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250.000 neue Arbeitskräften pro Jahr: „Antirassistische“ Spanier und das Migrationsproblem

250.000 neue Arbeitskräften pro Jahr: „Antirassistische“ Spanier und das Migrationsproblem

250.000 neue Arbeitskräften pro Jahr: „Antirassistische“ Spanier und das Migrationsproblem

Auf einem Boot sitzen viele afrikanische Migranten – sie kommen nachts an der spanisch-kanarischen Insel El Hierro an. Viele Spanier, unter anderem die Regierung, sind nach wie vor davon angetan
Auf einem Boot sitzen viele afrikanische Migranten – sie kommen nachts an der spanisch-kanarischen Insel El Hierro an. Viele Spanier, unter anderem die Regierung, sind nach wie vor davon angetan
An der spanisch-kanarischen Insel El Hierro kommen afrikanische Migranten an / Foto: picture alliance / abaca | Europa Press/ABACA
250.000 neue Arbeitskräften pro Jahr
 

„Antirassistische“ Spanier und das Migrationsproblem

Spaniens Regierung plant die Masseneinbürgerung von Migranten. Hunderttausende sollen einen spanischen Paß bekommen, um den Fachkräftemangel und die Überalterung zu bekämpfen. Doch Ökonomen warnen, und die rechte Vox-Partei versucht, das Ruder herumzureißen.
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Cato, Palmer, Exklusiv

Spaniens sozialistische Regierung steht unter Druck. Schon seit zwei Monaten fordert die Opposition den Rücktritt von Ministerpräsident Pedro Sanchéz, der in einen Korruptionsskandal um den ehemaligen Verkehrsminister José Luis Ábalos verwickelt sein soll. Sanchéz bestreitet die Vorwürfe – und arbeitet weiter konsequent daran, seine politischen Ziele zu verwirklichen.

Das gilt insbesondere für die Einwanderungspolitik. Der Regierungschef und sein Partido Socialista Obrero Español (PSOE; Spanische Sozialistische Arbeiterpartei), der gemeinsam mit dem linken Parteienbündnis Sumar eine Minderheitsregierung bildet, halten eisern an ihrem Willkommenskurs fest. „Wir Spanier sind die Kinder der Einwanderung, wir werden nicht die Eltern der Fremdenfeindlichkeit sein“, mahnte Sanchéz jüngst im Parlament. Seine Migrationsministerin Elma Saiz sagte der Zeitung El Pais: „In Spanien reicht es nicht mehr, nicht rassistisch zu sein. Man muß antirassistisch sein.“

300.000 illegale Einwanderer pro Jahr sollen bleiben – mindestens

Kurz zuvor war Saiz mit einem Lächeln vor die Kameras getreten und hatte eine umfassende Reform der Ausländerverordnung verkündet. Ab Mai will die Regierung jährlich etwa 300.000 illegalen Einwanderern eine Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis erteilen. Von den neuen Regeln, die vorerst bis 2027 gelten sollen, werden neben Studenten, Familien und ausländischen Arbeitssuchenden vor allem abgelehnte Asylbewerber profitieren.

Sie müssen lediglich die Voraussetzung erfüllen, sich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Verordnung länger als sechs Monate illegal im Land aufgehalten zu haben. Wie viele Migranten derzeit illegal in dem 48-Millionen-Einwohner Land leben, ist unklar. Allerdings gibt das Innenministerium an, daß allein im laufenden Jahr 54.000 Migranten ohne gültige Papiere in Spanien ankamen.

Zusammengerechnet wurden in Spanien gemäß Eurostat, dem statistischen Amt der EU, seit 2015 etwa 800.000 Asylanträge gestellt. Im ersten Halbjahr 2024 waren es knapp 90.000. Das Land zählt in dieser Kategorie zu den Spitzenreitern in der EU.

Migranten müssen vor November 2021 ins Land gekommen sein

Bereits im Oktober war Regierungschef Sanchéz nach Afrika gereist und hatte mit Mauretanien, Senegal und Gambia Abkommen über die sogenannte zirkuläre Migration unterzeichnet. Die Vereinbarungen richten sich an Migranten, die als Saisonarbeiter nach Spanien kommen und danach wieder in ihr Heimatland zurückkehren, „mit der vertraglich festgelegten Garantie, daß sie in der folgenden Saison wieder einberufen werden“, wie das Innenministerium mitteilte. Wie viele Einwanderer jährlich über diesen Weg kommen sollen, ist in den Abkommen nicht festgelegt.

Ein anderes geplantes Gesetz sieht dagegen eine sehr konkrete Zahl vor. Im April nahm das spanische Unterhaus mit großer Mehrheit – einzig die Rechtspartei Vox stimmte dagegen – eine Volksinitiative an, die für 500.000 illegale Migranten einen legalen Aufenthaltsstatus fordert. Einzige Bedingung: Die Migranten müssen vor November 2021 ins Land gekommen sein. Noch ist offen, wann der Senat, die zweite Kammer des spanischen Parlaments, über das Vorhaben abstimmt.

Für ihren migrationsfreundlichen Kurs führt die Regierung zwei Gründe an. Zum einen appelliert sie an die Menschlichkeit und verweist auf Zeiten, in denen Hunderttausende Spanier selbst auswanderten, um in anderen Ländern ein besseres Leben zu suchen, beispielsweise während der Franco-Diktatur oder im Zuge der Wirtschaftskrise 2012.

Babyboomer gehen in Rente

Das noch häufiger vorgebrachte Argument ist die Überalterung der Gesellschaft und der vermeintliche Fachkräftemangel. Von 250.000 benötigten neuen Arbeitskräften pro Jahr spricht Migrationsministerin Saiz. Der Ökonom Javier Díaz-Giménez erläuterte jüngst, in den kommenden 20 Jahren „werden den aktuellen Berechnungen zufolge 14,1 Millionen Spanier in den Ruhestand gehen“.

Die Masseneinwanderung sei alternativlos, „wenn das Bruttoinlandsprodukt wachsen soll und wir die Rente für all die Babyboomer bezahlen wollen, die bald in den Ruhestand gehen“, betonte Díaz-Giménez. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam im April auch die spanische Zentralbank und veröffentlichte einen Bericht, wonach Spanien in den kommenden 30 Jahren etwa 25 Millionen Einwanderer benötige.

Eine andere Position vertritt die Ökonomin Carmen Gonzales Enriques von der Denkfabrik „Real Instituto Elcano“. Sie führte Anfang des Jahres aus, daß der Großteil der Einwanderer in Wirtschaftssektoren mit niedriger Produktivität arbeite und die Beschäftigungsquote der Einwanderer unter der der heimischen Bevölkerung liege.

Rechtspartei Vox kann bei den Wählern nur bedingt punkten

Durch die Einwanderung seit der Jahrtausendwende sei die Bevölkerung um 20 Prozent gewachsen, ohne daß sich die Wirtschaftsleistung pro Kopf den europäischen Nachbarländern angenähert habe. „Wir müssen neu über den Zusammenhang zwischen Einwanderung und dem wirtschaftlichen und sozialen Modell nachdenken, das unser Land will“, forderte sie – und wies darauf hin, daß die hohen Einwanderungszahlen nicht nur auf die Entscheidungen der Sozialisten, sondern ebenso auf die Regierungszeit des christdemokratischen Partido Popular (PP; Volkspartei) zurückgehen.

Die einzige Partei, die sich gegen die Massenmigration ausspricht – 2024 stieg der Ausländeranteil laut dem Nationalen Statistikinstitut auf den Rekordwert von 13,5 Prozent –, ist die rechte Vox. Allerdings richten sich deren Vorbehalte nicht gegen Einwanderer per se, sondern vor allem gegen Migranten aus afrikanischen und muslimischen Ländern.

Lateinamerikaner heißt die Rechtspartei um ihren Vorsitzenden Santiago Abascal aufgrund der gemeinsamen Kultur, Geschichte und Sprache ausdrücklich willkommen. Bei den Wählern punktet die Vox trotz dieses differenzierten Ansatzes nur bedingt. Dem Portal Politico zufolge liegen Abascal und Co. in den Umfragen gegenwärtig bei 14 Prozent. Das wäre im Vergleich zur Parlamentswahl 2023 ein Zuwachs um zwei Prozentpunkte. Der Rückstand auf den PSOE (in den Umfragen bei 28 Prozent) und den PP (34 Prozent) fiele jedoch nach wie vor gewaltig aus.

Aus der JF-Ausgabe 51/24. 

An der spanisch-kanarischen Insel El Hierro kommen afrikanische Migranten an / Foto: picture alliance / abaca | Europa Press/ABACA
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