Das war kein Erdbeben in Bayern, wie SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier meinte. Der Absturz der CSU weit unter 50 Prozent kommt einer Kontinentalverschiebung gleich. Untergegangen ist die Epoche von Franz Josef Strauß, die der letzte Erbe Edmund Stoiber noch weit in die heutige Zeit hinübergerettet hatte. Seine Nachfolger, das Tandem aus Erwin Huber und Günther Beckstein, aber auch die gesamte andere Führungsriege der CSU, haben den „Mythos CSU“ nicht bewahren können. Die mit ihren Stimmenanteilen in Europa einzigartig dastehende Partei ist auf CDU-Normalmaß zurückgefallen. Die Gründe für das Versagen der CSU beim Wähler sind zahlreich. Einer der wichtigsten dürfte sein, daß das Volk zwar den Verrat liebt, aber nicht die Verräter. Huber und Beckstein, die in einer Nacht in Kreuth Anfang vergangenen Jahres Stoiber entthront und die Macht an sich gerissen haben, haben am 28. September die Quittung für ihren Verrat erhalten. Becksteins Äußerung, anständige Bayern würden CSU wählen, war ein Schuß nach hinten. Gerade den anständigen Bayern dürfte es nicht gefallen haben, wie Stoiber mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt wurde. Landespolitische Themen kommen als weitere Gründe hinzu. Die Schulreformen waren unbeliebt, Huber und Beckstein konnten ihre Notwendigkeit nicht mehr erklären. Der Transrapid zum Münchner Flughafen wurde gestrichen. Beckstein ging wie ein Schulbub nach Berlin, um sich das Ende der Strecke erklären zu lassen. Das schärfste Rauchverbot aller deutschen Bundesländer tat ein übriges. Im Bundestag wurde die CSU in der Schlußphase des Wahlkampfes regelrecht vorgeführt. Die Bayern mußten gegen ihr zentrales Wahlkampfanliegen, die Wiederherstellung der vollen Pendlerpauschale, stimmen: Die Linksfraktion hatte einen Antrag mit den CSU-Forderungen eingebracht. Die unbeliebte grüne Gentechnik war von der CSU im Landtag verurteilt worden. Im Bundestag brachten die Grünen die CSU-Positionen als Antrag ein, und die CSU stimmte dagegen. In Berlin fragen sich viele, wie es dem eigentlich gut gestarteten Landesgruppenchef Peter Ramsauer passieren konnte, so in die Messer der Opposition zu laufen. Der Koalitionspartner SPD hatte diebische Freude, die CSU schwieg, und die CDU schickte ihr letztes Aufgebot in die Debatten. Eigene Gegenanträge zu Linken und Grünen stellten die Bayern nicht. Statt auszuscheren und an die eigenen Stammlande zu denken, gingen die Bayern in Berlin lieber in Nibelungentreue zur Großen Koalition unter. Zur Ruhe wird die CSU nicht kommen. Der Verlust von fast einem Drittel der Stimmen reißt erstens ein riesiges Loch in die Parteikasse, weil die Wahlkampfkostenerstattung wesentlich geringer ausfällt. Zweitens haben 32 Parlamentarier ihr Mandat verloren und sind entweder arbeitslos oder müssen wieder in zivile Berufe. Das ist ein revolutionäres Potential in der Partei. Man wird außerdem mindestens zwei Ministersessel an den künftigen Koalitionspartner abtreten müssen. Auch hier verlieren nicht nur die Minister ihren Job, sondern auch die in Bayern besonders zahlreichen Kofferträger und persönlichen Referenten werden ausgetauscht. Für ein Bündnis mit der CSU kommen entweder FDP oder an zweiter Stelle die Freien Wähler in Frage. Ein buntes Bündnis von SPD bis Freien Wählern gegen die CSU gilt als unwahrscheinlich. Ob Beckstein die Koalitionsregierung führen und Huber weiter an der Spitze der CSU stehen wird, ist fraglich, Stoibers Rückkehr wird ausgeschlossen. Ein Gewinner der Wahl sitzt im Berliner Kanzleramt. Vor der geschwächten Bayern-Truppe muß Kanzlerin Angela Merkel nicht mehr wie seinerzeit vor Stoiber Angst haben. Die Auswirkungen der Bayern-Wahl sind für Berlin auch zunächst gering. Das bürgerliche Lager ist in Bayern so stark wie vor der Wahl, nur zersplittert. Für die Bundesversammlung, die den Präsidenten wählt, heißt das, daß Horst Köhler die fehlenden Stimmen der CSU durch Stimmen von Freien Wählern und FDP kompensieren kann. Und bei der Bundestagswahl fehlende Bayern-Stimmen will Merkel ersetzen, indem sie neben der FDP die Grünen als weiteren Partner in die Regierung nimmt. Mittel- oder langfristig hat der 28. September Auswirkungen, die weit über das Schicksal von Huber, Beckstein und 32 Abgeordneten hinausgehen. Die Bayerische Staatsregierung, das CSU-Alleinkabinett, war die letzte konservative Bastion in Deutschland. Hier wurden Bundesratsanträge zum Beispiel gegen die doppelte Staatsbürgerschaft gestellt, von München aus wurde das Bundesverfassungsgericht in zentralen Streitfragen angerufen. Daß dies nicht mehr geschieht, dafür wird die FDP als Koalitionspartner sorgen wie schon in Baden-Württemberg. In der CDU ist das konservative Licht längst erloschen. Die gemeinsame Fraktion von CDU und CSU hat schon lange keine konservative Komponente mehr. Der letzte Konservative Martin Hohmann wurde davongejagt. Die Bayern-Wahl hat erbracht, daß es Konservatives auf Bundesebene nicht mehr gibt. Damit bricht, was Merkel nicht bedenkt, für viele konservative Wähler der Grund weg, CDU zu wählen, weil das auch der CSU zugute kommt. Die Bundestagswahl wird spannend. Foto: Erwin Huber (li.) und Günther Beckstein am Wahlabend: Die Machtbasis der CSU in Bayern ist ins Rutschen gekommen