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Syrisches Kriegstagebuch: Ruhe gibt es nur bei Regen

Syrisches Kriegstagebuch: Ruhe gibt es nur bei Regen

Syrisches Kriegstagebuch: Ruhe gibt es nur bei Regen

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Syrisches Kriegstagebuch
 

Ruhe gibt es nur bei Regen

Im Bombenkrieg der syrischen Regierung gegen den aufständischen Teil des Volkes haben die Muslime keinerlei Vertrauen in Hilfe aus dem Westen. Sie setzen einzig und allein auf Allah. Aus Nordsyrien berichtet Billy Six.
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Bombenschäden in Maarthermah
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„Allah denkt sich was dabei“ – Jugendlicher vor ausgebombtem Auto in Hiesch
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Mit dem Koran ins feindliche Feuer – Rebell in Maarat an-Numan Fotos (3): Billy Six

KAFF-RAMBEL. „Uns ist alles egal“, sagen bewaffnete Rebellen aus den syrischen Provinzen Idlib und Hama. „Baschar kann uns alle umbringen, auch die Frauen und Kinder. Aber wenn nur ein sunnitischer Muslim überlebt, wird er das Schwert gegen Baschar und seine Alawiten erheben.“

Es ist die immer gleiche Antwort auf die Frage, ob sich die Anti-Regierungs-Kämpfer Syriens eine friedliche Einigung mit ihrer Regierung vorstellen können. Die Leidtragenden dieser Haltung, darüber sind sich alle im Klaren, sind stets die Zivilisten. Das gäbe jedoch niemandem das Recht an der Kriegsführung zu zweifeln, heißt es nicht nur bei den Kriegern, sondern selbst auf der Straße. Grund: Der Prophet Mohamed habe vorgeführt, daß der muslimische Mann nur im bewaffneten Kampfe seinen Mut, seine Stärke und seinen Glauben beweisen könne. Einige Dutzend Einwohner von Kaff-Rambel (Nordwest-Syrien) ziehen sich dennoch Tag für Tag in den nahen Wadi zurück, die Schlucht am Stadtrand. Frauen und Kinder sitzen meist an einem anderen Ort als die Männer, die gemeinsam ein schweres Schicksal teilen: Den Vorwurf, nicht gläubig genug zu sein. 

„Allah hat entschieden, wen welche Bombe treffen wird“

Noch nach Sonnenuntergang sind die Straßen leer. Der Schock über den schweren Angriff vom 5. November mit 20 bis 30 Toten sitzt tief. Der Strom fließt wieder einmal nicht. Bei der Rückkehr in die dunkle Unterkunft bietet sich eine böse Überraschung: Zerborstene Fensterscheiben, eine eingedrückte Hintertür, verdreckte Zimmer. Zehn Meter weiter ist am Tage eine Fliegerbombe eingeschlagen – genau zwischen zwei Häuser, deren Außenwände weggerissen worden sind. Alle Bewohner haben überlebt. Doch der Schock steht ihnen ins Gesicht geschrieben – auch wenn es niemand zugeben will.

Die Frage, wieso über Libyen im vergangenen Jahr eine Flugverbotszone eingerichtet worden ist, und in Syrien nicht, steht im Raum. Um so mehr angesichts der Tatsache, daß die Armee von Machthaber Muammar al-Gaddafi im Februar 2011 ausschließlich militärische Ziele bombardiert hatte – keine Demonstranten, wie von Aktivisten und meinungsbildenden Medien behauptet. In Syrien ist die Lage anders. Und für die syrischen Sunniten stand die Antwort schon lange fest: „Amerika ist der Feind der Moslems und tut nur das, was Israel will.“

Muslime achten nur die harte Politik des Westens

Ironischerweise sagen einige der Gesprächspartner auch: „Wir hätten uns gewünscht, daß Romney der neue Präsident von Amerika wird. Der hätte gegen Baschar durchgegriffen.“ Barack Obama, der 2009 mit einer gefeierten Rede in der Kairo-Universität der islamischen Welt seine Hand auszustrecken suchte, genießt keine Achtung mehr.

Demonstranten im nordsyrischen Kaff-Rambel hatten bereits in einer wohl dokumentierten Protestaktion am 16.12.2011 folgendes Transparent in die Höhe gehalten: „Obamas Verschleppungstaktik tötet uns: Wir vermissen Bushs Kühnheit. Die Welt ist besser mit Amerikas Republikanern.“ Bei arabischen Muslimen ist es ausschließlich die Stärke, die darüber entscheidet, den Gegenüber zu achten oder nicht.

„Ich muß hier raus“, sagt Saer Mandil, ein deutschsprachiger Bekannter aus Maarat an-Numan. Bis vor wenigen Tagen hat er im Keller seines Hochhauses in der umkämpften Stadt ausgeharrt. Die Wohnung im dritten Stock ist bereits zum zweiten Mal verwüstet worden. Diesmal durch die Druckwellen der Mehrtonnen-Bomben aus der Luft. Nun sitzt er zehn Kilometer weiter in den sicheren Olivenhainen von Al-Barah, und blickt auf jene Kleinstadt, die allenfalls für ihre frühbyzantinischen Ruinen an den umliegenden Berghängen bekannt ist.

Ein wildfremder Mann hat ihn in seinem Haus aufgenommen – und jede Geldzahlung abgelehnt. Eltern, Frau und die drei Kinder haben sich nach Idlib-Stadt in Sicherheit gebracht. Hier herrscht die Regierungsarmee noch unumschränkt. Doch „inschallah“, wie die Rebellen sagen, wird auch hier demnächst die „Befreiung“ Einzug halten. Saer spricht von den Schrecken des Krieges und seiner „Schweine-Regierung“. Auch das kleine Barah ist in den vergangenen Tagen mehrmals bombardiert worden. Die Sprengkörper kamen in schrägem Winkel angeflogen, und wurden durch einen Fallschirm abgebremst. „Wir konnten uns nur noch auf den Boden werfen“, so Saer, „aber das Ding explodierte noch in der Luft, und hat so viele Leute getötet.“

Flucht aus der islamischen Welt

Anders als andere Muslime habe er kein Problem damit gehabt, zwei jungen Mädchen zum Entkommen aus diesem Alptraum zu verhelfen – und das, obwohl diese sogar ohne Schleier aus dem Haus gerannt gekommen seien,  wie Saer betont. Die 18 Jahre in Deutschland hätten ihn positiv verändert, meint er. Und doch denkt er mit Sorge daran, daß die dreijährige Abwesenheit eine Neu-Immigration erfordere. Saer Mandil weiß, was dies bedeutet: Anders als viele syrische Freunde habe er sich in den 90er Jahren nicht als „staatenloser Palästinenser“ ausgegeben, sondern das langjährige Bleiberechtsverfahren durchlaufen.

Mitte November. Dicke Regenwolken hängen über dem Nordwesten Syriens. Die veraltete Luftwaffe fliegt bei schlechter Sicht, wie auch bei Nacht, für gewöhnlich nicht. Der Regen schützt. Muslime sagen: „Al-Hamdullellah“, Allah sei es gedankt. Doch das Sterben wird weitergehen. In einem sogenannten Religionskrieg gibt es keine Grenze zwischen Militärs und Zivilisten. Das war im Dreißigjährigen Krieg auf deutschem Boden nicht anders. 

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