Der „amerikanische Glaube“ als Machtfaktor: Henry Kissinger – ein Machtmensch des 20. Jahrhunderts

Der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger ist tot Foto: picture alliance / SvenSimon | SVEN SIMON

Der „amerikanische Glaube“ als Machtfaktor

Henry Kissinger – ein Machtmensch des 20. Jahrhunderts

Ausland

30. November 2023

Autor: Karlheinz Weißmann

12 Kommentare

Die Graue Eminenz einflußreicher US-Politiker, Henry Kissinger, ist tot. Der in Deutschland Geborene war prägend für die Außenpolitik der USA im 20. Jahrhundert. Die Nähe des Machtmenschen Kissinger zu Machiavelli und Bismarck ist nicht zu leugnen. Ein Nachruf von Karlheinz Weißmann.

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Kommentare

Ernuwieder sagt:

1. Dezember 2023 um 11:13 Uhr

„amerikanischer Glaube“ – das trifft es sehr gut.
Der „Amerikanische Traum“ ist (bzw. war?) der Kitt, der die US-„Nation“ zusammenhält.

Somit sind die USA, ähnlich wie es die Sowjetunion war, ein Ideologiestaat.

Das ist das Gegenmodell zu den traditionellen europäischen Nationalstaaten.

Nationalstaaten haben sich aus den „Stammesgesellschaften“ des alten Europas entwickelt:

Es gab ein vorher vorhandenes Zusammengehörigkeitsgefühl der späteren Staatsvölker, das nicht ausschließlich, aber großenteils aus einer Abstammungs-, Sprach- und Schicksalsgemeinschaft bestand.
Die Bürger „gehörten dazu“, über alle politischen und weltanschaulichen Meinungsverschiedenheiten hinweg.

Solche Liberalität hat es in „Ideologienationen“ normalerweise schwer: Dort muß man „mitmachen“ bei der herrschenden Ideologie oder sich ihr zumindest unterwerfen. Es ist ein erzwungener Konsens.

Das Besondere am „amerikanischen Glauben“ ist, daß die Ideologie ja gerade in maximaler individueller Freiheit besteht.
Von Repression und Ausgrenzung sind dann nur Wenige betroffen.
Somit spüren es die US-Bürger i.d.R. nicht, daß sie in einem Ideologiestaat leben, bzw. bejahen den „amerikanischen Glauben“ aufrichtig.
1. Ernuwieder sagt:
  
  1. Dezember 2023 um 12:16 Uhr
  
  Somit sind Nationalismus und Imperialismus übrigens geradezu Gegensätze.
  
  Der Nationalist will „für sich“ sein, seine Nation als ein Biotop des gegenseitigen Vertrauens unter Staatsbürgern in einer chaotischen, latent vertrauensunwürdigen bis feindlichen Welt ein Stück weit abkapseln.
  Er läßt also Andere in Ruhe, sofern er nicht selbst angegriffen wird.
  
  Der Imperialist will dagegen alle Welt mit seiner Heilslehre beglücken. Er ist expansiv und unterwerfend.
  
  In Deutschland hatte der selbstbezogene Nationalismus nach der traumatischen Ausgrenzungserfahrung samt Niederlage im Ersten Weltkrieg Hochkonjunktur. („deutsche Nabelschau“)
  
  Das war jedoch nicht immer so:
  Zur Kaiserzeit war Deutschland durchaus Kolonial-, also Imperialmacht mit Sendungsbewußtsein gewesen. Aus dieser Zeit stammt das Diktum vom „deutschen Wesen“, an dem die Welt genesen sollte.
  Das „deutsche Wesen“ war quasi die Entsprechung zum „amerikanischen Glauben“.
  Mit Hilfe des exportierten „deutschen Wesens“, also der deutschen Mentalität als „Entwicklungshilfe“ sollte es den afrikanischen Völkern gelingen, ein funktionierendes, modernes Staatswesen zu bilden wie es das deutsche Kaiserreich gewesen war.
2. Ernuwieder sagt:
  
  1. Dezember 2023 um 12:20 Uhr
  
  Übrigens versucht sich auch die heutige Bundesrepublik wieder als Imperialmacht.
  
  Allerdings ist der heutige „deutsche Glaube“ paradoxerweise autoaggressiv. Er setzt auf eine geradezu religiös-obsessiv, exorzistisch begangene „Vergangenheitsbewältigung“ als Vorstufe zu einer euphorischen Selbstabschaffung und Selbstauflösung.
  
  Diese „Erinnerungskultur“ wird bundesdeutscherseits auch anderen Nationen wärmstens anempfohlen.
  
  Gemäß dieser neuen deutschen bzw. bundesrepublikanischen Ideologie besteht das Endziel in einem globalen Weltstaat, der keine Bürger mehr kennt, sondern nur noch Menschen.
  (Und entsprechend dann auch keine hochwertigen Bürgerrechte mehr, sondern nur noch die Sparversion der allgemeinen Menschenrechte.)
  
  Und alle diese Menschen kommunizieren dann in einem maximal simplen, holperigen Baerbock-Englisch miteinander, denn der neue „deutsche Glaube“ will nach erfolgreicher Vergangenheitsbewältigung selbst von einer eigenen Sprache nichts mehr wissen.
  
  Und von Macht, Selbstbestimmung und Demokratie auch nichts mehr.
  Denn wir werden dann wohl umsorgt sein, durch philanthropische Multimilliardäre, Konzerne, Vermögensverwalter, Finanzdienstleister und ihre NGO’s.
  1. René de Bakker sagt:
    
    1. Dezember 2023 um 16:31 Uhr
    
    „Diese „Erinnerungskultur“ wird bundesdeutscherseits auch anderen Nationen wärmstens anempfohlen.“
    
    Nur nicht, wenn der Kanzler zu feige ist um sich zu erinnern, wie vor kurzem Erdogan gegenüber. Was hätte er da nicht alles sagen können/müssen? Armenier, Zypern, Kurden, Nagorno-Karabach, Hamas. Und Abbas gegenüber? Und Biden?
Gottfried Hermann Spieth sagt:

1. Dezember 2023 um 2:07 Uhr

Interessant und nachdenkenswert ist die riesige Anteilnahme, die sein Tod in Russland und China auslöst. Offenbar wird er dort als verhältnismäßig ehrlicher Makler in bester Bismarck’scher Tradition gesehen – der zwar nicht ohne eigene (natürlich westliche) Ideologie auskam, diese aber jederzeit in Klammern setzen konnte, falls es die Umstände erforderten. Legendär sein Schwenk 1971 von Taiwan auf Rotchina. Da ließ sich der Verlust von Vietnam mit einem lachenden Auge verkraften. Offenbar haben die Russen es ihm längst verziehen, dass er ihnen die Rot-Chinesen weggeschnappt und auf wirtschaftlicher Ebene quasi ins halb-westliche Lager hinübergezogen hat. Genau dadurch hat er ab Mitte der 1980er eine Blaupause für Gorbatschow vorbereitet, frei nach dem Motto: Schaut her, ihr Russen, es gibt einen Weg, der Sozialismus, Autokratie und wirtschaftlichen Erfolg vereint. Sogar die jetzige sino-russische Annäherung und der Aufstieg von BRICS dürften nicht ohne Kissingers kritische Assistenz zustande gekommen sein – woraus sich die Hoffnung speist, dass hierbei trotz allen Säbelrasselns kein radikaler Ost-West- Gegensatz, sondern ein friedlicher Wettbewerb der Systeme im Vordergrund steht.
Gottfried Hermann Spieth sagt:

1. Dezember 2023 um 0:32 Uhr

Hat er wirklich Anwar el-Sadat ermutigt, am Jom-Kippur-Festtag im Herbst 73 gegen Israel loszuschlagen – in weiser Voraussicht, dass Israel aus der Opfer-Position des Angegriffenen mehr Kapital würde schlagen können, als ohne einen Angriff von aussen? Und falls es 1973 also wirklich eine erfolgreich inszenierte Opferrolle Tel Avivs gab – könnte das nicht als Blaupause für später inszenierte Konflikte Israels mit der Hamas gedient haben – bis hin zum 07. Oktober? Meisterhafte Logik und (Geheim-) Diplomatie Kissingers um mehrere Ecken: Es werden nicht nur äußerlich harte Machtfaktoren verarbeitet, sondern auch „innere“ Werte und weiche Ideale eingebaut. Und zwar deshalb, weil die besonders zielführend sind in der zivilreligiös aufgeladenen Gegenwart. Gerade mithilfe dieser hehren soften Werte (z. B. menschenrechtsbasierte Opferrolle) lässt sich am meisten erreichen in Krieg und Frieden. Allerdings wirft dieses Verfahren ein schlechtes oder zumindest fragwürdiges Bild auf alle politischen Opferlämmer, nicht nur auf die inszenierten, sondern auch auf die echten.
René de Bakker sagt:

30. November 2023 um 20:21 Uhr

Vor dem 2. Irakkrieg haben die Neocons miteinander Thukydides über den griechischen Bürgerkrieg gelesen. Haben herausgeholt, was sie brauchten. Das macht Thukydides nicht zum Vorläufer. So ist es auch mit Machiavelli und Bismarck.

Kissinger:

„Jeder Staatsmann muß danach trachten, das von ihm für richtig Gehaltene an dem Möglichen zu messen. Was für richtig gilt, hängt von der inneren Struktur seines Staates ab. Doch was möglich ist, wird bestimmt von der Kraft und der geographischen Lage des eigenen sowie der Kraft, der Entschlossenheit und der inneren Struktur der anderen Staaten.“

Beschränkt man sich lediglich auf die genannte ‚geographische Lage des eigenen Staates‘, dann sind Deutschland und Amerika möglichst entgegengesetzt. Realpolitik für Bismarck ist aus geographischer Sicht notwendig Friedenspolitik. Realpolitik für Amerika ist die Unterwerfung der ganzen Erde. Ohne das kein Amerika.

Kissingers Wort: „Deutschland. Zu groß für Europa. Zu klein für die Welt.“ zeugt von tragischer Einsicht.

Bismarck und Kissinger haben nichts gemeinsam.

B hat eine schwer bedrohte Nation am Leben gehalten.

K hat eine
Tom_Tailor sagt:

30. November 2023 um 18:52 Uhr

Interessant zu sehen, dass anscheinend auch bei der JF zensiert wird, sofern man einem Kriegsverbrecher kein angenehmes Nachleben wünscht.
1. Merkelfreund sagt:
  
  30. November 2023 um 19:45 Uhr
  
  Wieder so ein Russenkuschler!
  Wann nimmt das ein Ende hier?!
Veronika BatzJevec sagt:

30. November 2023 um 16:50 Uhr

„Politischer Wirklichkeitssinn“
= REALPOLITIK
Widerstandsgewächs sagt:

30. November 2023 um 16:48 Uhr

der leider frühverstorbene Robert Ingrim, der mit der ihm eigenen polemischen Schärfe einmal darauf hingewiesen hat, daß nur „reaktionäre“ Grundsätze eine heilsame Politik garantieren…… So ist es, denn wer will denn den Mensche sogenannter antizipativr Bewegungen folgen, die immer als erstes die Ausgrenzungskeule auspacken! Selbst der „nette “ Femininismus, welcher die Frauen befreieinen wollte, führte als erstes Cafes und Plätze nur für Frauen ein, (Freuenparkplätze gehören auch dazu) , ohne zu reflektieren, das diese Art der Politk gleichzusetzen ist mit apartheid, oder ebend Juden sind hier nicht erwünscht! Die Menscheit besitzt leider nur eine Durchschnitts IQ, welcher es wenigen, die etwas mehr beitzen, einfach macht, zu verführen und zu unterdrücken. Kissinger ist anzurechnen, dass er seine IQ nutzte um vielen Vorteile zu verschaffen, Allen ist ohnehin nicht möglich! machiavellig ohne Lager und Geheimpolizei ist anständiger als jeder Verteilungsozialismus als Kühnert oder Grüne,d er immer nur in Richtung Partei verteilt!
Veronika BatzJevec sagt:

30. November 2023 um 16:04 Uhr

„Power is the greatest APHRODISIAC“!
(Henry Kissinger)