War es nur ein Sturm im Wasserglas? Wieder einmal? Denn wenn es um Gaslieferungen geht, lagen sich Lieferant Rußland und Empfänger Ukraine seit langem über Kreuz. Entsprechend drohte der vom Kreml kontrollierte Gasprom-Konzern, der über die größten erschlossenen Gasvorkommen der Welt verfügt, aufgrund ausbleibender Zahlungen bereits 1993 mit einem Lieferstopp und einer Erhöhung des Gaspreises bis zur Hälfte des Weltmarktpreises. Im Juni 2000 lenkte der damalige Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, den Blick auf ein weiteres bilaterales Problemfeld, indem er eingestand, daß sein Land seit Jahresbeginn dreizehn Milliarden Kubikmeter Gas illegal abgezapft hatte. Doch aller Unbotmäßigkeit zum Trotz erhielt der slawische Bruderstaat Rußlands den begehrten Rohstoff – ebenso wie Weißrußland, Georgien oder auch Moldawien – weiterhin zum Vorzugspreis. Ging es dem Kreml doch darum, die oftmals gen Westen blickenden Nachbarn mit Sonderkonditionen an sich binden. Mit den Erfolgen der „Rosenrevolution“ in Georgien (2003/2004) und der „orangenen Revolution“ in der Ukraine mit der Amtsübernahme des westlich orientierten Wiktor Juschtschenko im Januar 2005 erwies sich diese Strategie eindeutig als gescheitert. Die Regierung Wladimir Putins reagierte, und Gasprom setzte folglich auf Preiserhöhungen. Der Quasimonopolist begründete diese mit der Abschaffung von Sonderkonditionen und dem Übergang zu international üblichen Handelsbedingungen. Seit Beginn des Jahres bedeutet dies für Georgien eine Gaspreiserhöhung von 63 auf 110 US-Dollar pro 1.000 Kubikmeter. Das sich dem Westen annähernde Moldawien verzeichnet eine Preisverdopplung auf 160 Dollar, und von der reicheren Ukraine werden statt 50 Dollar zwischen 220 und 230 Dollar (203 Euro) verlangt. Kommentatoren sprachen von „beinharter Machtpolitik“ und russischen „Hegemonialansprüchen“ und vom politisch motivierten „Gaskrieg“. Moskau unterscheide zwischen Kreml-Getreuen und -Ungetreuen und richte seinen Gaspreis nach deren Wohlverhalten. Doch bereits Anfang Juni 2005 hatte Gasprom angekündigt, den Gaspreis für die Ukraine auf 160 Dollar anheben zu wollen. Parallel dazu forderte der Gasriese die Bezahlung für die acht Milliarden Kubikmeter Gas in den unterirdischen Lagern. Der Gaspoker begann. Doch anders als in den Jahren zuvor kam man zu keiner Einigung und ließ es – bewußt – darauf ankommen. Weder Rußland noch die Ukraine bewegten sich. Russischem Drängen folgten ukrainische Drohungen, die Miete für die Stationierung der russischen Schwarzmeerflotte und deren Basen in Sewastopol und auf der Krim drastisch zu erhöhen. Moskau saß am längeren Hebel: kein Aufschub, keine von der Ukraine erbetene stufenweise Anhebung und bei Nichtanerkennung Lieferstopp. Als dann die Verhandlungen zwischen dem russischen und dem ukrainischen Energieminister sowie den Vertretern der beiden Energiekonzerne Gasprom und Naftogaz (Ukraine) am 30. Dezember ergebnislos abgebrochen wurden, gab es kein Zurück. Putin zeigte sich besorgt darüber, daß sich der Dissens zu einer bilateralen politischen Krise ausweite. Seinen guten Willen zeigend, bot Putin Kiew einen Kredit in Höhe von 3,6 Milliarden Dollar an, um den Gaspreis abzufedern. In der allerletzten Minute der Silvesternacht machte der russische Präsident noch den Vorschlag, die Umsetzung der Preiserhöhung auf den 1. April zu verschieben, und ließ so die Katze aus dem Sack. Russische Hilfe für deren Statthalter Janukowitsch Am 26. März 2006 sind in der Ukraine Parlamentswahlen, und wie schon bei den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2005 macht Moskau auch bei diesem Urnengang keinen Hehl aus seinen Interessen. In diesem Kontext verwies der Ende Dezember 2005 von seiner Funktion als Wirtschaftsberater Präsident Putins zurückgetretene Liberale Andrej Illarjonow auf einen Vertrag aus dem Jahre 2004. Illarjonow zufolge garantiert diese Vereinbarung Kiew für einen Fünfjahreszeitraum weiterhin einen Preis von 50 Dollar pro Kubikmeter. Er sei drei Monate vor den Präsidentschaftswahlen geschlossen worden und sollte, so Illarjonow, Wiktor Juschtschenkos pro-russischem Rivalen Wiktor Janukowitsch zur Macht verhelfen. Der Versuch mißlang aber – und wird nun ein Jahr später wohl wiederholt. Am Neujahrsmorgen unterbrach Gasprom durch Absenken des Leitungsdrucks die Gaslieferung in die Ukraine. Der schon abgeschriebene, Moskau-treue Janukowitsch jubiliert und schilt Präsident Juschtschenko politischer Unfähigkeit. Das offizielle Kiew geißelt die „gezielte Schädigung“, spricht von einer Destabilisierungspolitik und kritisiert die Preissteigerung als Bestrafung für seine pro-westliche Politik. Andererseits ist man sich im Lager Juschtschenkos aber auch über folgendes im klaren: Seine unnachgiebige Haltung könnte seiner Partei Pluspunkte bringen – die er bitter nötig hat. Denn bis dato standen die Umfragen für ihn ebenso schlecht wie für die Partei der Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko. Als lachender Dritter liegt Janukowitschs Partei der Regionen vorn. Aber in Anbetracht der breiten Solidarisierung in der Bevölkerung gegen das russische Preisdiktat könnten sich Umfragen und Wahlausgang ändern. Unabhängig davon steht das eindeutige Ziel russischer Geo- und Gaspolitik fest. Moskau will auch in Westeuropa zum Gas-Marktführer aufsteigen und setzt dafür alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein. In erster Linie geht es dabei nicht so sehr um die Einkünfte aus den Gasverkäufe im nachbarlichen Umfeld, sondern um die Herrschaft über die Gasleitungen. Diese mußte man sich auch mittels „Erdgaskrieges“ von Weißrußland erstreiten, und dies wird auch von der Ukraine erwartet. Doch während Weißrußland für seine Bereitschaft, Gasprom die Miteigentümerschaft am weißrussischen Erdgasleitungsnetz zu überlassen, weiterhin mit billigem Gas bedient wird, steht die Ukraine vor einem harten Winter. Derweil stellt sich für Westeuropa und vor allem Deutschland die Frage nach der Sicherheit der Gasversorgung – 80 Prozent des Gases fließen durch die Ukraine. Gerade die Sicherheit hat Putin auch im Sinn, wenn er kurz nach Übernahme des Vorsitzes der Gruppe der G8 von der Sicherheit der globalen Energieversorgung schwärmt – und gleichzeitig mit einem deutlichen Fingerzeig in Richtung „unsicherer“ Ukraine den westlichen Blick auf die umstrittene Ostsee-Gasleitung lenkt.
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