Die Deutschen lieben Sonderwege – auch in der Demographie. Einen objektiven Beleg dafür liefern die soeben veröffentlichten Ergebnisse einer internationalen Vergleichsstudie zur Bevölkerungspolitik: Unter vierzehn Nationen sind die Deutschen diejenigen, bei denen der Kinderwunsch am geringsten ausgeprägt, die Ehe mit Kindern als Lebensform am schlechtesten angesehen ist und das Single-Dasein am höchsten im Kurs steht. Der Bevölkerungspolitik gibt dieser Befund eine harte Nuß zu knacken. Vierunddreißigtausend Europäer im Alter zwischen 18 und 75 Jahren aus vierzehn Staaten waren in den Jahren 1999 bis 2003 repräsentativ befragt worden. Die daraus entstandene „Population Policy Acceptance Study“ („Studie zur Akzeptanz von Bevölkerungspolitik“, PPAS) soll in vergleichenden Analysen Auskunft darüber geben, wie die Europäer über den demographischen Wandel und bevölkerungspolitische Handlungsansätze denken. Das PPAS-Projekt, das von der Bevölkerungswissenschaftlerin Charlotte Höhn vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BIB) koordiniert wurde, ist von der Europäischen Kommission und von der Robert-Bosch-Stiftung gefördert worden. Detaillierte Ergebnisse sollen im kommenden Jahr veröffentlicht werden; eine Zusammenfassung findet sich im Netzangebot der Robert-Bosch-Stiftung ( www.bosch-stiftung.de/download/BoschBroschuereText_final1.PDF ) Für die Einstellung der Deutschen zu Kindern, Ehe und Familie fällt die Bilanz dabei vernichtend aus. Gerade mal 53 Prozent der Deutschen zwischen 18 und 50 Jahren bekennen sich zum Zusammenleben mit Trauschein und Kindern als bevorzugter Lebensform; nur in den Niederlanden verzeichnet die Studie einen ähnlich niedrigen Wert. 13,3 Prozent der Deutschen halten dagegen das Einzelgänger-Dasein als „Single“ für das Beste – in allen übrigen Ländern wird diese Einstellung im Schnitt von nur etwa drei Prozent der Bürger geteilt. Der Kinderwunsch ist in Deutschland am geringsten ausgeprägt: 15,4 Prozent der Frauen und 22,5 Prozent der Männer wollen überhaupt keine Kinder. Nur in Belgien und den Niederlanden erreicht die Ablehnung von Nachwuchs ebenfalls zweistellige Prozentanteile. Und auch die durchschnittlich gewünschte Kinderzahl ist in Deutschland am niedrigsten: Frauen wollen im Schnitt nur noch 1,75 und Männer sogar nur noch 1,59 Kinder -Werte unter zwei werden sonst nur noch in Österreich, Belgien und Italien verzeichnet. Betrachtet man die von den Befragten genannten Gründe für ihre Kinderlosigkeit, kommt ein denkbar schlechtes Zeugnis für die bisher in Deutschland übliche Familienpolitik heraus: Sie geht offenkundig an den Ursachen der Kinderlosigkeit und den Wünschen potentieller Eltern vorbei. So genießt die gute Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwar einen hohen Stellenwert im Bewußtsein der Deutschen, spielt bei der Entscheidung für oder gegen Kinder aber kaum eine Rolle. Bevorzugtes Modell für die Vereinbarkeit von Broterwerb und Kindern ist im übrigen die Möglichkeit der Teilzeitbeschäftigung und nicht die staatlich organisierte Ganztags-Fremdbetreuung, die von der rot-grünen wie der jetzigen Bundesregierung vorangetrieben wird – dieses Modell wird, kaum zufällig, vor allem in den früher sozialistischen Teilnehmerländern favorisiert. Der wichtigste Grund, warum Deutsche keine Kinder (mehr) wollen, ist schlicht und einfach: Der – ohnehin meist sehr niedrige – Kinderwunsch ist bereits erfüllt. Zukunftssorgen sind der zweitwichtigste Grund; ein Argument, das sonst nur in den osteuropäischen Beitrittsstaaten eine gewisse Rolle spielt. Materielle Gründe geben zwar häufig den Ausschlag bei der Entscheidung gegen Kinder, doch ist es fraglich, ob sich dem auch mit drastisch ausgeweiteten Transferleistungen abhelfen läßt: Denn es geht nicht um echte Notlagen, sondern vor allem um egoistisch-individualistische Motive: Der drittwichtigste Grund der befragten Deutschen für das Nein zum Kind ist die Befürchtung, den Lebensstandard nicht halten zu können. Auch Aussagen wie „Ich könnte das Leben nicht mehr so genießen wie bisher“ oder „Ich müßte meine Freizeitinteressen aufgeben“ haben in Deutschland, wie übrigens auch in Österreich und Belgien, eine hohe Bedeutung, während sie in den übrigen Ländern nur eine untergeordnete Rolle spielen. Hartes Brot für Deutschland Erklärtes Ziel der Studie war es, eine objektive Faktengrundlage zu schaffen, um darauf aufbauend bevölkerungspolitische Handlungsoptionen erarbeiten zu können. Für Deutschland wird das ein besonders hartes Brot. Die niedrige Geburtenrate korrespondiert hier mit einem extrem niedrigen Kinderwunsch. Materielle Anreize und Hilfestellungen für die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf allein reichen also nicht aus, um die Geburtenrate anzuheben. In anderen Ländern mögen diese Instrumente tauglich sein, um Hindernisse für die Realisierung vorhandener Kinderwünsche aus dem Weg zu räumen. Deutschland braucht dagegen einen grundlegenden Wertewandel, der den Kinderwunsch und die Bereitschaft zur Übernahme von Familienverantwortung überhaupt erst wieder wachsen läßt.
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