WARSCHAU. Der erste demokratisch gewählte Präsident Polens nach der politischen Wende, Lech Walesa, war inoffizieller Mitarbeiter des kommunistischen Geheimdienstes der Volksrepublik Polen. Nach Erkenntnissen des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) in Warschau belegen Aktenfunde die jahrzehntelangen Vorwürfe gegen den einstigen Arbeiterführer.
Im Haus des im November vergangenen Jahres verstorbenen Generals, ehemaligen Innenministers und Mitglied des Politbüros Czesław Kiszczak seien Walesas Personalakte sowie seine Verpflichtungserklärung für den Staatssicherheitsdienst gefunden worden, teilte IPN-Vorsitzender Łukasz Kamiński am heutigen Donnerstag mit. Die sechs Pakete voller hand- und maschinenschriftlicher Aufzeichnungen sowie Fotographien habe die Witwe Kiszczaks dem IPN, dem polnischen Pendant der Stasi-Unterlagenbehörde, für umgerechnet gut 20.000 Euro zum Kauf angeboten. Daraufhin wurde deren Haus in Warschau von Staatsanwälten und Polizei durchsucht und die Unterlagen beschlagnahmt.
„In der Personalakte befindet sich ein Umschlag und in ihm eine mit der Hand geschriebene Verpflichtung zur Mitarbeit mit dem Sicherheitsdienst, unterschrieben: Lech Walesa ‘Bolek’“, sagte IPN-Chef Kamiński während einer Pressekonferenz. „Unter den Dokumenten in der Akte sind unter anderem auch mit dem Pseudonym ‘Bolek’ unterschriebene Quittungen für den Geldempfang. In seiner 279 Blätter zählenden Akte finden sich demnach „zahlreiche Spitzelberichte“ Walesas sowie Notizen von SB-Funktionären über gemeinsame Treffen. „Ein Teil der Berichte ist mit der Hand verfaßt und unterschrieben mit dem Pseudonym ‘Bolek’“, sagte Kamiński.
Dokumente authentisch
Die Dokumente und Aufzeichnungen sollen aus den Jahren 1970 bis 1976 stammen. 1980 wurde Lech Walesa als Vorsitzender der ersten freien Gewerkschaft „Solidarität“ international bekannt, 1983 wurde ihm der Friedensnobelpreis verliehen. Der Arbeiterführer wurde sebst jahrelang geheimdienstlich überwacht und schikaniert.
Wie das IPN weiter informierte, seien die Unterlagen sowie die Unterschriften Wałęsas authentisch. Ein Experte habe das zweifelsfrei festgestellt.
Walesa, der sich zur Zeit in Venezuela aufhält, bestritt in einer ersten Reaktion am Donnerstag das Vorhandensein der Geheimdienstunterlagen. „Es kann keine derartigen Materialien von mir geben. Wenn es sie gäbe, wäre es nicht nötig, sie zu fälschen. Das beweise ich vor Gericht“ , schrieb der Staatspräsident der Jahre 1990-1995 auf seinem Mikroblog.
Wałęsa wies Vorwürfe immer zurück
Vorwürfe, informeller Mitarbeiter der polnischen Stasi unter dem Decknamen „Bolek“ gewesen zu sein, hatte Walesa immer wieder hartnäckig bestritten. Ein Lustrationsgericht hatte in seinem Prozeß im Jahr 2000 geurteilt, der Politiker habe wahrheitsgemäß angegeben, kein Agent der kommunistischen Dienste gewesen zu sein. Bisherige Anschuldigungen des IPN stützten sich auf Unterlagen in Kopie.
Erfreut über die Aktenfunde zeigte sich Sławomir Cenckiewicz. Der Historiker, Publizist und Geheimdienstexperte hatte in mehreren Büchern, die in Polen Furore machten, die These einer Geheimdienstvergangenheit der polnischen Freiheitsikone zu belegen versucht. „Walesa war Agent ‘Bolek’, ging eine schriftliche Verpflichtung zur Mitarbeit ein, verriet Freunde und Kollegen und nahm dafür Geld“, schrieb Cenckiewicz in einem Kommentar. (ru)