Warum hat John McCain verloren? Beginnen wir mit dem „Gegenwind“, der ihm entgegenblies. Sein Parteifreund George W. Bush genoß als amtierender Präsident eine Zustimmungsrate von 25 Prozent. Für 62 Prozent der Amerikaner war die Wirtschaft das wichtigste Problem, und 93 Prozent beurteilten die Wirtschaftslage als schlecht. Zwei Drittel der Bevölkerung hielten den von McCain unterstützten Irak-Krieg für einen Fehler, und 80 bis 90 Prozent meinten, das Land befinde sich auf einem falschen Kurs. Gemessen an Charisma und Kommunikationsvermögen spielt McCain nicht einmal in derselben Liga wie Barack Obama, der zudem weit mehr Geld in seinen Wahlkampf steckte und eine überlegene politische Organisation hinter sich wußte. Daß McCain mit solch schlechten Karten überhaupt eine Chance hatte, ist schon ein Wunder. Dank Sarah Palin, deren Nominierung zur Vizepräsidentschaftskandidatin einen Medienwirbel auslöste, konnte McCain am 10. September dennoch einen Rückstand von acht Prozentpunkten aufholen und lag in den Umfragen der Meinungsforscher vorne. Joe Biden meldete bereits Zweifel an, ob Hillary Clinton vielleicht doch die bessere Wahl als Vize gewesen wäre als er selber. Dann folgte die Pleite der Lehman-Investitionsbank, die staatlichen Rettungsmaßnahmen für den Versicherungskonzern AIG, McCains Behauptung, die Wirtschaft sei grundsätzlich gesund und seine überstürzte Rückkehr nach Washington, um Präsident Bush und Finanzminister Henry Paulson zu helfen, ihr überaus unpopuläres Milliardenpaket für die Banken durchzusetzen: Der Mann des Establishment eilte dem Establishment zu Hilfe. Plötzlich trennten McCain wieder zehn Punkte von Obama, während die Presse sich auf Palin stürzte. Diesen Rückstand konnte er nicht wiedergutmachen, wenngleich sein Wahlkampf-Endspurt diejenigen Demoskopen, die einen zweistelligen Sieg für Obama vorhersagten, ganz schön dumm dastehen ließ. Womöglich hätte kein Republikaner unter diesen Voraussetzungen die Wahl gewinnen können. Vielleicht wäre ein Sieg McCains aber doch denkbar gewesen — hätten ihm nicht wie vor ihm seinen Parteikollegen Gerald Ford, George Bush und Bob Dole, allesamt Männer des Polit-Establishment, die Mainstream-Medien und seine eigenen Washington-geprägten Überzeugungen im Wege gestanden. Verbot der Homo-Ehe und Englisch als Amtssprache Man bedenke etwa, daß die Wähler in Kalifornien, wo eine liberale Gerichtsbarkeit die Regierung des Bundesstaats gezwungen hatte, gleichgeschlechtliche Ehen anzuerkennen, mit einer Mehrheit von 52 Prozent dafür stimmten, sie wieder zu verbieten und dies in der kalifornischen Verfassung festzuschreiben. Auch in Arizona und Florida gab es Erdrutschsiege für ein solches Verbot. Die New York Times beschwerte sich über das „häßliche Ergebnis“ dieser drei Volksabstimmungen und warf den Wählern vor, Bigotterie in der Verfassung verankern zu wollen. Aus ihrer Sicht sind die Mehrheit in Kalifornien, Arizona und Florida also bigott und ihr in der Bibel wurzelnder christlicher Glaube nichts als Heuchelei. Gut zu wissen, was die NYT von uns hält. Doch McCain, der mit solchen moralisch-kulturellen Themen hätte punkten können, beschränkte sich auf Lippenbekenntnisse — und verlor Florida und Kalifornien. In Missouri, wo McCain einen knappen Sieg errang, wurde ein Gesetzentwurf, Englisch zur Amtssprache zu machen, mit überwältigender Mehrheit angenommen. In Nebraska stimmten 58 Prozent für ein Verbot der positiven Diskriminierung (affirmative action), das in Colorado mit 50 Prozent Zustimmung die erforderliche Mehrheit knapp verfehlte. Für einen Entwurf, der die Benachrichtigung der Eltern bei Abtreibungen an Minderwertigen zur gesetzlichen Pflicht gemacht hätte, stimmten in Kalifornien 48 Prozent — weit mehr als für McCain —, und in South Dakota waren 45 Prozent für ein Abtreibungsverbot außer in Fällen von Vergewaltigung, Inzucht oder einer Gefahr für das Leben der Mutter. McCain hätte Obamas Unterstützung für ein Gesetz zur vollkommenen Freigabe der Abtreibung zum Wahlkampfthema machen und ihn dadurch zwingen sollen, seine Position in dieser Frage zu verteidigen — eine Position, die in Amerika nach wie vor als radikal und extrem gelten kann. Während Obama die schwarze Wählerschaft für sich mobilisierte, gelang es McCain nicht, Bushs Anteil an der weißen Arbeiterschicht zu halten — und das trotzt Obamas liberalen Abstimmungsverhaltens im Senat und seiner langjährigen Bekanntschaft mit Männern wie dem Prediger Jeremiah Wright und dem Bombenleger William Ayers. Wohl aus Angst, seinen Ruf als „good guy“ bei seinen alten Kumpels in den Medien zu verspielen, ließ McCain Wright in Ruhe und zögerte sogar, die Ayers-Fährte zu verfolgen. Doch die Guten kommen bekanntlich als letzte über die Ziellinie. Der Hauptgrund jedoch, daß die Washington-Republikaner ihre Bodenhaftung im amerikanischen Volk verlieren, liegt in ihrem ideologischen Unvermögen, zwei große Probleme anzusprechen: die wirtschaftliche Unsicherheit und die Wahrnehmung, daß uns das Land verlorengeht, in dem wir aufgewachsen sind. Schuld an der wirtschaftlichen Unsicherheit ist die mit Hilfe von Freihandelsabkommen wie Nafta oder Gatt betriebene Globalisierung, der zufolge es sich für US-Unternehmen rentiert, ihre hiesigen Standorte zu schließen, neue Fabriken in China zu bauen und die Waren von dort aus in die USA zu exportieren. Mittlerweile arbeiten weniger als zehn Prozent der Amerikaner im produzierenden Gewerbe. Schuld an der sozialen Unsicherheit ist die Masseneinwanderung. Teils auf legalen, teils auf illegalen Wegen hat sie viele Millionen von Menschen ins Land gebracht, die das gesellschaftliche Zusammenleben grundlegend verändern und den Einheimischen Arbeitsplätze streitig machen, indem sie ihre Dienste für sehr viel weniger Geld anbieten. Darin also liegt die doppelte Todesursache der Reagan-Koalition. Solange die Republikanische Partei nach dem Geld der Lobby-Organisationen lechzt, wird sie keines der beiden Probleme angehen — und infolgedessen im Rausch ihrer Habsucht das Zeitliche segnen. Patrick J. Buchanan war mehrfach US-Präsidentschaftskandidat. Er ist Mitbegründer der Zeitschrift „The American Conservative“.