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Intershop und Delikat-Läden

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Seit vergangenem Jahr gibt es in kubanischen Städten immer öfter ein ungewohntes Straßenbild: Köche in blütenweißen Kitteln bieten hinter nagelneuen Ständen heiße Würstchen oder fritiertes Hühnchen mit Reis an. „Comida ligera“ (schnelles Essen) steht in gelber Schrift auf den knallroten Sonnendächern der Dreiräder. In den Farben Blau, Weiß und Rot wirbt daneben eine andere Firma mit fritiertem Fisch, „Coctel de Ostiónes“ (Austern) und Brötchen mit Ei. Überall konkurrieren die neuen Staatsunternehmen mit den privaten Händlern, die seit Jahren belegte Brötchen und Erfrischungsgetränke aus ihrem Wohnzimmer heraus verkaufen.

„Wir haben keine Alternative, wir müssen uns vereinen und den Sieg erreichen“, wird Staatsführer Raúl Castro auf einem der neuen Plakate zitiert, die überall auf der Karibik-Insel hängen: Es zeigt eine Weltkugel und macht mit einem nach unten weisenden roten Zickzackpfeil auf die Krise des Kapitalismus aufmerksam. Unter dem Druck der weltweiten Krise laboriert das sozialistische Kuba an seinem Wirtschaftssystem. Die seit sechs Jahrzehnten von der Kommunistischen Partei regierte Insel muß sparen. Die Lebensmittelimporte überschreiten schon lange die finanziellen Möglichkeiten. Um den Staatsbankrott zu verhindern, ist die Regierung bereit, sogar stückchenweise sozialistische Errungenschaften aufzugeben. Im Visier ist in diesem Jahr ein Privileg, das Revolutionsführer Fidel Castro einst den Werktätigen geschenkt hat: Im Oktober vergangenen Jahres wurden die ersten Kantinen in Betrieben und Institutionen geschlossen.

Künftig sollen sich die Beschäftigten selbst um ihr Mittagessen kümmern. Weniger kostenloses Essen, dafür mehr Lohn, lautet die Devise, die Regierungschef Raúl Castro ausgegeben hat. Denn als Ausgleich für das wegfallende kostenlose Mittagessen erhalten Arbeiter und Angestellte jetzt täglich 15 Pesos (umgerechnet 48 Cent) ausgezahlt, was etwa einer Verdopplung des Monatslohns entspricht. „Ich bin mit dieser Lösung hochzufrieden, kann mir zu Hause Essen vorbereiten oder hier heiße Würstchen essen“, erklärte der Lehrer Eddy Maríñez. Das Kantinenessen sei nicht gut gewesen, und auf der Straße könne er sich den Stand aussuchen.

Es sind aber weniger die Klagen der Werktätigen als die schlechte Situation der Staatsfinanzen, die die Regierung Castro zu diesem Reförmchen bewegt hat. Es ist ein Versuch, Geld zu sparen und der Mißwirtschaft in diesem Bereich Einhalt zu gebieten. Bisher haben viele Kantinenmitarbeiter ihre Stellung genutzt, um Lebensmittel illegal abzuzweigen und zu verkaufen. Entsprechend schlecht ist der Ruf des Kantinenessens. An der Universität von Santiago kam es im Herbst 2009 fast zu einem Aufstand unter den Studenten, weil es seit Wochen nur Reispampe zum Mittagessen gab. Nur das persönliche Erscheinen des örtlichen KP-Vorsitzenden und dessen Versprechen, für Abhilfe zu sorgen, konnte die Gemüter besänftigen. Selbst die Parteizeitung Granma hatte sich unlängst über die Qualität von Essen und Service in den „Comedores“ mokiert. Auf umgerechnet 350 Millionen Dollar beziffert das Blatt die Summe, die der Haushalt bisher jährlich in die Kantinen pumpt.

Die kubanische Regierung weiß um die Brisanz der getroffenen Maßnahmen. Deswegen agiert man mit äußerster Vorsicht, jederzeit bereit, wieder zurückzurudern, falls das neue Modell nicht funktioniert. Es ist auch ein Testfall für die geplante Abschaffung der „Libreta“, jener Karten, auf die jeder Kubaner subventionierte Lebensmittel und Verbrauchsartikel erhält. Einiges deutet darauf hin, daß eine der beiden im Land gültigen Währungen – nationaler und konvertibler Peso – abgeschafft wird. Schon heute sind beide frei tauschbar.

Als Teil des Experiments gelten auch die neu geschaffenen Mercados Ideales, eine neue landesweite Kette von Lebensmittelläden. Modern eingerichtet und gut gefüllt, gleichen diese auf den ersten Blick den vielen Geschäften, in denen nur mit dem konvertiblen Peso (CUC) bezahlt werden kann. In den Mercados Ideales gilt aber der nationale Peso, die Währung, in der die Kubaner ihren Lohn erhalten. Dafür sind die Preise – wie in den einstigen sozialistischen Delikat-Läden der DDR – überteuert. Das Preisniveau entspricht umgerechnet fast dem in den Devisenläden, die an die DDR-Intershops erinnern.

So kostet der Liter Joghurt, sonst für drei Pesos zu haben, hier 15. Dafür ist er immer vorrätig. Die langen Schlangen vor den Mercados Ideales zeigen, daß zumindest in den Großstädten wie Havanna und Santiago de Cuba genug Geld unter den Menschen ist. Viele gönnen sich das teure Einkaufsvergnügen im vermeintlich westlichen Ambiente.

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