegt, offiziell Religionsfreiheit herrscht, geraten die indischen Christen seit Jahren mehr und mehr in Gefahr.

Extremistische Hindu-Nationalisten wollen den Hinduismus zur Staatsreligion machen und ihr Land vom Christentum – ebenso vom Islam – säubern. Die Kräfteverhältnisse lassen sich erahnen: Hindus machen knapp 75 Prozent der Bevölkerung aus, Moslems knapp 15 Prozent, Christen rund 5 Prozent.

Eine der Hauptstrategien zur Unterdrückung der christlichen Gemeinschaft ist die Anwendung von Anti-Bekehrungs-Gesetzen, die in 11 von 28 Bundesstaaten in Kraft sind. Diese Gesetze erschweren es Christen, ihren Glauben frei auszuüben, und werden häufig mißbraucht, um Christen der Zwangsbekehrung zu bezichtigen. Selbst die Teilnahme an einem Gottesdienst oder das Beten im öffentlichen Raum kann zu Verhaftungen und körperlicher Gewalt führen. Auch die Verbreitung des Evangeliums ist im Land zunehmend gefährdet, da christliche Missionare oft strafrechtlich verfolgt werden.

Christliche Kinder werden gemobbt und belästigt

Besonders betroffen sind christliche Konvertiten hinduistischer Herkunft, die oft unter starkem sozialen Druck stehen, zum Hinduismus zurückzukehren. Diese Konvertiten werden häufig mit Drohungen, Diskriminierung und körperlicher Gewalt konfrontiert, was sich auch auf ihre Familien auswirkt.

Viele christliche Kinder, insbesondere die von Konvertiten, müssen in den Schulen an hinduistischen Ritualen teilnehmen und sind zunehmend Opfer von Mobbing und Belästigungen. Zudem sind Taufen im Freien mittlerweile so riskant, daß sie nur noch in Verstecken durchgeführt werden können, da sowohl die Pastoren als auch die Täuflinge Angst haben müssen, verhaftet zu werden.

Die staatliche Kontrolle und die Überwachung von christlichen Aktivitäten haben sich zusehends verschärft. So ist es für ausländische Christen nahezu unmöglich, ein Visum zu erhalten, um in Indien als Missionare zu arbeiten. Auch christliche Organisationen, die Unterstützung aus dem Ausland erhalten, sind durch ein Gesetz zur Regulierung ausländischer Spenden stark eingeschränkt. Der Druck auf die christliche Gemeinschaft wird durch eine feindliche Medienlandschaft verstärkt, die von hindu-extremistischen Gruppen beeinflußt wird und gegen Christen agitiert.

In Nigeria breitet sich der Islamismus aus

Ähnlich bedrückend ist die Situation für Pfarrer Ike und seine Glaubensbrüder in Nigeria. Im bevölkerungsreichsten Land Afrikas, 230 Millionen Einwohner, ist vor allem der Islamismus das Motiv hinter der Verfolgung der Christen.

„Im Norden gilt bereits in vielen Bundesstaaten die Scharia. Aber nun drängt der Islamismus auch in die anderen Landesteile“, erzählt Ike. „Im Westen soll in vielen Bundesländern jetzt ebenfalls die Scharia eingeführt werden.“ Dschihadistische Milizen wie Boko Haram, der Islamische Staat in der Provinz Westafrika (ISWAP) oder militante Gruppen aus den Fulani, einem ursprünglich nomadisierenden Hirtenvolk, greifen immer wieder christliche Dörfer an und vertreiben die Christen aus ihren landwirtschaftlichen Gebieten. Immer wieder kommt es zu Entführungen.

Mit dem islamistischen Motiv vermischen sich ethnische Konflikte, Korruption und das organisierte Verbrechen. Viele nigerianische Christen sind inzwischen in andere Länder geflohen oder zu Binnenflüchtlingen geworden.

Es gibt auch positive Entwicklungen

Der Missionsleiter des Vereins Hilfsaktion Märtyrerkirche, Pastor Manfred Müller. Foto: ©Helge Döker

Trotz der dramatischen Lage ist Ike überzeugt: „Die Christen in Nigeria geben nicht auf. Sie sind stark.“ Er selbst hat zwei Waisenhäuser gegründet. In seiner Pfarrei sind über 5.000 Binnenflüchtlinge untergebracht.

Unterstützung bekommt er vom eingangs erwähnten Verein Hilfsaktion Märtyrerkirche, der weltweit Projekte organisiert und finanziert, um verfolgten Christen zu helfen. Zur Situation in Nigeria sagt der Missionsleiter des Vereins, Pastor Manfred Müller, der JF: „Für uns ist Nigeria das Land, in dem die Situation für Christen am schlimmsten ist. Nirgendwo werden mehr Christen ermordet als hier. In Nigeria gibt es eine Art orchestrierten, fast militärischen Kampf gegen weiche Ziele wie Kirchen, Kindergärten oder Schulen. Im Norden liefern sich militante Gruppen aus den Fulani und und Boko Haram einen Wettbewerb, wer die stärkere Terrorgruppe ist.“

Auch außerhalb von Nigeria habe sich die Lage für Christen „bestimmt nicht verbessert“ in den vergangenen Jahren. Gleichwohl weist Müller darauf hin, daß es aus einer langfristigen Perspektive auch einige wenige positive Entwicklungen gibt. „In China geht die Regierung immer noch hart gegen Christen vor. Trotzdem ist es im Vergleich zur Herrschaft Maos besser geworden. Und auch in Kuba ist die Gefahr heute nicht mehr so gravierend wie zu Beginn der Castro-Diktatur in den 1960er Jahren.“

In Europa steigt der Druck ebenfalls

Während Organisationen wie die Hilfsaktion Märtyrerkirche oder Open Doors die Christenverfolgung weltweit in den Blick nehmen, fokussiert sich die Beobachtungsstelle für Intoleranz und Diskriminierung von Christen in Europa (OIDAC) auf den hiesigen Kontinent. Verglichen mit den anderen Weltregionen leben die europäischen Christen in außergewöhnlicher Freiheit – doch auch in Europa nimmt der Druck laut OIDAC merklich zu.

Die NGO aus Wien listet in ihrem aktuellen Jahresbericht 2.444 christenfeindliche Straftaten in Europa auf, die sich für den Beobachtungszeitraum 2023 dokumentieren ließen. Im Vergleich zum Vorjahr, als OIDAC 749 Verbrechen registrierte, handelt es sich um einen Anstieg um mehr als 450 Prozent, wobei der Zuwachs in Deutschland am größten war. Hatte das Bundeskriminalamt (BKA) für 2022 noch 135 christenfeindliche Delikte erfaßt, war die Zahl 2023 mit 277 Straftaten mehr als doppelt so hoch.

Der Großteil der 2.444 Angriffe fällt in die Kategorie Vandalismus. Grafik: JF / Quelle: OIDAC 

Viele Europäer halten ihren Glauben geheim

Nicht enthalten sind im OIDAC-Bericht die Erkenntnisse des BKA für 2024, die die Behörde im Januar veröffentlichte: Erneut stiegen die christenfeindlichen Delikte an, um rund 20 Prozent auf 337 Straftaten. Insgesamt liegt Deutschland bei den christenfeindlichen Verbrechen auf Platz drei in Europa. Anführer der Statistik ist Frankreich, auf Platz zwei landete Großbritannien.

Doch auch abseits der Straftaten sind europäische Christen immer häufiger Diskriminierung und einer Einschränkung ihrer Religionsfreiheit ausgesetzt, stellt OIDAC fest. So müßten Christen, die sich am Arbeitsplatz zu ihren religiösen Überzeugungen bekennen, mit Anfeindungen, Mobbing oder sogar Jobverlust rechnen. Um Nachteile zu vermeiden, hielten deshalb viele ihren Glauben im Berufsleben oder in der Universität geheim.

Ferner verletzten etwa die Bannmeilen rund um Abtreibungskliniken in Großbritannien und Schottland, die es Christen verbieten, in der Nähe der Kliniken zu protestieren oder zu beten, die Religionsfreiheit. Angesichts der negativen Entwicklungen fordert OIDAC von Europas Regierungen, sich stärker für die Rechte von Christen einzusetzen.

„Warum üben die westlichen Staaten keinen Druck aus?“

Mehr Unterstützung aus dem Westen für die verfolgten Christen weltweit wünschen sich auch Obiora Ike, Markus Rode und Manfred Müller. „Warum üben die westlichen Staaten keinen Druck auf die nigerianische Regierung aus, die viel zuwenig für die verfolgten Christen im Land tut?“ fragt Pfarrer Ike. „Gegen Rußland hat der Westen nach dem Angriff auf die Ukraine Sanktionen verhängt. Das könnte er bei der nigerianischen Regierung auch tun.“

Und Deutschland? „Die Regierung Scholz hat, soweit wir das nachvollziehen können, nichts getan für die verfolgten Christen“, kritisiert Open-Doors-Leiter Rode. Im Koalitionsvertrag der Ampel kam das Wort „Christen“ nicht vor. Der Bundesbeauftragte für weltweite Religionsfreiheit, Frank Schwabe (SPD), legte den Fokus auf den Schutz indigener Völker.

Dagegen heißt es im neuen Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD: „Insbesondere der Schutz der weltweit größten verfolgten Gruppe, der Christen, ist von besonderer Bedeutung.“ Rode hofft daher, daß sich die neue, christdemokratisch geführte Regierung wieder mehr für die verfolgten Christen engagiert. Pastor Müller von der Hilfsaktion Märtyrerkirche ist weniger optimistisch. „Ich habe da keine zu großen Erwartungen“, sagt er.

Mit dem CDU-Politiker Thomas Rachel hat Schwarz-Rot soeben einen neuen Bundesbeauftragten für Religions- und Weltanschauungsfreiheit berufen. Ob und welche konkreten Maßnahmen er plant, um verfolgten Christen zu helfen, ließ er auf Nachfrage der JF offen.

Aus der JF-Ausgabe 25/25. 

Ägyptische Christen räumen ihre von Islamisten geplünderte und niedergebrannte Kirche in der Provinz Minya auf. Foto: picture alliance / AP Photo | Roger Anis
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