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Tschekistische Zahlendiskussionen

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Nach dem Fall Kurras ist seit vergangener Woche eine erneute Diskussion über den Umgang mit dem Erbe des einstigen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR entbrannt. Anlaß dafür ist ein Bericht der Financial Times Deutschland, in dem aufgedeckt worden war, daß trotz Regelanfragen rund 17.000 ehemalige Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit nach 1990 in die Verwaltungen der neuen Bundesländer auf- beziehungsweise  übernommen worden und dort zum Teil immer noch tätig seien. Laut FTD beträfe dies in Sachsen-Anhalt 4.400, in  Sachsen 4.101, in Brandenburg 2.942, in Berlin 2.733, in Mecklenburg-Vorpommern 2.247 und in Thüringen 800 Mitarbeiter.

Für den ehemaligen sächsischen Innenminister Heinz Eggert (CDU) sind diese Zahlen keine Überraschung. Bereits die letzte, einzige frei gewählte DDR-Regierung unter Lothar de Maizière habe vor dem Problem gestanden, daß sie dringend Personenschützer sowie Sprengstoffexperten für die Entschärfung von Bombenblindgängern benötigte. Es sei jedoch damals nahezu unmöglich gewesen, diesen Bedarf mit vollkommen unbelasteten Mitarbeitern zu decken. Daher wurde der Kompromiß geschlossen und auch einige Personen übernommen, die ehemals für das MfS gearbeitet hatten. Entscheidend für eine Einstellung sei dabei neben der jeweiligen Position, die der potentielle Mitarbeiter innerhalb des Geheimdienstes einnahm, der mutmaßliche Grad der persönlichen Verstrickung in das alte System gewesen. Vor diesem Hintergrund sei etwa mit Pförtnern, Putzfrauen, Personenschützern, Chauffeuren und Telefonisten anders verfahren worden als mit Vernehmern oder Gefangenenaufsehern.

Als weiteren Grund für die Weiterbeschäftigung ehemaliger MfS-Mitarbeiter betrachtet Eggert die juristischen Schwierigkeiten nach der Übernahme der bundesdeutschen Gesetze am 3. Oktober 1990. Während sich die neuen Behörden an die veränderten Regelungen erst gewöhnen mußten, war es Entlassenen sofort möglich, mit Hilfe der aus West- nach Mitteldeutschland umgesiedelten Rechtsanwälte erfolgreich vor Gericht auf Wiedereinstellung zu klagen. Eine Reihe dieser Klagen ging zugunsten der Betroffenen aus. Zudem war im deutsch-deutschen Einigungsvertrag zwar festgeschrieben worden, daß eine frühere Stasi-Mitarbeit zur Kündigung eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst führen kann. Einen Zwang gab es aber nicht. So wurden die Regelungen in jedem Land etwas anders praktiziert.

Auch den ehemaligen DDR-Bürgerrechtler und Grünen-Politiker Werner Schulz wundern die jetzt bekannt gewordenen Zahlen über die Weiterbeschäftigung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern nicht. Grundsätzlich sei trotz einiger Mängel die Einzelfallprüfung der richtige Weg gewesen. Eine Pauschalverurteilung jedes Belasteten, die eine sofortige Entlassung nach sich gezogen hätte, sei dagegen aus bestem menschlichem Ermessen nicht zu verantworten gewesen. Generell dürften die Angaben über Ex-Stasi-Mitarbeiter im öffentlichen Dienst nicht überbewertet werden, sagte Schulz. Weit problematischer als die Weiterbeschäftigung einzelner MfS-Mitarbeiter, die dort in weitestgehend untergeordneten Positionen gearbeitet hätten, sei die Tatsache, daß die Hauptverantwortlichen der Partei  – die leitenden Funktionäre der SED – im Vergleich zu den „kleinen Spitzeln“ nach 1990 nur in wenigen Ausnahmefällen Konsequenzen tragen mußten. „Die Stasi bekam die Dresche ab, die Partei blieb ungeschoren“, kritisierte Schulz.

Der Berliner Landesbeauftragte für die Unterlagen des ehemaligen MfS, Martin Gutzeit, meldete unterdessen ernsthafte Zweifel an. Gegenüber dem Berliner Tagesspiegel bezeichnete Gutzeit die Angaben aus der FTD als „abenteuerlich“. Offenkundig stütze sich das Blatt auf einen Tätigkeitsbericht aus seiner Behörde aus dem Jahr 1997. Darin hatte der Landesbeauftragte eine erste Zwischenbilanz über die personalrechtlichen Konsequenzen erstellt, welche die einzelnen Dienststellen in Berlin aus den Ergebnissen der insgesamt 81.860 Regelanfragen zwischen 1991 bis 1996 zogen.

Insgesamt hatten sich aus den Akten in 5.153 Fällen „Erkenntnisse“ ergeben. Doch erst mit der Hilfe der Einzelfallprüfungen war es möglich, diese Ergebnisse zu verifizieren und sich einen Aufschluß über tatsächlich belastende Fakten zu verschaffen. Erst diese konnten zu einer Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses führen. Auf diesem Wege wurden 2.420 belastete Mitarbeiter bis 1996 entlassen. Der einfache Rückschluß, daß die verbleibenden 2.733 Mitarbeiter damit automatisch belastet gewesen oder längerfristig in ihrer Position weiterbeschäftigt worden wären, sei also fragwürdig, so Gutzeit.

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