Die Ergebnisse der beiden Parlamentswahlen klingen seltsam vertraut. Die Wiederwahl der Regierungsparteien in den beiden mittelasiatischen Armenhäusern Kirgisien und Tadschikistan (siehe unterer Beitrag) konnte kaum überraschen. In Kirgisien gewannen die Regierungsparteien am 27. Februar gleich 25 von 28 Wahlkreisen. Eine „orangene Revolution“ nach dem Muster der Ukraine oder Georgiens fand nicht statt. Allerdings hatte der autokratische Präsident Askar Akajew nichts dem Zufall überlassen. So waren die stärksten Oppositionsparteien gar nicht zu den Wahlen zugelassen worden. Prominente Regimegegner saßen im Gefängnis. Die Versammlungsfreiheit war eingeschränkt, Fernsehen und Radio unter die Kontrolle des Präsidenten gebracht und die Oppositionspresse mit Verleumdungsklagen und Strafbefehlen mundtot gemacht worden. Einstiger KP-Funktionärmseit 1990 Staatspräsident Kirgisien – auch Kirgistan genannt, etwa doppelt so groß wie Ungarn – genoß lange den Ruf, das relativ liberalste Land unter den zentralasiatischen Despotien zu sein. Es stilisierte sich zur „Schweiz Mittelasiens“, nicht nur wegen des hohen Tienschan-Gebirges, seiner Weidewirtschaft und des malerischen Issik Kul, eines warmen Hochgebirgssees. Askar Akajewitsch Akajew, ein in Leningrad ausgebildeter Physikprofessor, gab sich – anders als seine apparatschikgeprägten Präsidentenkollegen – als aufgeklärter Herrscher, der von der Notwendigkeit einer Erhard’schen Marktwirtschaft, der Einführung der Demokratie und friedlichen Beziehungen zu den Nachbarn sprach. Das einstige Mitglied im ZK der KPdSU überließ den USA einen Luftwaffenstützpunkt – Kirgisien erhielt dafür zwei Milliarden Dollar an internationalen Hilfsgeldern, 160 Millionen Euro allein aus Deutschland. 1990 war Akajew vom kirgisischen Obersten Sowjet zum Präsidenten gewählt worden. 1995 wurde der heute 60jährige ohne Gegenkandidaten wiedergewählt. 2000 wurden von 14 Kandidaten wegen schlechter kirgisischer Sprachkenntnisse nur die Hälfte zugelassen, der schärfste Wettbewerber Akajews, der Ex-Bürgermeister der Hauptsstadt Bischkek (vormals: Frunse) und Sicherheitsminister Felix Kulow, gar gleich eingesperrt und später wegen Amtsmißbrauchs zu sieben Jahren Haft verurteilt. Die Oppositionsblätter Asaba, Res Publica und Moya Stolitsa wurden mit Beleidigungsprozessen und empfindlichen Geldstrafen überzogen. Fernseh- und Radiosender waren rechtzeitig von Akajews Familie aufgekauft worden. So wurde Akajew trotz gesunkener Popularität, starker Korruptionsvorwürfe gegen seine Umgebung und verheerender Wirtschaftsdaten von 75 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Nach den Wahlen gab er im Lichte der internationalen Kritik öffentlich „Fehler“ zu und versprach, mit der Opposition zusammenzuarbeiten, um die Entwicklungshilfe und den Fremdenverkehr nicht zu gefährden. Dessenungeachtet ließ Akajew den Abgeordneten Azimbek Beknazarow 2002 verhaften und die Polizei auf protestierende Demonstranten schießen. Es gab fünf Tote. Bei den Parlamentswahlen vom Februar 2000 wurden die Parteien seiner schärfsten Konkurrenten, darunter Felix Kulows Ar-Namys („Ehre“), nicht zugelassen. Die oppositionelle KP durfte kandidieren und erhielt 27 Prozent. Die vier Regierungsparteien, die Union der Demokraten, die demokratische Frauenpartei, „Mein Land“, und die Partei der Afghanistanveteranen, erhielten 40 Prozent der Stimmen und eine Mehrheit der 75 Mandate. Die meisten Stimmabgaben erfolgen eher nach Clan-Zugehörigkeit als nach dem politischen Bekenntnis der Kandidaten. Vielvölkerstaat mit starker russischer Minderheit Auch die jetzigen Parlamentswahlen gelten eher als Vorlauf für die Präsidentschaftswahlen im Herbst. Eigentlich ist Akajews Präsidentschaft von der Verfassung auf zwei Wahlperioden begrenzt. Die könnte er wie seine Nachbarn ändern lassen – oder „dynastische“ Nachfolgeregelungen treffen. Seinen Sohn Aidar verheiratete Akajew bereits mit Tochter Aliya von Kasachstans Präsidenten Nursultan Nasarbajew. Seine eigene Tochter Bermet Akajewa führte die Bewegung „Vorwärts Kirgistan“ bei den Parlamentswahlen. Ihre Wahlkreisgegnerin, die frühere Außenministerin Rosa Otunbejewa, wurde prompt disqualifiziert: Sie habe als Botschafterin Kirgisiens in Washington und London die letzten fünf Jahre nicht dauerhaft im Lande gelebt. Mit einem so sorgsam vorbereiteten Wahlsieg gilt Akajewa als aussichtsreichste Nachfolgerin ihres Vaters. Täglich gab es in Bischkek Demonstrationen des Studentenverbandes mit Hunderten Trägern gelber Schals gegen die auch vom US-Botschafter öffentlich befürchteten Wahlfälschungen. 300 unabhängige gesellschaftliche Organisationen und Verbände schlossen sich zum Bündnis für „Freie und faire Wahlen“ zusammen. Akajew warnte vor äußeren Einmischungen und „ukrainischen Verhältnissen“. Er ließ das Versammlungsrecht weiter einschränken und sich vom Fernsehen noch mehr bejubeln. Die 5,1 Millionen Einwohner des Landes – neben den turkotatarischen Kirgisen noch Russen, Tadschiken, Usbeken, Dungan, Ukrainer, Uiguren und Tataren – haben aber kaum Grund zum Jubeln. Seit der Unabhängigkeit 1991 geht die Wirtschaftsleistung Jahr für Jahr um 5,4 Prozent zurück. Als rohstoffarmes Hochgebirgsland kann es nur den Strom aus alten sowjetischen Flußkraftwerken exportieren und im Sommer Wasserlieferungen aus seinen Stauseen gegen Öl- und Gaslieferungen der flußabwärts liegenden Kasachen und Usbeken tauschen. Ein einziges Goldbergwerk in Kumtar stellt 40 Prozent der industriellen Wertschöpfung her. Ansonsten bleibt nur der Kleinhandel mit Billigimporten aus dem benachbarten China und die traditionelle Weidewirtschaft von Schaf-, Ziegen- und Pferdeherden des früher in Jurten lebenden nomadischen Hirtenvolkes. Das Bruttosozialprodukt pro Kopf beträgt kaum 300 Euro jährlich, der Durchschnittslohn unter 20 Euro im Monat, die Renten unter 10 Euro. Das Auslandskapital macht um das verarmte Binnenland einen großen Bogen. Die Gesamtsumme macht nicht mal 60 Millionen Euro aus. Nur die von Öl und Erdgas verwöhnten Kasachen investieren bei ihren verarmten Stammesvettern. Dabei betragen die aufgelaufenen Auslandsschulden die stolze Summe von 1,7 Milliarden Dollar, 50 Prozent mehr als das aktuelle Bruttosozialprodukt. Der Schuldendienst macht mit 87 Millionen Dollar 44 Prozent des laufenden Staatshaushaltes aus – Kirgisien ist so gut wie pleite. Mit allen Nachbarn und den mächtigen Rivalen der neuen Runde des „Großen Spiels“ in Zentralasien versucht Akajew mit seiner „Diplomatie der Seidenstraße“ gut auszukommen. Er ließ US-Truppen ins Land, beteiligte sich aber gleichzeitig an der anti-amerikanischen „Schanghaier Kooperation“, mit der Rußland und China den US-Einfluß einzudämmen suchen. Einem Bonmot zufolge ist die kirgisische Armee multinational: Die Uniformen kommen aus Rußland, die Verpflegung aus China und das Gerät aus den USA. Allen Sponsoren gemeinsam ist die Angst, das zu 75 Prozent islamisch-sunnitische Kirgisien könnte von der islamistischen Untergrundbewegung des nahen usbekischen Fergana-Tals infiziert und unter Ausnutzung der örtlichen Armut und Mißwirtschaft unterwandert werden. Dabei sind die vier Millionen Kirgisen im Gegensatz zu den seßhaften Usbeken und Tadschiken als pragmatisches Hirtenvolk keine fanatischen Muslime. Vor allem in den Städten des Nordens ist die russischsprachige Minderheit noch zahlreich (20 Prozent). Auch etwa noch 20.000 Rußlanddeutsche leben in Kirgisien – Anfang der neunziger Jahre waren es allerdings noch 100.000. Und trotz haushoch gewonnener Wahlen: Politisch sind die Verhältnisse nur noch an der Oberfläche stabil. Foto: Ehepaare Nasarbajew (l.) und Akajew (r.) bei Hochzeit der Kinder: Nur noch an der Oberfläche stabil
- Deutschland