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Geopolitische Lage nach Hamas-Angriff: Der Israel-Krieg und die Großmächte: Ende der Illusionen

Geopolitische Lage nach Hamas-Angriff: Der Israel-Krieg und die Großmächte: Ende der Illusionen

Geopolitische Lage nach Hamas-Angriff: Der Israel-Krieg und die Großmächte: Ende der Illusionen

Auf dem Bild spricht Israels Verteidigungsminister zu seinen Soldaten. (Themenbild)
Auf dem Bild spricht Israels Verteidigungsminister zu seinen Soldaten. (Themenbild)
Israels Verteidigungsminister Joav Gallant: Hält Hamas für „menschliche Tiere“ – eine Darstellung, die für Bruno Bandulet der Gefahr nicht gerecht wird. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Tsafrir Abayov
Geopolitische Lage nach Hamas-Angriff
 

Der Israel-Krieg und die Großmächte: Ende der Illusionen

„Israels 11. September“ hat nicht nur Folgen für das Land selbst, sondern auch für die Geopolitik. Wie weitreichend diese werden, gilt jedoch als ungewiß. Wie könnte die Weltöffentlichkeit auf mögliche Entwicklungen reagieren – und welche Rolle kommt Deutschland zu? Eine Einordnung von Bruno Bandulet.
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Als am Samstag, dem 7. Oktober, Terroristen der Hamas die Grenze des Gazastreifens überschritten, Kibbuzim und Städte und damit den Staat Israel angriffen, müssen ältere Israelis ein Déjà-vu-Erlebnis gehabt haben. Fast genau 50 Jahre zuvor, am 6. Oktober 1973, hatten syrische und ägyptische Streitkräfte von den Golan-Höhen und der Sinai-Halbinsel aus eine Offensive gestartet, die als Jom-Kippur-Krieg in die Geschichte einging. Damals wie heute wurde der Geheimdienst Mossad ebenso überrascht wie die Israel Defense Forces. Sie hatten 1973 den feindlichen Aufmarsch und selbst die im offenen Wüstengelände vorrückenden ägyptischen Panzerkolonnen übersehen.

Mit dem unbegreiflichen Versagen der Aufklärung endet die Analogie aber schon. 1973 war es ein konventioneller Krieg, den Israel brillant gewann. Dieses Mal wird sich nicht so leicht ausmachen lassen, wer am Ende in welcher Hinsicht zu welchem Preis gewonnen oder verloren hat.

Israels Krieg und die arabischen Staaten

Selbstverständlich kann die „Islamische Widerstandsbewegung“, die Hamas, Israel nicht besiegen. Das ist auch nicht Sinn und Zweck von Terror. Terror, eine sehr alte Variante der Kriegsführung, zielt auf die Psyche des Gegners. Bisher konnten sich die Juden in ihrem Staat trotz aller Kriege und Attentate im großen und ganzen sicher fühlen. Sie konnten auf den Schutz der Armee vertrauen. Seit diesem Oktober macht sich eine neue Art von Angst breit. Der Schock ist vergleichbar mit dem des 11. September 2001 in den USA.

Nicht zuletzt für den Westen stellt sich die Frage, ob sich dieser präzedenzlose Konflikt zu einem Flächenbrand ausweiten könnte. Auch hier besteht ein Unterschied zu 1973. Damals stand Israel einer breiten Front gegenüber. Als der arabische Sieg verspielt war, verhängten die Ölproduzenten am Golf ein Embargo. Auf den heißen Krieg folgte der ökonomische. Heute lassen sich die Interessen der arabischen Staaten nicht mehr auf einen Nenner bringen. Zumindest die zwei alten Kriegsgegner fallen aus: Ägypten, das längst seinen Frieden mit dem Nachbarn geschlossen hat, und das nach einem langen Bürgerkrieg geschwächte Syrien. Moskau, 1973 Verbündeter und Waffenlieferant Kairos, pflegt jetzt relativ gute Arbeitsbeziehungen zu Jerusalem. Bleibt als ernstzunehmender Gegner nur das iranische Regime.

Noch beschränkt sich der Schattenkrieg zwischen Israel und Iran, den beiden stärksten Militärmächten im Nahen Osten, auf Cyberattacken und jüdische Kommandoaktionen gegen die nukleare Infrastruktur des unversöhnlichen Feindes. Von der Regierung Netanjahu wurde durchaus schon der Einsatz der Luftwaffe gegen iranische Ziele erwogen, unterblieb aber vor allem deswegen, weil Washington vor einem großen Krieg im Nahen Osten zurückschreckte.

Die Möglichkeiten der Verteidigung

Wie könnte der Gaza-Krieg territorial eskalieren? Am ehesten, wenn die sehr schlagkräftige Hisbollah vom Libanon aus ernsthaft eine zweite Front eröffnet, wenn die amerikanischen Flugzeugträger in die Kämpfe eingreifen und schiitische Milizen die im Irak und Syrien stationierten US-Truppen angreifen. Die Ukraine droht dann auf der Liste der amerikanischen Prioritäten nach unten zu rücken, weil amerikanisches Geld und amerikanische Waffen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Für Kiew ist der Gaza-Krieg in jedem Fall keine gute Nachricht.

Martin van Creveld hat in der vorigen Ausgabe der JUNGEN FREIHEIT über die Falle gesprochen, in die die in Gaza einrückenden israelischen Truppen bei verlustreichen Häuserkämpfen laufen würden. Jetzt soll das Problem offenbar dadurch gelöst werden, daß von den Häusern nur noch Schuttberge übrigbleiben.

Anschließend steht zur Bekämpfung des Tunnelsystems der Hamas die von den USA gelieferte bunkerbrechende 5.000-Pfund-Bombe, die „Mutter aller Bomben“, zur Verfügung. So oder so kann die Hamas dezimiert und auf Jahre hinaus geschwächt, aber schwerlich endgültig besiegt werden. Bei einem Bevölkerungswachstum von 2,8 Prozent im Jahr im Gazastreifen wird sie ihre Verluste leicht wieder ersetzen können.

Kräfteverhältnisse ändern sich

In einem Krieg wird immer auch über die Deutungshoheit gekämpft. Je mehr zivile Opfer die Militäroperation fordert, je größer die humanitäre Katastrophe, desto eher könnte die öffentliche Meinung auch im Westen kippen – selbst in den USA, wo zwar die Republikaner Israel vorbehaltlos unterstützen, wo aber Teile der Demokraten die israelische Palästina-Politik kritisch sehen. Daher auch die Mahnung von Präsident Joe Biden an Jerusalem, das Völkerrecht zu beachten. Vor allem aber rückt der Ausgleich mit Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, auf den der jüdische Staat so große Hoffnungen setzte, in weite Ferne. Riad hat bereits die Gespräche abgebrochen. Genau darauf setzte die Hamas.

Schon jetzt kann festgestellt werden, daß sich die Kräfteverhältnisse in der Region nach der unbestrittenen amerikanischen Hegemonie grundlegend geändert haben. Saudi-Arabien, früher eine sichere Bank der USA, hat sich dem Iran angenähert. In Katar ist die amerikanische Luftwaffe stationiert, was den Emir aber nicht daran gehindert hat, Gaza großzügig zu finanzieren, noch dazu mit Billigung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu – und der protegierte den Aufbau der Hamas, weil er sich eine Konkurrenz zur Fatah erhoffte. Rußland wiederum hat einen guten Draht zu allen Konfliktparteien und könnte Teil einer Lösung sein, wenn die Beziehungen zum Westen wegen des Ukrainekrieges nicht ruiniert wären.

Die Staatsräson ist nicht zu garantieren

Jegliche Illusionen über die Kompromißbereitschaft der Hamas sind unangebracht. Sie sind keine „menschlichen Tiere“, wie der israelische Verteidigungsminister Joav Gallant sagte, sondern kalte Strategen und Profis des Kleinkriegs, die ihren Zielen Vorrang vor dem Wohlergehen der 2,3 Millionen Einwohner von Gaza geben. Im bisher verlustreichsten Krieg nahmen sie 2014 über 2.200 eigene Tote in Kauf, während 84 israelische Soldaten fielen. Im Vergleich dazu wird die Bilanz dieses fünften Waffengangs fürchterlich ausfallen.

Ziemlich hohl ist das deutsche Versprechen, die Sicherheit Israels zu garantieren. Womit denn? Was Deutschland tun konnte, wurde früher getan. In den fünfziger Jahren bewahrten die Wiedergutmachungszahlungen der Regierung Adenauer die noch unterentwickelte israelische Volkswirtschaft vor dem Kollaps. Später sicherte die Lieferung deutscher U-Boote, die mit Atomraketen bestückt wurden, Israel die Fähigkeit zur Abschreckung und zum Zweitschlag. Unter den heutigen Umständen hat Berlin zum Ausgang dieses Krieges so gut wie nichts beizutragen.

JF 43/23

Israels Verteidigungsminister Joav Gallant: Hält Hamas für „menschliche Tiere“ – eine Darstellung, die für Bruno Bandulet der Gefahr nicht gerecht wird. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Tsafrir Abayov
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