PARIS. Per Mißtrauensvotum haben der Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen und die linken Parteien die Minderheitsregierung in Frankreich zu Fall gebracht. Die Mehrheit fiel deutlich aus: 331 der 577 Abgeordneten entzogen dem Kabinett das Vertrauen. Es ist das erste Mal seit 1962, das eine französische Regierung über einen Mißtrauensantrag zu Fall gebracht wird. Das waren weder Le Pen noch Präsident Emmanuel Macron geboren.
Premierminister Michel Barnier von den Republikanern ist damit sein Amt los. Er und seine gesamte Regierung müssen unverzüglich ihren Rücktritt bei Macron einreichen. Barnier und sein Kabinett waren lediglich drei Monate im Amt – absoluter Negativrekord der Nachkriegsgeschichte. Seine gaullistische Partei war bei der erst im Juli abgehaltenen Nationalversammlungswahl auf sechs Prozent abgestürzt. Trotzdem ernannte Macron ihn zum Regierungschef.
Das Staatsoberhaupt steht damit vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe. Eine Neuwahl des Parlaments ist erst im nächsten Sommer wieder möglich. Daß Macron eine neue Minderheitsregierung durch die Nationalversammlung bringt, gilt als unmöglich. Und das in einer bedrohlichen Lage: Frankreichs weist mit 3.228 Milliarden Euro eine extrem hohe Staatsverschuldung auf. Kein anderes Land der EU steht tiefer in der Kreide.
Der neue Haushalt sollte, wenn auch nur dezente, Einsparungen vornehmen. Barnier wollte die Neuverschuldung von jährlich sechs auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung drücken. Wie sich Frankreich ohne Regierung einen neuen Etat geben soll, ist nun völlig unklar – zumal bei den Mehrheitsverhältnisse,
Frankreich wird wohl ohne Regierung bleiben
Damit wäre die tiefe politische Krise perfekt. Frankreich wird mit Ausnahme des Präsidenten nicht mehr regiert. Denn weder Macrons Partei mit ihren Verbündeten noch die Linken oder der RN verfügen über eine eigene Mehrheit. Le Pen hatte sich auf eine Duldung der Minderheitsregierung eingelassen. Daß sie es noch einmal tut, scheint alles andere als wahrscheinlich. Die Fronten zwischen allen Lagern sind verhärtet.
Bis zuletzt hatten Barnier und Macron gehofft, daß der Antrag keine Mehrheit findet. In der zweistündigen hitzigen Debatte sagte der Premierminister: „Ich habe keine Angst.“ Er appellierte an die Vernunft und das Verantwortungsgefühl der Abgeordneten. Letztlich stimmten aber sogar Abgeordnete seiner eigenen Partei gegen ihn.
Auch Präsident Macron hatte sich während seines dreitägigen Staatsbesuchs in Saudi-Arabien zu Wort gemeldet und die Lage offenbar unterschätzt. Er sprach davon, daß er sich einen Sturz der Regierung nicht vorstellen könne. Kurz nach dem Mißtrauensvotum forderten die Linken auch seinen Rücktritt. Doch Macron beharrte darauf, im Elysée-Palast zu bleiben. Seine Amtszeit endet regulär erst 2027.
Premier hatte Parlament brüskiert
Auslöser für das Mißtrauensvotum war die Entscheidung des Premierministers vom Montag, den Sozialhaushalt Frankreichs an der Nationalversammlung vorbei zu verabschieden. Dafür berief sich Barnier auf den Verfassungsartikel 49.3. Juristisch war das möglich, aber gleichzeitig ein Affront gegen die Abgeordneten.
Die Linksparteien waren noch während der Rede des Premiers aus dem Parlament ausgezogen und kündigten das Mißtrauensvotum an. Kurz darauf schloß sich Le Pen an. (fh)