Die Petition der Südtiroler Bürgermeister zur Verankerung der Schutzmachtfunktion Österreichs für die Südtiroler in der Präambel einer neuen österreichischen Verfassung (JF 5/06) wird inzwischen in den eigenen Reihen kritisiert. Der Chef der Südtiroler Volkspartei (SVP), Elmar Pichler-Rolle, selbst einer der Unterzeichner, räumte dieser Tage ein, daß der „Zeitpunkt unglücklich gewählt“ sei. Auch der Landeshauptmann des österreichischen Bundeslandes Tirol, Herwig Van Staa (ÖVP), kritisierte, daß die Bittschrift gerade jetzt vor den italienischen Parlamentswahlen übergeben worden sei. Tatsächlich nutzt die Regierungspartei Forza Italia seit Wochen das Thema im Wahlkampf. Selbst der Koalitionspartner der Forza, die postfaschistische Alleanza Nazionale (AN), hatte sich bereits ironisch für die „unbezahlbare Unterstützung“ ihres Wahlkampfes bedankt. Und dennoch. In einem sind sich die Tiroler beiderseits des Brenners einig: Die Schutzmachtfunktion bleibt bestehen und ist notwendig. Dies brachte der Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder dann auch auf den Punkt: „Wenn die Autonomie respektiert wird, kommt niemand von uns auf die Idee, die Selbstbestimmung zu fordern.“ Das verbriefte Recht auf Selbstbestimmung ist demzufolge nur eine Absicherung für schlechte Zeiten. Um diesen aus dem Weg zu gehen, setzt die SVP auf eine Verbesserung der Autonomie und unterstützt bei den Parlamentwahlen im April den Spitzenkandidaten von Mitte-Links, Romano Prodi. Fast alle Südtiroler Bürgermeister sowie ein großer Teil der Nord- und Osttiroler Amtskollegen hatten den Appell unterschrieben, den die Südtiroler Schützen formuliert hatten. Dabei ging die Idee mit der Erwähnung der Schutzmachtfunktion ursprünglich auf einen Vorschlag der konservativen ÖVP im Verfassungskonvent zurück. Doch erst mit ihrer Unterschrift unter die Schützen-Initiative lösten die 113 von insgesamt 116 Bürgermeistern ein politisches Beben aus. Es heißt, wegen der Bittschrift sei sogar ein geplanter Wien-Besuch des italienischen Staatschefs Carlo Azeglio Ciampi abgesagt worden. Österreich ist seit 1946 Schutzmacht der Südtiroler Österreich ist seit dem Abschluß des Gruber-De-Gasperi-Abkommens vom 5. September 1946, auch Pariser Vertrag genannt, völkerrechtlich Schutzmacht der Südtiroler. Indem Österreich die Südtirolfrage 1960 vor die Vereinten Nationen trug, nahm es diese Schutzmachtfunktion dann auch wahr. Dessenungeachtet gilt die Aufnahme der Schutzmacht-Klausel als Präambel in eine neue Verfassung alles andere als sicher, auch wenn sich der österreichische Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) noch zuversichtlich gibt. So erklärte der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer jüngst in einem Interview mit dem Kurier: „Solange ich Mitglied des Verfassungs-Konvents war, habe ich mich gegen eine Präambel zur Verfassung ausgesprochen.“ Bereits vor einem Jahr hatte Khol, an den die Petition auch gerichtet war, sowie der freiheitliche Fraktionsvorsitzenden Herbert Scheibner einen entsprechenden Vorschlag eingereicht. Für dessen Umsetzung bedarf es allerdings einer Zweidrittelmehrheit, die nun laut den Sozialdemokraten (SPÖ) nicht zustande kommen wird. Entsprechend erklärte SPÖ-Parteichef Josef Cap, seine Partei sei gegen jede Präambel in der Verfassung. Die Grünen-Abgeordnete Terezija Stoisits betonte sogar, der Vorschlag habe im Konvent deswegen keine Beachtung gefunden, „weil er so gänzlich an der Realität vorbeigeht“. Selbst die Grünen in Südtirol kritisierten die Initiative als „überflüssig, weil folgenlos“. Ein Großteil der Italiener zwischen Brenner und Salurner Klause seien dadurch nur „in Unruhe versetzt“ und die „ethnische Auseinandersetzung“ angeheizt worden. In der Tat wirkte der Appell im politischen Diskurs in Bozen und Rom wie Öl aufs Feuer: Die rechtsgerichtete Partei Unitalia zeigte in der Folge sogar den Bozner Bürgermeister Luigi Spagnolli wegen Schmähung der Republik an, obwohl er nicht einmal zu den Unterzeichnern der Petition gehörte. Der italienische Regionenminister Enrico La Loggia (Forza Italia) verlangte selbst die Absetzung der Bürgermeister, die den Appell unterschrieben haben, und der italienische Innenminister Giuseppe Pisanu (Forza Italia) kündigte eine strafrechtliche Überprüfung der Bittschrift an. Aus den Reihen des Koalitionspartners AN, namentlich vom Abgeordneten Pietro Mitolo, war zu hören: „Die Bürgermeister beleidigen den italienischen Staat.“ Doch zielten Pisanus und Mitolos Stellungnahmen wohl letztlich weniger auf die in der Tat „harmlose Bestimmung“ (Khol) ab, daß Österreich Schutzmacht der Südtiroler ist, als vielmehr auf den zweiten Punkt des Formulierungsvorschlags der Schützen, in dem von Selbstbestimmungsrecht die Rede ist. Dieser lautet wie folgt: „Die Republik Österreich bekennt sich zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechtes des vom Land Tirol abgetrennten Tiroler Volkes deutscher und ladinischer Sprache und zum besonderen Schutz der Rechte des Südtiroler auf der Grundlage des Völkerrechtes.“ „Attentat auf die Einheit des Staates“ Die Polemik der nationalen Parteien in Italien muß in erster Linie vor dem Hintergrund des italienischen Gesinnungsstrafrechts gesehen werden: So ist ein „Attentat auf die Einheit des Staates“ noch immer ebenso strafbar wie ein „Angriff auf die Verfassung“. Delikte wie „antinationale Propaganda“ oder „antinationale Tätigkeit im Ausland“ wurden erst vor wenigen Wochen abgeschafft. Entsprechend war in früheren Jahrzehnten durchaus üblich, Forderungen nach dem Selbstbestimmungsrecht oder nur Bestrebungen für eine eigene Landesautonomie mit mehrjährigen Haftstrafen zu ahnden. Die Gesetzesreform sorgt nun aber dafür, daß die Justiz den Südtiroler Lokalpolitikern wenig vorwerfen kann. Denn dem neuen Gesetz zufolge geht etwa ein „Attentat auf die Einheit des Staates“ mit Gewalt einher. Eine gewaltfreie Forderung nach Selbstbestimmung ist demnach nicht mehr illegal, was sich die Bürgermeister samt Stellvertretern offenbar sogleich zunutze gemacht haben.