Die Dienstleistungsrichtlinie zeigt einmal mehr, welch geringen Stellenwert Arbeitnehmer in der EU haben. Auch der von den beiden großen Fraktionen im Europäischen Parlament ausgehandelte Kompromiß kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß dieses EU-Regulierungsinstrument den Geist eines hemmungslosen Liberalismus atmet. Ebenso wird in Sachen Dienstleistungsrichtlinie die bisherige Politik unbeirrt fortgesetzt. Die wahren Gründe und Absichten werden verschleiert, die Bürger getäuscht und im unklaren gelassen. Die Streichung des Begriffes „Herkunftsland“ aus dem Text verkauft eine Eurokratenkaste als Entschärfung dieses Machwerks. An der Substanz ändert diese kosmetische Korrektur allerdings ebensowenig wie der Umstand, daß das Prinzip des Herkunftslands nur für Unternehmer Anwendung finden soll. Bereits die siebenjährige Übergangsfrist für Arbeitnehmer aus den osteuropäischen EU-Ländern zeigt, wie leicht dieses Verbot umgangen werden kann. Polnische oder tschechische Arbeiter entdeckten plötzlich ihre Liebe zum freien Unternehmertum und gründeten Ein-Mann-Firmen. In der Folge zogen ganze Karawanen von Scheinselbständigen gegen Westen und verschärften als Billigarbeitskräfte die Krise auf dem Arbeitsmarkt Deutschlands oder auch Österreichs. Ebenso gerieten viele kleine Gewerbetreibende unter die Räder, die mit der Billigkonkurrenz aus Osteuropa nicht Schritt halten konnten. Die Dienstleistungsrichtlinie wird diese Entwicklung verstärken und so die hohen Arbeitsrechts- und Sozialstandards der alten EU-Staaten dem niedrigen osteuropäischen Niveau annähern. Ein weiteres Problem im Zusammenhang mit dem Prinzip des Herkunftslandes ist jenes der Rechtsdurchsetzung. Hier finden sich keinerlei Bestimmungen. Die Aussicht, vor einem polnischen, oder tschechischen Gericht seine Rechte einklagen zu müssen, ist eher als gefährliche Drohung denn als Segnung europäischer Freizügigkeit zu verstehen. Weil sich die Nettozahler gegen immer stärkere finanzielle Belastungen zur Wehr setzen, will Brüssel diese nun auf verstecktem Wege verstärkt zur Kasse bitten. Die Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie würde die Arbeitsmärkte der osteuropäischen EU-Mitglieder auf Kosten der alten EU-Staaten entlasten. Darüber hinaus sieht Brüssel, das unter einem hochgradigen Regulierungs- und Vereinheitlichungswahn leidet, der zunehmenden Zersplitterung der europäischen Steuersysteme tatenlos zu. Von der Slowakei bis ins Baltikum antworten die neuen EU-Mitglieder auf den Brüsseler Geldfluß, der von den Nettozahlern finanziert wird, mit einem ruinösen Wettbewerb in Form der „Flat tax“. So saugen die Osterweiterungsstaaten Kapital und Arbeitsplätze aus ihren Geberländern ab. Nettozahler wie Deutschland oder Österreich subventionieren also den Verlust ihrer Arbeitsplätze. Was die Europäer von dieser Politik nur für die Wirtschaft halten, zeigten die Abstimmungen über die EU-Verfassung in Frankreich und in den Niederlanden. Die Bürger wünschen kein Europa, in dem ein riesiges Lobbyistenheer im Auftrag mächtiger Drahtzieher im Hintergrund die Richtung vorgibt. Wenn sich der Brüsseler Esel weiterhin brav vor den Liberalisierungskarren spannen läßt, dann werden sich noch mehr Bürger von der EU abwenden, als es ohnedies schon der Fall ist. Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung „Zur Zeit“ und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.