Die deutsch-polnischen Beziehungen sind nicht erst seit dem Amtsantritt von Präsident Lech Kaczyński auf einem Tiefpunkt angelangt. Zwei besonders heikle Fragen sind die geplante deutsch-russische Erdgasleitung (Nord Stream Pipeline/NSP) durch die Ostsee und das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen. Verschärft wird die Situation durch die gegenwärtige sozial-konservative Regierung von Jarosław Kaczyński, die eine betont national-polnische Haltung vertritt. Bei den Kommunalwahlen im November mußte die Regierungspartei PiS in den Großstädten zwar eine Niederlage einstecken (JF 49/06), doch auf dem Land ist sie weiter stärkste Kraft. Die JUNGE FREIHEIT befragte kürzlich (JF 44/06) polnische Politiker zu ihrer Meinung zu den genannten drei Themen – nun wurden „einfache“ Bürger befragt. Und sie gaben zum Teil überraschende Antworten. Die Wiederholung des Ribbentrop-Molotow-Paktes Für Maciej Macenowicz, Jurastudent aus Krakau, ist die NSP „eine souveräne privat-staatliche Investition zwischen zwei Handelspartnern. Klar, man könnte darüber diskutieren, ob sie den polnischen Interessen in die Quere kommt. Doch da Polen eine antirussische Außen- und Wirtschaftspolitik betreibt, sollte man sich nicht wundern, daß wir auch für Deutschland kaum als Partner in Frage kommen. Für die entstandene Situation sind wir jedoch selber verantwortlich.“ Macenowicz findet, den Deutschen stehe das Recht zu, ein Zentrum für die Vertriebenen zu haben. „Freilich unter dem Vorbehalt, daß ebenfalls die anderen Opfer von Vertreibungen berücksichtigt werden.“ Der Standort Berlin sei „etwas unglücklich“ gewählt. Das könnte dazu führen, daß „den deutschen Vertriebenen zuviel Priorität eingeräumt wird“. Zur polnischen Regierungsmannschaft meinte er: „Vox populi, vox Dei!“ Jan Pieszczachowicz, Verleger und Schriftsteller aus Krakau, meint, daß Rußland gegenüber Polen „alles andere als wohlwollend ist. Doch wird das heutige Europa vom Kapitalismus regiert. So gesehen ist die Gaspipeline eine politisch-kapitalistische Geste: Für Rußland ist das Geschäft gut aus politischen und für Deutschland aus wirtschaftlichen Gründen. Gewiß, uns wäre es lieber, wenn die Röhren über Polen verlaufen würden. Aber die internationalen Regeln verbieten diesen beiden Staaten nicht, solche Verträge zu schließen“. Die Deutschen haben zwar das Recht auf ein Zentrum für die Vertriebenen, findet Pieszczachowicz. „Aber wer hat sie aus ihren Ostgebieten verjagt? Nicht die Polen, sondern die Alliiertenkonferenzen von Jalta und Potsdam. Uns wurden die Ostgebiete weggenommen und die Westgebiete gegeben – ohne uns zu fragen.“ Die Kaczyński-Koalition kommt bei ihm nicht gut weg. „Manche Führer der Koalitionsparteien sind sogar gerichtlich verurteilte Kriminelle.“ Der rechtskatholische Bildungsminister Roman Giertych (LPR) stelle sogar Darwins Evolutionstheorie in Frage. Für Eugeniusz Ciopiński, pensionierter Polizeikommissar aus Bielitz (Bielsko-Biała), ist die NSP ein Unding. „Wie konnte Deutschland, das wie wir EU-Mitglied ist, so eine Initiative zustande bringen? Und dies auf unsere Kosten!“ Die Deutschen verhielten sich Polen gegenüber nicht korrekt. „Einer unserer Minister brachte es kürzlich deutlich auf den Punkt, als er meinte, die Gaspipeline sei bloß die Wiederholung des Ribbentrop-Molotow-Paktes – das unterschreibe ich gerne!“ Nicht besser sei die deutsche Absicht, ein Zentrum für die Vertriebenen zu errichten. „Diese Forderung entbehrt jeder Moral und ist für Polen beleidigend! Denn es sieht so aus, als wollten die Täter die Genugtuung seitens ihrer Opfer. Das kommt einer Rollenverwechslung gleich. Schließlich vertrieben nicht wir Polen, sondern die Russen die Deutschen. Unsere Verantwortung dafür ist gleich Null!“ Die Kaczyński-Regierung hingegen verkörpere die letzte Chance, „noch all das zu retten, was polnisch ist“. Ein Scheitern der sozialkonservativ-nationalen Partei PiS würde bedeuten, „daß Polen kulturell und politisch aufgelöst würde. Die PiS strebt nach Einführung von gesetzlichen Grundlagen, welche das polnische Staatssystem verändern sollen. Sie will Gesetze, welche den Niedergang in unserer Gesellschaft aufhalten würden.“ Diese krankhaften Veränderungen seien allgegenwärtig, „sie lähmen unser wunderbares Land. Daß die PiS dem Unbill ein Ende setzen will, dafür gebührt ihr mein voller Respekt.“ Jerzy Fryczowski, Pfarrer in Bielitz, lehnt die NSP ab, „weil sie zu neuen Teilungen Europas führt. Der Bau ist ein Paradox der Neuzeit, ein Zeichen des Mißtrauens uns Polen gegenüber. Wir sind ein glaubwürdiger Staat mit einem verläßlichen Volk – und nicht irgendeine Kolonie, gegen welche man je nach Bedarf konspirieren kann!“ Den Begriff „vertriebene Deutsche“ dürfe man in Polen eigentlich nicht benutzen, „obwohl klar ist, daß auch sie vertrieben worden sind“. Doch dies hätten die Deutschen „Herrn Hitler und dem Krieg zu verdanken, den sie doch selbst gegen Polen und die Welt entfesselt haben. Was danach kam, war nur die logische Strafe, die nach dem Verursacherprinzip gewirkt hat“. Von den deutschen Vertriebenen zu sprechen, sei daher ein „Mißverständnis“. Leider höre man gegenwärtig in deutschen Medienberichten und von deutschen Politikern immer häufiger, daß auch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg „Opfer“ gewesen wären. „Wir Polen wollen aufrichtig Einigkeit, Frieden und Vergebung. Das darf aber nicht auf Kosten der Verfälschung der Geschichte und ihrer Fakten geschehen!“ Die polnische Regierung sei „weder ideal noch super, aber in der Konstellation, in der wir leben, Gottes Segen. Denn was können wir von der liberalen PO oder von der liberal-atheistischen SLD (Postkommunisten) erwarten? Nicht viel!“ Man habe gegenwärtig nur die Wahl des kleineren Übels: „Daher ist die jetzige Regierung mit Abstand das Beste, was uns passieren konnte.“ Foto: Angela Merkel und Jaroslaw Kaczynski: Deutsch-polnischer Zwist
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