KAFF-RAMBEL. Wenn es laut wird, rückt der Tod ein Stück näher. Zu der psychologischen Dauerbelastung tief fliegender Migs gesellt sich nun der Beschuß mit schweren Mörsergranaten. Bei Tag und bei Nacht. Kaff-Rambel, Nord-Syrien: Im Haus des Revolutionsaktivisten Ahmed Dschalal sitzen stets einige junge Männer, und nutzen das Satelliten-Netz. Über Facebook werden die jüngsten Nachrichten und Fotos zum Kriegsverlauf ausgetauscht. Niemand mag sich die Feigheit eingestehen, aber am Ende interessiert sie die Frage nach der Stabilität der Wände doch. Würden sie halten oder nicht?
Eine neue Angriffswelle: Fünf Bomben, das Pfeifen in der Luft und ein metallener Knall nur 50 Meter entfernt. Das war es für heute gewesen. Die unheimlichen Splitter liegen in den Straßen verteilt. Aus der Nachbarschaft bringen sich viele in die nahegelegene Moschee in Sicherheit, vor allem Frauen und Kinder. Einige Männer stehen am Eingang. Sie lachen über jene, die sich schützen wollen – und wirken doch selbst unsicher. In ihnen tobt der Kampf mit dem islamischen Dogma, vor dem festgelegten Schicksal ohnehin nicht wegrennen zu können.
Die Zivilbevölkerung wird bombardiert
Teil von Allahs Plan sei es so auch gewesen, eine Siedlung fern der Kampfhandlungen ins Unglück zu stürzen: Marthermah (etwa 17.000 Einwohner). Zum Schlachtfeld von Maarat an-Numan sind es ganze 22 Kilometer Straßenführung durch die Hügellandschaft. Dennoch hat die Luftwaffe der Assad-Regierung auch hier gnadenlos zugeschlagen: Jeden zweiten Tag im Oktober fielen schwere Bomben, vor allem im Umkreis der Hussein-Moschee und der Großen Moschee. Daß trotz schwerer Beschädigungen wenigstens die Kuppeln mit dem Halbmond in beiden Fällen stehen blieben, macht den Menschen Mut. „Assad will die Leute dafür strafen, daß sie bei der Revolution mitmachen“, so der 22jährige Ahmed Reia, Jura-Student mit respektablen Englisch-Kenntnissen. „Die Moscheen waren die Keimzellen für die Demonstrationen im letzten Jahr“, gibt er als Grund für die Zielauswahl der Piloten an. Ahmed bestätigt, daß die Menschen unglücklich über ihre Lage wären. Jedoch: „Jede Bombe stärkt den Widerstand.“
Der Haß auf Baschar wäre jedoch nicht neu, ist darüber hinaus zu erfahren. Ahmed: „Baschar hat den Alawiten Privilegien eingeräumt, die Sunniten so nicht bekamen. Sie konnten an jeder Universität der Welt studieren. Jeder bekam Arbeit. Sie haben Geld, Macht – und stehen über dem Gesetz.“
Kein Vertrauen in Oppositions-Führung
In einer großen Männerrunde aus Familie und Freunden wird schnell klar, daß auch die Führung der Freien Syrischen Armee kein Vertrauen besitzt: „Wer von unseren Leuten in der Türkei ist, ist ein Räuber“, heißt es von ihnen übereinstimmend. Helden, das wären jene, die an der Front ihr Leben aufs Spiel setzten. Einer von ihnen ist der 27jährige Saer Reia. Für 200.000 Syrische Pfund, rund 2.200 Euro, habe er sein Familien-Bauland verkauft, um zwei Kalaschnikows zu erwerben. Nun kuriert er seine schwere Bauchverletzung aus: Bei der Auseinandersetzung an der Autobahn trafen ihn in Hiesch Splitter einer Panzergranate.
Im früheren Leben sei er Polizist in Damaskus gewesen, so Saer. Da die Ordnungshüter im Gegensatz zu den Soldaten auch einen Privatausweis besäßen, sei es im Sommer 2011 einfach gewesen, einen Diensturlaub für die Flucht nach Hause zu nutzen. Daß er in der Hauptstadt tätig war, weit weg von Idlib, habe er sich nicht ausgesucht, so der junge Mann. „Aber da gibt es nichts zu verhandeln.“ Anders als in Libyen entschied nicht die Stammeszugehörigkeit über den Einsatzort von Soldaten und Polizisten, sondern allein die Interessen der Staatssicherheit. Dies ist im Übrigen einer der zentralen Gründe, warum sich im letzten Jahr die ostlibysche Cyrenaika „wie ein Mann“ erheben konnte – und Syrien sich in einem langwierigeren Prozeß der Selbstauflösung befindet.
„Aber vergiß nicht, daß alles friedlich begonnen hat“, meint Jurastudent Ahmed. „Wir haben am 15. April 2011 mit 1.000 Teilnehmern begonnen, und am 10. Juni den Höhepunkt mit 10.000 Protestierern erreicht.“ Zwei schwere Rückschläge hätten das Schicksal Marthermahs bestimmt: Einmal im März 2012 die Falle durch angebliche Deserteure der syrischen Armee, wodurch zehn echte Rebellen getötet worden seien. Zum anderen ein Luftangriff auf die Hauptstraße des Ortes, wodurch im September 2012 17 Menschen den Tod gefunden hätten. Ansonsten wäre durch die Bombenwelle der vergangenen Tage nur ein Todesopfer zu beklagen gewesen. Das verwundert angesichts der großen Verwüstungen dann doch. Die Einwohner zeigen, was sich nach dem großen Blutbad verändert hat: Mit Maschinen wurden tiefe Schächte in den lehmigen Boden gegraben – dunkle miefende Löcher, voll mit Mücken, in welchem sich die Familien in Sicherheit brächten, sobald die Flieger zu hören sind.
Am Tag ist die Stadt leer
Und dann ist da noch der Umstand, daß 90 Prozent der Einwohner einen „kerrim“ besäßen – eine Kleinplantage in der Umgebung. Wie ein Familienfest wird derzeit die Olivenernte betrieben. Von früh bis spät. Mancher, der zurückkam, fand zwar nicht mehr sein Haus, aber er hatte sein Leben.
Wie wichtig die Olive im Islam sei, wird von den syrischen Sunniten wohl nicht umsonst immer wieder betont. Selbst die Koran-Sure 95 ist ihr gemeinsam mit der Feige gewidmet. Unter keinen Umständen dürfe man einen Olivenbaum fällen, ist von den Moslems zu erfahren. Genau dies würden jedoch sowohl die Assad-Armee, als auch die Israelis tun, was sie klar als „Feinde des Islam“ auszeichne.