Das Ende des Prozesses gegen den ehemaligen Wehrmachtsoffizier Josef S. aus Ottobrunn, dem vorgeworfen wird, für ein Massaker an Zivilisten im norditalienischen Cortona di Falzano im Juni 1944 verantwortlich zu sein, bei dem 14 Menschen ihr Leben verloren, ist in Sicht. Sollte es keine krankheitsbedingten Ausfälle mehr geben, ist am 3. Juli mit einem Urteil zu rechnen – nach knapp zehnmonatiger Verhandlungsdauer.
Das lange Verfahren stößt bei immer mehr Menschen auf Unverständnis. Taxifahrer, die den Ottobrunner nach der Verhandlung nach Hause bringen, sympathisieren offen mit dem Angeklagten und wünschen ihm viel Glück, ein Polizist am Informationsschalter des Gerichtsgebäudes meinte: „Die sollen den alten Mann doch in Ruhe lassen, der tut mir wirklich leid. Wie lange geht das denn noch?“
Erst vor zwei Wochen mußte ein Termin abgesagt werden, weil der Angeklagte erkrankt war. Schon die Verhandlungstage zuvor hatte sich der 90jährige gegen den Rat seines Arztes unter Schmerzen im Hüft- und Beinbereich in den Gerichtssaal geschleppt. „Ich kann doch nicht krank machen, sonst werden wir ja nie fertig“, lautete die Begründung des Angeklagten, der den Prozeß endlich hinter sich bringen möchte, für den erstaunlichen Eifer. Für Verzögerungen bei den einzelnen Vernehmungen sorgen zudem immer wieder Probleme mit dem Hörgerät. Weil es nicht funktionierte, mußte beispielsweise die komplette Befragung eines Düsseldorfer Kripo-Beamten wiederholt werden.
Aufschlußreich war der Bericht eines weiteren Beamten vom Landeskriminalamt Düsseldorf von dessen erster Begegnung im Januar 2005 mit dem damals 86 Jahre alten Vorgesetzten des Angeklagten, dem früheren Bataillonskommandeur Herbert S. Der Ex-Major erklärte damals, er brauche keinen Verteidiger, da er sich nichts habe zuschulden kommen lassen. Weil Herbert S. später für verhandlungsunfähig erklärt wurde, übergab die Staatsanwaltschaft Dortmund das Verfahren zu Beginn das Jahres 2007 an die Kollegen in München. Die Ermittlungen in Dortmund sind allerdings noch nicht ganz abgeschlossen. Ausständig ist noch eine Zeugenvernehmung in Argentinien.
Was das Verfahren gegen Josef S. inhaltlich betrifft, so geht es um die Klärung zweier Ebenen: die Anordnung und die Durchführung der Tat. Zur Anordnung äußerte sich der vom Gericht bestellte Sachverständige und Militärhistoriker Peter Lieb dahingehend, daß ein derartiger Vergeltungsschlag in der Regel nur von einem Divisionskommandeur oder einer noch höheren Stelle befohlen werden konnte. Damit scheidet der Angeklagte als Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit aus.
Muß also noch die Durchführung geklärt werden. Und auch hier sind schwerwiegende Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten angebracht. Kurioserweise sorgte der einzige Überlebende des Massakers, der damals 15 Jahre alte Gino M., für den größten Trumpf der Verteidigung. Er behauptete nämlich, daß der vor Ort befehlende Soldat eine Schirmmütze getragen habe. Lieb hält es für unwahrscheinlich, daß ein Offizier der Gebirgsjäger wie Josef S. im Felde mit Schirmmütze auftrat, die bei der Gebirgstruppe Bestandteil der Ausgehuniform war. „Im Einsatz wäre diese Schirmmütze nur dann von jemandem getragen worden, wenn dieser einen ausgesprochenen Spleen dafür gehabt hätte. Dann wäre derjenige aber dafür bekannt gewesen und die einfachen Soldaten hätten das erwähnt“, so Lieb.
Weil die befragten Soldaten dies aber nicht taten, müssen bei der Untersuchung der Durchführung des Kriegsverbrechens auch andere Einheiten in Betracht gezogen werden. Um hier Licht ins Dunkel zu bringen, wurden alle Sachverständigen – neben Lieb auch Carlo Gentile und Klaus Hammel – ein weiteres Mal geladen. Bahnbrechende Neuigkeiten wußten sie auch diesmal nicht zu vermelden.
Der von der Staatsanwaltschaft beantragte Gentile räumte ein, daß man nicht mit Gewißheit sagen könne, ob alle Kompanien geschlossen an einem Ort eingesetzt wurden: „Auf so niedere Ebenen gehen die Unterlagen nicht ein.“ Deshalb könnten durchaus Kompanien anderer Einheiten, die sich in der Nähe aufhielten, jedoch nicht ausdrücklich in den Quellen mit dem Tatort in Verbindung zu bringen sind, für die Durchführung verantwortlich sein. Auch eine Beteiligung der Spezialeinheit Brandenburg wollte Gentile nicht ausschließen. Aufgrund der vielen – 65 Jahre nach dem Massaker wohl nicht mehr zu klärenden – offenen Punkte erscheint eine Verurteilung unrealistisch. Bis auf einen Termin am 29. Mai ist die Beweisaufnahme nun abgeschlossen. Für den 18. und 24. Juni sind die Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung vorgesehen.
Unterdessen versucht die tageszeitung (taz) einen der drei Anwälte des Angeklagten, Christian Stünkel, in die Nähe des Rechtsextremismus zu rücken. Stünkel, der für die FDP für den Stadtrat in Halle kandidiert, vertrete „regelmäßig rechtsextreme Straftäter und auch mutmaßliche nationalsozialistische Kriegsverbrecher“. Gegenüber der taz verteidigt sich der Rechtsanwalt: „Ich trenne hier ganz scharf zwischen meiner privaten Meinung und meinen Mandaten.“ Als Strafverteidiger müsse er jeden Mandanten vertreten.
Foto: Abzeichen der Gebirgsjäger