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Frankreich: Vom Feldgeschrei zur Sache

Frankreich: Vom Feldgeschrei zur Sache

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François Fillon, Emmanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon, Marine Le Pen und Benoit Hamon Foto: picture alliance/dpa
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Vom Feldgeschrei zur Sache

Seit einem halben Jahr ertönt in Frankreich das Feldgeschrei der Politiker. Aber wirklich begonnen hat der Wahlkampf am Montag abend. Dreieinhalb Stunden dauerte das Fernsehgefecht zwischen den fünf großen Kandidaten. <>Eine Analyse von Jürgen Liminski. <>
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Seit einem halben Jahr ertönt in Frankreich das Feldgeschrei der Politiker. Aber wirklich begonnen hat der Wahlkampf am Montag abend. Dreieinhalb Stunden dauerte das Fernsehgefecht zwischen den fünf großen Kandidaten, und es ging recht gesittet zu. Die Schlußworte dieser ersten von drei großen Debatten markierten auch die Vorstellungen, die die Kandidaten von Frankreich haben.

Der Linksaußen Jean-Luc Mélenchon rief die Franzosen auf, sich von der Oligarchie und dem präsidentiellen Monarchen zu befreien, sozusagen eine neue Revolution zu wagen. Der Kandidat der Sozialisten, Benoit Hamon plädiert auch für eine neue, die VI. Republik und für ein „nützliches Votum“, das er nur im Übergang zu einem ökologischen System sieht, das zudem den Menschen mehr Kaufkraft durch das Grundeinkommen verschaffe.

Der Mitte-Links-Politiker und Kronprinz des noch amtierenden Präsidenten Hollande, Emmanuel Macron, appelliert an die Gemütslage der Franzosen, sie sollten Mut haben zu einem Projekt, das sie befreie und Gewohnheiten und Gesichter erneuere.

Der Kandidat der Konservativen, François Fillon, erinnert daran, daß parlamentarische Mehrheiten auch Stabilität garantieren und daß er der einzige sei, der diese Mehrheiten um sein Reformprogramm versammeln könne. Die V. Republik sei besser als ihr Ruf und auf jeden Fall besser als die Hinwendung zu chaotischen Verhältnissen, die Zeiten seien zu ernst zum Experimentieren.

Kopftuch als Zeichen der Unterwerfung der Frau

Die Vorsitzende des Front National und Rechtsaußen der Runde, Marine Le Pen, beschwört die Franzosen, sich von der EU nicht mehr knebeln und bevormunden zu lassen, sie werde Frankreich von der EU befreien, aber bei allen wichtigen Schritten, etwa dem Austritt aus der EU, das Volk befragen.

Vor diesen Schlußworten hatten sich die Kandidaten manch engagiertes Rededuell geliefert. Leidenschaftlich wurde es beim Thema Islam. Macron wand sich: Der Burkini sei harmlos, ihn zu ignorieren sei die beste Art, den Islamismus zu bekämpfen, die Kleiderordnung solle die Kommune bestimmen. Dann aber waren Burka und Burkini wieder ein politisches Manifest, das gegen die Laizität verstoße und das Kopftuch ein Zeichen der Unterwerfung der Frau.

Auch bei anderen Themen drehte er sich wortreich um die eigene Achse, so daß Le Pen verwundert ausrief: „Monsieur Macron, Sie haben jetzt fünf Minuten ununterbrochen geredet, ich wäre nicht in der Lage, das zusammenzufassen, und zwar aus dem einzigen Grund: Sie haben nichts gesagt.“ Polemische Spitzen gab es auch beim Thema Terror. Mélenchon und Hamon lassen das bei Linken übliche Verständnis für den Islam erkennen, gegen den Fundamentalismus müsse man mit Bildungsprogrammen arbeiten.

Fanfarenzug der Einzelmaßnahmen

Fillon spricht vom totalitären Islamismus, der nicht nur Frankreich bedrohe. Es gehe beim Terrorismus um „einen Krieg von langer Dauer, der ein Bündnis mit den Russen und Iranern erfordert“, um in Nahost an die Wurzeln zu gehen. Le Pen will „wieder Ordnung herstellen“, das Budget für Polizei und Armee aufstocken und zwar auf zwei Prozent des BIP ab 2018 und auf drei Prozent bis 2022, Macron und Fillon wollen die zwei Prozent erst 2024 und 2025 erreichen, Hamon und Mélenchon erklären sich zu den künftigen Präsidenten des Friedens, die mit Verhandlungen und nicht mit Aufrüstung den Frieden schaffen wollen.

Macron präsentiert sich als der „einzige Kandidat, der ein EU-konformes Budget anstrebt“, die anderen gehen in der Tat von nationalen, sozialistischen oder neoliberalen Vorstellungen aus, europäische Richtlinien sind nicht programmbestimmend.

Viele Einzelmaßnahmen werden diskutiert, Hamon will ein Recht auf Euthanasie einführen und wie Le Pen das Rentenalter auf 60 Jahre senken. Fillon will es auf 65 Jahre anheben, bei Macron soll es bei 62 Jahren bleiben. Der Fanfarenzug der Einzelmaßnahmen durchzieht sämtliche Bereiche, von der Gesundheits- über die Sicherheits- und Außenpolitik bis hin zu Wirtschaft und Finanzen.

Affären spielen keine Rolle

Gelegentlich halten die Angaben der Kandidaten einem Faktencheck nicht stand. Besonders fahrlässig im Umgang mit Fakten sind die Linkskandidaten. Programmatisch kohärent auch mit Blick auf die Zusammenhänge und Interaktionen der Bereiche erscheint am ehesten das Projekt Fillon. Er überzeugt in ersten Umfragen rund vierzig Prozent, gefolgt von Macron mit 24 und Le Pen mit 18 Prozent. Die Zahlen variieren je nach Zeitung und Institut. In den Netzwerken liegen Hamon und Le Pen vorne.

Bilanzierend läßt sich aus diesem ersten Schlagabtausch folgern, daß der Wahlkampf jetzt, fünf Wochen vor dem ersten Wahlgang, erst richtig anläuft. Die Affären mit der Finanzjustiz – ein neuer Scheinbeschäftigungsskandal um den sozialistischen Innenminister bringt jetzt die Justiz in eine gewisse Verlegenheit – spielten keine Rolle, es ging überwiegend sachlich zu.

Entschieden ist die Wahl nach dem TV-Duell vom Montag noch lange nicht. Wer also, wie die deutsche Qualitätspresse, Macron schon zum Sieger hochstilisiert, verrät nur Hybris im Umgang mit der Macht. Denn nach einem Wort von Peter Sloterdijk ist „Macht das Vermögen, die Tatsachen in die Flucht zu schlagen.“ Aber manchmal sind Tatsachen wie ein Bumerang.

François Fillon, Emmanuel Macron, Jean-Luc Mélenchon, Marine Le Pen und Benoit Hamon Foto: picture alliance/dpa
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