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Syrisches Bürgerkriegstagebuch VI: Gefangener von Al Kaida

Syrisches Bürgerkriegstagebuch VI: Gefangener von Al Kaida

Syrisches Bürgerkriegstagebuch VI: Gefangener von Al Kaida

Syrisches Bürgerkriegstagebuch VI
 

Gefangener von Al Kaida

24 Stunden lang war unser Reporter Gefangener einer salafistischen Gruppierung im Norden Syriens, die sich offen zu Al Kaida bekennt. Es war das erste Mal während seines Syrien-Aufenthalts, daß er mit aktiven Islamisten in Berührung gekommen ist. Über seine Eindrücke nach der Freilassung berichtet Billy Six.
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Unwort, Umfrage, Alternativ

„Wenn wir zu dem Schluß kommen, daß du ein Spion bist, werde ich dich töten.“ In lupenreinem Englisch macht der schwarzbärtige Sitznachbar seine Absicht deutlich. Eine Flucht ist nicht mehr möglich. Vier Krieger Allahs haben mich in ihrer Gewalt – in einem Privatwagen, inmitten der fast menschenleeren Prärie Nordsyriens, wo sogleich eine Leibesvisitation durchgeführt wird.

Wie konnte es dazu kommen? Auf der Suche nach einem Netzanschluß in Maarat an-Numan hatte mich ein Bekannter zum Haus seines Schwagers gebracht. „Der weiß Bescheid“, sagte er noch, und verschwand. Eines hätte er eigentlich sofort sagen sollen: Der Gastgeber hat über drei Jahre im Gefängnis gesessen – und dabei eine mentale Veränderung erfahren. Als frommer Muslim wäre er gerne in die Moschee gegangen, konnte es aber nicht – denn durch seinen Glauben habe er den Zorn der Herrschenden auf sich gezogen.

Ärger im Anmarsch

Solche banal klingenden Geschichten sind hier oft von Regimegegnern zu hören. Sie sind Ausdruck der eigenen Radikalisierung.

Zwei Stunden später: Eine Gruppe junger Männer betritt den Raum – Freunde des Hausherrn. Das Funkeln in ihren Augen und die verkrampften Gesichtszüge verraten: Ärger ist im Anmarsch. Mit welchem Recht ich mich in diesem „geheimen“ Kellerraum aufhielte, möchten sie wissen … ohne sich für die Antwort zu interessieren. Es geht nach draußen zum eingehenden Gespräch. „Wenn uns eine Bombe trifft, dann hat es Allah bereits lange vorher so festgeschrieben.“ Ähnlich einem Verhör beim Mubarak-Geheimdienst in Ägypten werden nun Fragen gestellt, die den Gegenüber in Widersprüche verwickeln sollen. Doch diesmal geht es nicht um Politik – sondern um die Religion. Das Ziel: Die „Enttarnung“ eines vermeintlichen Spions und Verräters! 

„Wie kommen die Christen dazu, die Bibel zu verfälschen? Glaubst Du, daß es einen oder drei Götter gibt? Wieso behauptet man im Westen, daß Isa (Jesus) am Kreuz gestorben wäre, wo doch Allah im glorreichen Koran eindeutig sagt, daß ein anderer an seiner Stelle aufgehängt worden ist?“

Eindeutig Position beziehen sie auch zu ihren eigenen Landsleuten, die bekunden, Juden und Christen wären „Brüder“. „Wer so etwas sagt, mißachtet die eindeutigen Aussagen des Propheten Mohamed sallallah alleihi wassallem, der sie als Ungläubige brandmarkt. Und ein Kaffer kann weder unser Bruder, noch unser Freund sein.“ Nach zwei Stunden: Die Chance, endlich diese Gesellschaft zu verlassen. Und hoffentlich nie wieder zu sehen … doch weit gefehlt!

Das Verhör beginnt

Am nächsten Tag treffen drei Raketen die Schlafstätte der „Heiligen Krieger“ – und es fällt nicht schwer, sich auszurechnen, wen sie dafür verantwortlich machen werden. Das Auto erscheint am nächsten Morgen – so gut funktioniert die Kommunikation zwischen den Menschen dann doch, egal, ob es bis eben noch der beste Freund war, der einen zu schützen versprach. „Mach Dir keine Sorgen, wir wollen dich nur zu dem Vorgang befragen, und deinen Rechner kontrollieren.“ Zum vereinbarten Ort geht die Fahrt dann allerdings nicht mehr und auch die Fahrer sind plötzlich ganz andere. Männer in schwarzen Kaftans und islamischer Kopfbedeckung. Im Wagen: Die pechschwarze Flagge der Bewegung „Al Kaida“. Daß Osama bin Laden ihr großes Vorbild ist, daraus machen diese Männer keinen Hehl.

Zwei Stunden dauert die unfreiwillige Fahrt. In der Ferne ziehen dichte Rauchkegel in den Himmel – die Armee geht gegen Rebellen vor. In einem staubigen Ziegendorf findet die erste Tee-Gesprächsrunde zum festgesetzten Deutschen statt. Hat er Koordinationsdaten an den Feind verraten, oder nicht? Das beschlagnahmte Gepäck wird eingehend inspiziert. Die Männer-Runde ist sich einig: Der Verdächtige gehört festgesetzt.

Das Hauptquartier, zwei Gassen weiter: Einen Tag und eine Nacht werde ich in einen verstaubten Raum mit vergitterten Fenstern eingeschlossen. Gummipeitschen, Elektroschocker und ein ominöser Haken an der Decke lassen vermuten, wozu dieses Zimmer dient. Zwei Mal geht es zum Verhör, das sich am Ende doch zu meinen Gunsten entscheiden wird. Am uralten Rechner sitzt der bullige Ober-Aufseher. „Weißt Du, was das ist?“  Voller Stolz zeigt er auf den Sprengstoff-Gürtel um seinen Unterleib: „Was denkst Du über jene, denen nur das Jenseits etwas wert ist?“

Ein asiatischer Übersetzer hilft

Ein Übersetzer macht die Situation erträglicher. Seine Schlitzaugen verraten – dieser Kämpfer kommt nicht aus Syrien, sondern wohl eher aus den Uigurengebieten West-Chinas oder Indonesien. Jahrelang hat er in Belgien gelebt … und übersetzt auf Flämisch für einen weiteren arabischen Befrager. Lange Europa-Aufenthalte bedeuten offenkundig nicht unbedingt eine Weltbild-Anpassung: „Weißt Du, wie alt Maria war, als sie mit Jesus schwanger gewesen ist? 12 Jahre! Heute aber sind die Mädchen verweichlicht.“ Im Übrigen habe „der Prophet Isa“ niemals Liebe als Botschaft gepredigt.

Im Gegenteil: Er habe seine Gefolgsleute aufgefordert, die Unwilligen festzunehmen und zu schlachten. Nur fromme Muslime „so wie Isa“ wären echte Menschen – schließlich hätten diese einen Sinn im Leben. Die westliche Demokratie hingegen stelle nicht Allah, sondern den Menschen in den Mittelpunkt. Mit all seinen Fehlern. „Bei Euch kommen die Gesetze von den Menschen – und sind gleichzeitig für den Menschen.“ Dekadenz und Beliebigkeit! „Du glaubst, wir sind hart, weil es für Euch normal ist, Schwule und Lesben um Euch herum zu haben. Schlafen und fressen – arbeiten und Spaß haben. Das ist alles, was im Leben der Ungläubigen zählt. Da gibt es keinen Unterschied zu den Tieren.“

Selbst Mursi gilt den Dschihadisten als „Verräter“

Aus gleichem Grunde wäre auch die Teilnahme an allgemeinen Wahlen für eine neue Regierung zu verurteilen. „Man ist nicht frei im Islam!“ Nur der Beste wäre berufen, das klare Gesetz Allahs, die Scharia, umzusetzen. Ohne Kompromisse! Verantwortung auf Zeit – keine Erb-Dynastien wie bei den Assads. Und auch nicht mit Diplomatie, wie es der „Verräter“ Mohamed Mursi derzeit in Ägypten betreibe.  

Es ist interessant, daß sich die Missionare des politischen Islams über die Folgen des „Arabischen Frühlings“ zu zerstreiten beginnen. Ebenso wie die Tatsache, daß das Kriegspatt an der Levante ein neues Massengrab für heißspornige Dschihadisten aller Herren Länder aufgerissen hat. In der Vergangenheit hatte stets Afghanistan diese Rolle eingenommen.

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