Nun ist er also um mindestens eine Woche vertagt, der mit viel Medientamtam beschworene Militärschlag der Amerikaner, mit dem „dirty Bashar“ Assad daran gehindert werden soll, weiterhin sein eigenes Volk „zu vergasen“.
Viele sogenannte Experten hatten den Angriff dieser Tage erwartet, US-Präsident Obama zieht es aber vor, noch die Kongreßabgeordneten um Zustimmung zu bitten. Da die noch im Urlaub sind, muß der neuerliche Feldzug zur Rettung der Humanität warten, bis der Kongreß nächste Woche wieder zusammentritt.
Der Eindruck täuscht nicht, daß Obama auf eine Lastenverteilung setzt, was die Verantwortung für diesen Militärschlag angeht. Unabhängig davon läuft die Kriegspropaganda auf vollen Touren: Obwohl die Schuld des syrischen Regimes an dem mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen weiterhin unklar ist – die UN-Inspekteure werden zur Analyse der gesammelten Indizien noch Wochen brauchen –, spricht Obamas Außenminister John Kerry von „unwiderlegbaren Tatsachen“, die eine Beteiligung der syrischen Regierung bewiesen.
Angebliche Frustrationen Assads als Auslöser
Was sind das für „Tatsachen“, auf die sich die US-Regierung stützt? Washington verweist unter anderem auf Blut- und Haarproben, Satellitenbilder von dem Giftgasangriff und auf ein abgefangenes Telefonat eines „hochrangigen syrischen Vertreters“, der mit dem Angriff vertraut gewesen sein soll; dieser Syrer soll den Einsatz von Chemiewaffen bestätigt und seiner Furcht Ausdruck verliehen haben, die UN-Inspektoren könnten „Beweise finden“.
Richtig ist, daß das syrische Regime Lager mit chemischen Kampfstoffen unterhält. Über deren Einsatz entscheidet Präsident Assad. Laut den Ergebnissen der US-Geheimdienste sei die „Frustration“ des Regimes darüber, die Lage in Damaskus nicht bereinigen zu können, für den Einsatz von Chemiewaffen entscheidend gewesen. Es habe binnen weniger Stunden Tausende Berichte über diesen Chemiewaffenangriff gegeben.
Assads Gegner als größte Profiteure der Eskalation
Ungeachtet dessen steht die Frage im Raum, warum Assad, dessen Truppen im Begriff waren, die Oberhand zu gewinnen, gerade jetzt Giftgas eingesetzt haben soll? Wohl wissend, daß er damit den „Aufständischen“ geradezu in die Hände arbeitet. Deren Bestreben ist es seit Beginn des Krieges, ausländische Mächte in den Konflikt hineinzuziehen.
Auch wenn die USA es kategorisch ausschließen, ist es keineswegs abwegig, daß Giftgas von seiten dschihadistischer Rebellengruppen eingesetzt wurde, um beim Überschreiten jener „roten Linie“ nachzuhelfen, die Obama letztes Jahr zum Interventionsgrund erklärte.
Robert Baer, Ex-CIA-Agent und ein hervorragender Kenner der Region, erklärte im April in einem Interview, daß selbst die Al-Nusra-Front, die die Amerikaner aufgrund der Nähe zu al Qaida auf ihre Terrorliste gesetzt haben, die „Kontrolle über verschiedene Gruppen verloren“ habe, die „in ihrem Namen kämpften“.
„Aufständische“ mit chemischen Kampfstoffen erwischt
Dazu paßt eine Meldung der türkischen Tageszeitung Vatan Ende Mai: Darin war von mutmaßlichen Mitgliedern der Nusra-Front die Rede, die in der Türkei mit chemischen Kampfstoffen erwischt wurden. Diese sollten angeblich für Anschläge gegen US-Truppen in der Südtürkei dienen. Ankara ließ den Fund von Kampfstoffen aber eilig dementieren.
Denn das hätte schlecht ins Bild gepaßt, fordern doch der türkische Ministerpräsident Erdogan und sein Außenminister Davutoglu unentwegt, daß Assad gestürzt gehört. Die Türkei wäre dann einen lästigen Konkurrenten um die politische und ökonomische Vorherrschaft in der Region los.
Stichwort Al-Nusra-Front: Es ist mittlerweile hinreichend bekannt, daß Saudi-Arabien und Katar großzügige Finanziers jener Dschihadisten sind, die in Syrien ihrem Ziel, nämlich der Errichtung eines Kalifats, wieder einen Puzzlestein mehr hinzufügen wollen. Laut Robert Baer sähen die USA in den Dschihadisten einen Hebel, den iranischen Einfluß in Syrien zurückzudrängen und nähmen deshalb deren Finanzierung durch die Golfmonarchien hin.
Schutzmacht Rußland sollte bestochen werden
Auch den Saudis ist viel daran gelegen, daß der Iran-Verbündete Assad verschwindet. Ob zu ihren Aktivitäten auch ein aktiver Bestechungsversuch Putins durch den saudischen Geheimdienstchef Prinz Bandar bin Sultan gehört, wie die englische Telegraph-Mediengruppe unter Berufung auf die libanesische Zeitung As Safir berichtete, muß offenbleiben.
Bandar soll Putin, sollte er Assad die Unterstützung entziehen, Anfang August weitreichende Angebote im Hinblick auf das Ölgeschäft und in Fragen einer beiderseitigen Zusammenarbeit gemacht haben und die gemeinsamen Interessen im Hinblick auf die „Gier“ des Syrien-Verbündeten Iran und dessen „nukleare Bedrohung“ beschworen haben.
Sollte Putin sich seiner Offerte entziehen, habe Bandar angedroht, daß es „keine Alternative zum militärischen Handeln“ gegen Syrien gebe. Putin soll sich diesem Bestechungsversuch entzogen haben. As Safir indes wird nachgesagt, der vom Iran unterstützten Hisbollah nahezustehen; es handelt sich also möglicherweise um interessegeleitete Informationen.
Eine unabhängige Meinungsbildung wird verhindert
Hier wie bei vielen anderen Berichten bleibt es letztlich eine Glaubensfrage, welchen Wahrheitsgehalt man ihnen beimißt. Die sogenannte Informationsgesellschaft kommt im Fall Syrien an ihre Grenzen. Eine unabhängige Meinungsbildung wird angesichts (wohl auch nachrichtendienstlich lancierter) „intelligenter Informations-Bomben“, die alles mögliche beweisen oder widerlegen können, quasi verunmöglicht. Das befeuert die Gefahr medialer Rudelbildung. Derjenige, der das am professionellsten optimiert, dirigiert die öffentliche Meinung.
Spätestens seit der „Schlacht der Lügen“ um den Irak ist bekannt, wohin diese Art der Meinungslenkung führen kann, was bei der Beurteilung der Vorgänge in Syrien im Blick behalten werden sollte. Am wenigsten geht es sicherlich um „die Menschen in Syrien“. Die sind bestenfalls Manövriermasse in diesem Informationskrieg.
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