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Verfassungsrechtliche Grenzüberschreitung

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Verfassungsrechtliche Grenzüberschreitung

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Kaum hatte das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil zum Volksverhetzungsparagraphen 130 eine Bresche in das Recht der freien Meinung geschlagen (JF 49/09), legte die schwarz-gelbe Mehrheit des sächsischen Landtags mit einem eigenen Verbotsgesetz nach. Daß es in Karlsruhe Beifall finden wird, ist freilich zu bezweifeln.      

Der Landtag hat kurz vor dem 65. Jahrestag der Zerstörung Dresdens am 13./14. Februar 1945 ein Versammlungsgesetz beschlossen, das der Behörde erlaubt, an bestimmten Orten – zumal zur fraglichen Zeit in Dresden – Gedenkveranstaltungen zu verbieten, deren Konzept ihr nicht paßt. Soweit hier von Interesse, lautet Paragraph 15 des Gesetzes: „Eine Versammlung kann verboten werden, wenn sie an einem Ort von historisch herausragender Bedeutung stattfindet, der an (…) die Opfer eines Krieges erinnert, und wenn zu besorgen ist, daß durch die Versammlung die Würde der Opfer beeinträchtigt wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Versammlung a) die Gewaltherrschaft, das durch sie begangene Unrecht oder die Verantwortung des nationalsozialistischen Regimes für den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen leugnet, verharmlost oder gegen die Verantwortung anderer aufrechnet, (…) c) gegen Aussöhnung oder Verständigung zwischen den Völkern auftritt.“

Wer also nicht bereit oder imstande ist, die Erinnerung an den furchtbaren Anlaß des Gedenkens alsbald im Versöhnungsvokabular untergehen zu lassen, entlarvt sich danach selbst. Er tritt  gegen „Aussöhnung und Verständigung“ auf und mißbraucht „Dresden“ als Aufrechnungsposten „gegen die Verantwortung anderer“. Dann aber verlangt es die Würde der Bombenopfer, daß solcher Mißbrauch ihres Andenkens unterbleibt, ihres grauenhaften Todes also gerade nicht gedacht wird. „Die Zerstörung Dresdens war ein großes, sehr schweres Kriegsverbrechen“, stellte Adolf Arndt, der Kronjurist der SPD, im März 1965 in der Debatte des Bundestages über die Verjährung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen fest, um den Unterschied zwischen dergleichen und Rassenmord hervorzuheben. „Sehr schweres Kriegsverbrechen“ – die Wissenschaft vom Völkerrecht im In- und Ausland urteilt nicht anders; und doch ist ein solches Wort in unserem „öffentlichen Raum“ heute streng verpönt. Es erübrigt sich, die Textexegese weiterzutreiben.

Das Gesetz segelt im Wind des Zeitgeists – und stößt gleichwohl auf Widerstand bei Linkspartei, SPD und Grünen, die in der Bekämpfung all dessen, was sie mit „rechts“ bezeichnen, selbst keineswegs zimperlich sind. Ihre Motive dürften unterschiedlicher Art sein; einige stört, daß im Gesetz auch das ehrende Herausstreichen kommunistischer Gewaltherrschaft als Verbotsgrund genannt wird – dem Gesetz eingefügt zur formalen Wahrung des Gleichheitssatzes. Jedenfalls hat die Opposition angekündigt, vor dem sächsischen Verfassungsgericht gegen das Gesetz zu klagen, weil es Freiheitsrechte aufhebe und der Willkür Tor und Tür öffne.

Doch schon hat die Polizeibehörde aufgrund des noch druckfrischen Gesetzes die von der NPD-nahen Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland beantragte Demonstration durch die Elbestadt verboten (JF 5/10). Wie es weitergeht, liegt auf der Hand: Die Veranstalter werden vor dem Verwaltungsgericht gegen das Verbot klagen und dort zugleich eine Einstweilige Anordnung gegen die Behörde beantragen. Die unterliegende Seite geht sofort in die Beschwerde; und so kann die Eilakte bis zum Bundesverfassungsgericht hinaufhüpfen. Das Hauptverfahren zieht sich dann aber über Jahre hin.

Interessanter als Formalien ist die Frage, wie in der Sache letztlich entschieden wird. Bei einer Sachverständigenanhörung des Landtags Ende November 2009 hatten Staatsrechtler die CDU/FDP-Fraktionen mit dem Hinweis enttäuscht, der neue Karlsruher Beschluß sei speziell und ausschließlich auf Paragraph 130 (4) StGB zugeschnitten; mit ihm könne sie ihr Vorhaben nicht legitimieren. Der sächsische Entwurf überschreite die Grenze, die Karlsruhe jeder weiteren Freiheitsbeschränkung gezogen habe. Die Verfassungsrichter hatten es auch für unzulässig erklärt, dem Publikum ein korrektes Geschichtsbild vorzuschreiben. Die sächsischen Parlamentarier aber zeigen sich von solchen Skrupeln gänzlich unbeschwert. So fragt es sich wohl nur noch, ob das Gesetz schon in den Dresdener Instanzen oder erst in Karlsruhe scheitern wird. Die Mehrheitsfraktion stört diese Aussicht nicht. Sie hat ihr „Zeichen gegen Rechts“ gesetzt – mögen doch die Richter ihre Prügel beziehen, wenn sie es nicht lassen können, daran „formalistisch“ herumzumäkeln.

Günter Bertram war Vorsitzender Richter am Landgericht Hamburg.

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