Anzeige
Anzeige

Jenseits multikultureller Illusionen

Jenseits multikultureller Illusionen

Jenseits multikultureller Illusionen

 

Jenseits multikultureller Illusionen

Anzeige

Über die mehr oder weniger gelungene Integration der Zuwanderer, die seit Beginn der sechziger Jahre während der ersten großen Anwerbungswellen auf der Suche nach Arbeitsplätzen und Wohlstand nach Deutschland gekommen sind, sind mittlerweile unzählige Studien verfaßt worden. So ist es zunächst auch wenig verwunderlich, daß der erste detaillierte Bericht über Integration und Zuwanderung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums, der in der vergangenen Woche in Düsseldorf vorgestellt wurde, nicht die ganz große öffentliche Wirkung erreichte. Dennoch ist das von Innen- und Integrationsminister Armin Laschet (CDU) in Auftrag gegebene Dossier beachtenswert – und nicht nur deshalb, weil es mehr als 240 Seiten umfaßt. Denn der Bericht räumt mit dem einen oder anderen Vorurteil auf, zerstört allerdings manche multikulturelle Illusion. Als der damalige Oppositionsführer und heutige Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) im Jahr 2000 mit der Kampagne „Kinder statt Inder“ in den Wahlkampf zog, war die Empörung groß. Mittlerweile zeigt sich, daß Rüttgers’ Argumentation, es sei sehr schwierig, hochqualifizierten Arbeitnehmern einen Umzug nach Deutschland schmackhaft zu machen, und daher sinnvoll, mehr in die Bildung zu investieren, durchaus schlüssig war. Zu einer Ansiedlung konnten sich im Jahr 2007 ganze 111 „hochqualifizierte“ Ausländer entschließen. Das sind sogar drei weniger als im Jahr zuvor. Und wenn man dann noch berücksichtigt, daß von diesen 111 Personen 87 zuvor in einem anderen Bundesland gelebt haben, so kann man dieses Projekt getrost als gescheitert betrachten. Interessant und aufschlußreich ist Laschets Bericht aber dennoch. Vor allem auch deshalb, weil das Bemühen um eine unideologische Analyse des Themas spürbar ist. Das Innenministerium verwendet den Begriff „Personen mit Zuwanderungsgeschichte“ und berücksichtigt dabei nicht nur die Staatsangehörigkeit, sondern auch die Herkunft, die Geburtenentwicklung und die spezielle Situation der deutschstämmigen Spätaussiedler. So räumt der erste nord­rhein-westfälische Integrationsbericht auch mit dem Propaganda-Argument auf, die Zahl der Ausländer an Rhein und Ruhr sei in den vergangenen zehn Jahren im Verhältnis zur deutschen Bevölkerung gesunken. Zwar ist die Gesamtzahl im Vergleich zu 1996 mit 1,9 Millionen Ausländern rückläufig, gleichzeitig hat sich die Zahl der Personen mit Migrationshintergrund auf 4,1 Millionen erhöht. Die Ursachen hierfür sind in der sprunghaft gestiegenen Zahl der Einbürgerungen sowie der Geburtenentwicklung zu suchen. Mittlerweile hat jeder fünfte Einwohner Nordrhein-Westfalens eine eigene Zuwanderungsgeschichte. Darunter sind mehr als 850.000 Menschen mit türkischer Abstammung. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken, da die Personen mit Zuwanderungshintergrund wesentlich jünger sind als die deutsche Bevölkerung. Den Prognosen zufolge wird 2002 jeder fünfte Einwohner des bevölkerungsreichsten Bundeslandes über 65 Jahre alt, aber nur jeder Achte in dieser Altersgruppe ein Migrant sein. Aufschlußreich sind auch die Ergebnisse, die die Studie bezüglich des Arbeitsmarktes zutage fördert. Deutlich höheres Armutsrisiko Die Erwerbsquote der Deutschen liegt bei 73,5 Prozent, die der deutschen Männer sogar bei über 80 Prozent. Bei Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sind nicht einmal zwei Drittel erwerbstätig. Auffälligerweise weist die türkische Bevölkerung mit nur 55 Prozent Erwerbstätigkeit die niedrigste Quote auf. Dies liegt vor allem daran, daß der „Beruf“ Mutter dort immer noch hoch im Kurs steht. Nur jede dritte türkische Frau in Nordrhein-Westfalen geht einer Beschäftigung nach. Insgesamt sind eingebürgerte Personen auf dem Arbeitsmarkt besser verankert als Personen mit einem ausländischen Paß. So interessant der Bericht des NRW-Innenministers bezüglich der Analyse ist: Teilweise belegt er allerdings auch nur Altbekanntes. So ist das Armutsrisiko in ausländischen Familien deutlich höher als in deutschen. Rein rechnerisch stehen in einem deutschen Haushalt jedem Mitglied monatlich 1.073 Euro zur Verfügung, bei den Türken sind es nur etwas mehr als die Hälfte. Wenig Neues hat der erste Integrationsbericht allerdings bei der Bildung zu bieten. Das Schlagwort, daß „Bildung die Integration“ erhöhe, ist mittlerweile sattsam bekannt. Knapp fünf Prozent der NRW-Bevölkerung hat keinen Schulabschluß. Menschen mit Zuwanderungshintergrund stellen rund ein Viertel der Gesamtbevölkerung, aber zwei Drittel aller Schulabbrecher. 24,5 Prozent der Einwohner Nord­rhein-Westfalens mit Zuwanderungsgeschichte haben inzwischen einen höheren Schulabschluß, was nur unwesentlich geringer ist als der Anteil der deutschen Bevölkerung von 27 Prozent. Die Gruppe der eingebürgerten Deutschen erreicht mit 30,3 Prozent sogar einen höheren Wert. Laschet führt dies auf die „erhöhte Leistungsbereitschaft der Einbürgerungswilligen“ zurück, bleibt den Beweis dafür aber schuldig. Denn deutlich wird auch: Noch immer ist die Hauptschule die von Zuwanderern am häufigsten besuchte Schulform. Dagegen besuchen nur gut fünf Prozent der Migranten ein Gymnasium.

Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag