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Die Opposition wittert Morgenluft

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Nach ihrer katastrophalen Niederlage bei den Stadtratswahlen von Tokio, bei denen die Liberaldemokratische Partei auf 25 Prozent abstürzte, herrscht bei der dauerregierenden LDP eine Stimmung von Götterdämmerung. Die Wähler der Hauptstadt gelten zwar als wetterwendische Trendsetter. Doch schon seit drei Monaten gingen alle anderen Testwahlen, darunter Gouverneurssitze in ihren konservativen ländlichen Hochburgen, verloren. In der benachbarten Präfekturhauptstadt Chiba und in der historischen Tempel- und Schreine-Stadt Nara gewannen unerfahrene Dreißigjährige – nach japanischen Maßstäben im politischen Säuglingsalter – gegen altgediente LDPler.

Noch im Frühjahr schien es, als fänden Premier Taro Aso und die LDP wieder Tritt. Damals hatte eine Spendenaffäre den Chef und Finanzier der oppositionellen Demokraten (DPJ), Ichirō Ozawa, zum Rücktritt vom Parteivorsitz gezwungen. Unter Yukio Hatoyama, einem Politiker der vierten Generation einer mächtigen konservativen Dynastie, befindet sich die stärkste Oppositionspartei wieder im Aufwind. In Tokio wurde sie im Juli mit 40 Prozent der Stimmen stärkste Kraft.

Die DPJ entstand 1996 aus rechtssozialdemokratischen und nationalkonservativen Splitterparteien. Sie vereint Gewerkschaftler und Neoliberale, Pazifisten und Militaristen. Ebenso wie die LDP ist die DPJ eher eine Koalition von Fraktionen, zu denen sich Parlamentarier ihrer politischen Herkunft entsprechend unter Führung eines Fraktionschefs zusammengeschlossen haben. Eine klare Politik und ein stimmiges Regierungsprogramm haben sie bisher nicht. Doch scheinen die Wähler mittlerweile jeden – außer der abgewirtschafteten Regierungspartei und dem entscheidungsschwachen Premier – zu bevorzugen.

Aso erlitt auch eine Reihe peinlicher Ministerrücktritte. Finanzminister Shōichi Nakagawa mußte im Februar abtreten, weil er in Rom offenbar volltrunken auf einer Pressekonferenz erschien. Innenminister Kunio Hatoyama, ein Bruder des Oppositionsführers, warf das Handtuch, weil er den Chef der zu privatisierenden Post entlassen wollte, und Aso ihn nicht unterstützte.

Auch überzeugte Asos Wirtschaftsmanagement nicht. Als die Exportwirtschaft nach dem Einbruch der US-Schuldenkonjunktur abstürzte, legte er erneut milliardenschwere Reflationierungsprogramme auf (JF 11/09). Seine Vorgänger hatten während des „verlorenen Jahrzehnts“ (der Stagnation von 1992 bis 2002) schon 13 solcher Programme veranstaltet, die die Staatsfinanzen zerrütteten. Erst das Anspringen der Weltkonjunktur belebte ab 2003 die japanische Wirtschaft wieder. Aso verfeinerte seine Konjunkturpakte, indem er neben den Geschenken für die verbandelte Bauindustrie diesmal auch Einkaufsgutscheine verteilen ließ und die deutsche Abwrackprämie imitierte. Die Mehrheit der Bürger durchschaute den Unfug als staatliche Konsumsubventionen, die sie und ihre Kinder als Steuerzahler für den Schuldendienst des Staates wieder begleichen würden.

Aso ist wie die meisten LDP-Größen intelligent, gebildet und ein Patriot. Dennoch schaffte der Erbe eines der größten Zementwerke es nicht, sich und seine Partei aus der klassischen Klientelpolitik zugunsten der Bau- und Agrarlobby zu lösen. Ob die DPJ über bessere Rezepte verfügt, ist ihr Geheimnis. Noch verspricht sie das Blaue vom Himmel: mehr Sozialprogramme, Agrarbeihilfen oder regionale Förderungen.

Trotz katastrophaler Umfragedaten hat die LDP die am 30. August stattfindende 45. Shūgiin-Wahl noch nicht aufgegeben, denn 300 Sitze werden nach dem Mehrheitswahlrecht englischer Art in Direktwahlkreisen gewählt. Hier sind die LDP-Kandidaten dank ihrer überlegenen, häufig ererbten und teuer finanzierten Wahlkreisorganisationen oft unschlagbar. Die Unbeliebtheit von Partei und Premier hat bei der Stimmabgabe für den populären und verdienstvollen örtlichen Abgeordneten meist nur geringe Auswirkungen. Nur 180 Unterhaussitze werden per Verhältniswahl vergeben, bei denen die Partei angekreuzt wird. 2005 erhielt die LDP hierbei zwar nur 38,2 Prozent (77 Sitze), aber 219 Direktmandate (JF 38/05). Zusammen mit den 31 Sitzen der buddistischen Kōmeitō-Partei brachte dies eine komfortable Zweidrittelmehrheit, die das DPJ-dominierte Oberhaus (Sangiin) bei Bedarf überstimmen konnte. Sollte die DPJ dennoch knapp gewinnen, so sind nicht nur die Tage von Aso als Parteichef gezählt. Es könnte bei der LDP zu weiteren Abspaltungen und Überläufern kommen. Zu schmerzlich wäre für viele Abgeordnete und ihre teure Wahlkreispflege, die sie für das politische Überleben brauchen, der Entzug von den Futtertrögen der Macht und den Subventionstöpfen der Ministerien.

Im Sommer bietet Japan jedoch das interessante Spektakel eines Duells zwischen zwei relativ konservativen Parteien, die beide eher rechts der Mitte agieren. Die immer noch mitgliederstarken Kommunisten (7,3 Prozent/9 Sitze) und die Sozialdemokraten (5,5 Prozent/7 Sitze), die mit Tomiichi Murayama 1994 bis 1996 sogar den Premier stellten, sind – trotz der krisenbedingt wachsenden sozialen Probleme – zu einflußlosen Splitterparteien geschrumpft. Eine linksgrüne Bewegung feministischer Verbrauchervereine blieb eine Randgruppe des Großstadtmilieus.

Rechte Gruppierungen (Uyoku-Dantai), die ihre patriotischen Losungen traditionell per Lautsprecherwagen verbreiten, treten aus Geldmangel gar nicht an in einem Land, in dem das Parlament ohnehin ein Gesetz beschließt (2006 unter LDP-Premier Shinzo Abe), das die Schulen auffordert, zur Stärkung des Nationalstolzes auch Vaterlandsliebe und Gemeinsinn zu vermitteln. Die antiamerikanische Issuikai, die den kaisertreuen Schriftsteller und gescheiterten Putschisten Yukio Mishima (JF 31/08) als Märtyrer verehrt, spielt parlamentarisch ebenso keine Rolle wie die 1951 gegründete Großjapanische Patriotenpartei (Dai-nippon aikoku-tō) des 1990 verstorbenen Agitators Satoshi Akao.

Für Aso und Hatoyama hat das Wahlduell auch eine familiengeschichtliche Dimension. Asos Großvater, der Nachkriegspremier Shigeru Yoshida, hatte seinerzeit als „Japans Adenauer“ den von den US-Besatzern nach gewonnener Wahl „gesäuberten“ Ichirō Hatoyama interimistisch beerbt. Nach dem Ende der Besatzungszeit (1951) beanspruchte Hatoyama, der übrigens Baptist und vor dem Krieg unter anderem Bildungsminister war, das Amt des Premiers wieder und bootete den widerspenstigen Ex-Diplomaten Yoshida dank seiner stärkeren Kontrolle der Partei bald aus. Im Duell der Enkel stehen Yukio Hatoyamas Chancen derzeit nicht schlecht, den Sieg seines Großvaters zu wiederholen.

Dr. Albrecht Rothacher ist Lektor für die Politik Japans an der Uni Wien und Autor des Buches „Die Rückkehr der Samurai. Japans Wirtschaft nach der Krise“ (Springer Verlag 2007).

Foto: Hatoyama-Wahlplakat: Wird er der neue Ministerpräsident Japans?

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