Am Donnerstag, dem 28. September hat der georgische Geheimdienst sechs Männer verhaftet. Zwei der Festgenommenen – ein Georgier und ein Fahrer der russischen Militärbasis in Batumi – wurden bald wieder freigelassen. Ein Oberst, zwei Oberstleutnants und ein Major vom russischen Militärgeheimdienst GRU wurden einen Tag später in der georgischen Hauptstadt Tiflis (Tblissi) wegen Spionage im Auftrag Rußlands angeklagt. Ein fünfter russischer Offizier konnte nicht vor Gericht gestellt werden, da georgische Sicherheitskräfte – trotz Blockade des russischen Militärhauptquartiers – vergeblich die Herausgabe von Oberstleutnant Konstantin Pitschugin forderten. Rußland schaltete den Weltsicherheitsrat ein und verlangte eine Verurteilung Georgiens. „Wir stufen das Vorgehen der georgischen Politik als Staatsterrorismus ein“, erklärte Duma-Chef Boris Gryslow. Das war keine leere Drohung, denn das Antiterrorgesetz vom Juli 2006 gibt dem Präsidenten das Recht, russische Soldaten auch im Ausland einzusetzen. Wladimir Putin selbst sagte, Georgien solle sich trotz der US-Präsenz und anderer westlicher Förderer nicht allzu sicher fühlen. Am Montag, dem 2. Oktober wurden die vier Offiziere dann zwar schon wieder freigelassen, und der (bis 2008) vereinbarte russische Truppenabzug geht weiter, doch die Beziehungen zwischen beiden Ländern sind auf ihrem Tiefpunkt angelangt. Über die Hintergründe und den Zeitpunkt der Aktion (wenige Tage vor den georgischen Kommunalwahlen, die die Präsidentenpartei schließlich fulminant gewann) wird viel spekuliert. Ein Grund war wohl in der Tat, außenpolitische „Härte zu zeigen“, um von der immer noch desolaten wirtschaftlichen und sozialen Situation großer Bevölkerungsteile „abzulenken“. Russische Medien wie die Njesawissimaja Gaseta oder der Kommersant vermuteten eine Verwicklung des US-Geheimdienstes CIA. Und dafür, daß das Ganze mit Absprache Washingtons geschah, spricht einiges – auch wenn die USA betonen, sie seien es, die Tiflis von unüberlegten Schritten abhalten. Denn der erst 38jährige Präsident Micheil Saakaschwili macht keinen Hehl aus seinen guten Beziehungen zu den USA. Nach Rechtsstudiengängen in Tiflis, Kiew und Straßburg war er 1994 als US-Stipendiat an der Columbia University. 1995 promovierte Saakaschwili an der George Washington University. Anschließend arbeitete er in einer New Yorker Sozietät. Im gleichen Jahr wurde er Abgeordneter des georgischen Parlaments, 1998 dann Chef der Fraktion der Bürgerunion, die den damaligen Präsidenten Eduard Schewardnadse unterstützte. Im Oktober 2000 wurde Saakaschwili Justizminister Georgiens. Im September 2001 trat er zurück und schloß sich der Opposition an. 2002 wurde er zum Chef des Stadtrats von Tiflis gewählt. In der „Rosenrevolution“ vom November 2003, die Schewardnadse aus dem Amt drängte, stieg Saakaschwili zum Oppositionsführer und Anfang 2004 schließlich zum Präsidenten auf. Die „Rosenrevolution“ folgte dem „Modell“ der Ablösung Slobodan Miloevićs durch die serbische Opposition im Jahr 2000. Damals war die serbische Jugendorganisation Otpor („Widerstand“) maßgeblich involviert. Sie wird unter anderem von der Stiftung Open Society Institute (OSI) des US-Milliardärs George Soros finanziert. In Georgien unterstützten die Jugendorganisation Kmara! („Genug!“) und der Oppositionssender Rustawi 2 die Massenproteste. Und 2000 in Belgrad wie 2003 in Tiflis war derselbe US-Botschafter im Amt: Richard Miles. Zu den engsten Beratern Saakaschwilis gehört der den US-Demokraten nahestehende Daniel Kunin, früher Repräsentant des National Democratic Institute (NDI) in Georgien. Die USA haben einen Militärstützpunkt in dem Kaukasusland – und ein Teilabschnitt der BTC-Pipeline vom aserbaidschanischen Baku ins türkische Ceyhan verläuft über Tiflis. Diese geopolitische Konstellation ist übrigens Teil einer „Bedrohungsanalyse der USA gegenüber Rußland für die Jahre 2006 bis 2008“, die vor einigen Wochen der frühere Sowjetbotschafter in Bonn, Valentin Falin (zusammen mit einem pensionierten Generalleutnant), an Präsident Wladimir Putin sandte. Dennoch scheint Putin auch im Falle Georgiens an seiner außenpolitischen Doktrin festzuhalten, größere Konflikte durch Kompromisse zu vermeiden. Ein weiterer Grund für den Affront liegt sicher darin, daß es Saakaschwili nicht gelungen ist, die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien wieder einzugliedern. In Südossetien steht am 12. November ein Referendum bevor, in dem über die Unabhängigkeit und den Anschluß an Nordossetien – und damit an Rußland – abgestimmt wird. Wie Rußland sich verhält, ist noch ungewiß. Völkerrechtlich ist die Lage aber klarer als in Fall Transnistrien (JF 38/06): Südossetien grenzt an die Russische Föderation und die russische Verfassung ist laut Artikel 65 (Abs.2) für den Beiritt neuer Staaten offen. Prof. Dr. Wolfgang Seiffert war Direktor des Instituts für osteuropäisches Recht in Kiel. Er lehrte auch am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.