D ie hessische Kleinstadt Korbach im Waldecker Land hat ein Problem. Seit den sechziger Jahren pflegt sie die Patenschaft zu den ab 1945 aus ihrer Heimat vertriebenen Einwohnern von Pyritz (Pommern), zugleich unterhält sie seit einigen Jahren enge Beziehungen zum heutigen Pyrzyce (Polen). Und da beginnt dann auch schon der Konflikt. Das 23. Patenschaftstreffen der Pyritzer Pommern in Korbach steht vor der Tür, und so unterbreitete der Heimatkreisvorsitzende den Stadtverantwortlichen den Festredner mitsamt Festrede. „Polens Drang zum Meer – Der Kampf um die Grenzen Pommerns“, betitelte der Theologieprofessor seine Rede, die mit Flucht, Vergewaltigung, Hunger und Angst begann. Danach beleuchtete er faktenreich die Geschichte der Pomoranen im elften und zwölften Jahrhundert, zog einen Bogen zu dänischen, schwedischen, brandenburgischen und preußischen Einflüssen und „wunderte“ sich zum Schluß: „… nun wird seit 1945 jedes Jahr am 18. März in Kolberg ein großes Spektakel inszeniert. Es trägt den Namen ‚Polens Vermählung mit dem Meer‘. Katholische Kirche und polnische Armee sind vereint in einem Ritual, wobei die polnische Fahne in die Ostsee getaucht wird, um die Erfüllung polnischer Träume zu feiern: die Befreiung Kolbergs von den Deutschen; die angebliche Rückkehr Polens zum Meer, die diesem Volk so lange verwehrt worden war. Festredner wurde der Auftritt verwehrt Nach diesem Mythos wurde 1945 endlich der Raub polnischen Landes durch die Deutschen beendet und Polens ursprüngliche Lage am Meer – Pomorze – wiederhergestellt. Das alles geschieht mit dem Versprechen: ‚Wir werden Dich nie verlassen, Du das Meer; denn Du warst seit Jahrhunderten und in alle Ewigkeit polnisch!'“ Verwehrt wurde daraufhin dem Festredner der Auftritt vor den 200 vertriebenen Pyritzern. „Wir haben Bedenken, daß Ursachen und Folgen der jüngeren deutschen Geschichte in dieser Festrede vernünftig dargestellt werden“, bekannte der parteilose Bürgermeister von Korbach, Klaus Friedrich, gegenüber der Waldeckischen Landeszeitung und wies den Vorschlag des Heimatkreisvorsitzenden zurück. So weit, so schlecht, sagte sich die umtriebige Regionalzeitung, der die „Zweifel an einer historisch objektiven Darstellung“ durch den Professor deutlich „angebracht“ schienen: gehöre der doch „offenbar zu den Lesern der Zeitschrift JUNGE FREIHEIT“. Auch hätte er in einem Leserbrief an die JF geschrieben: „Man kann es drehen und wenden, wie man will: dem Islam wurde Gewalt mit in die Wiege gelegt“. Zudem habe er Kontakt zu dem 1993 verstorbenen Historiker Hellmut Diwald gehabt. Der „Skandal“ war da, und zurück blieb ein desillusionierter Heimatkreisvertreter. Man müsse die Entscheidung der Stadt „so akzeptieren“, erklärte er gegenüber der Lokalzeitung. Seiner Meinung nach habe der Vortrag gepaßt: „Es war etwas anderes als eine Sonntagsrede. Aber aus der Geschichte kann man ja nie genug lernen.“ Derweil versuchte Bürgermeister Friedrich die Situation noch zu retten, indem er unterstrich, daß die Ablehnung des Festredners „kein Akt gegen die Heimatvertriebenen“ sei.