Fünf Jahre lang, vom 1. Oktober 1986 bis zum 1. Oktober 1991, war Dieter Wellershoff Generalinspekteur der Bundeswehr. Vor zwölf Tagen, am 16. Juli, ist er im Alter von 72 Jahren gestorben. Generalinspekteure sind die ranghöchsten Soldaten der Bundeswehr. Sie sind daher wichtig – für die Armee, für den Verteidigungsminister und für die Bundesregierung, deren Beratung in allen militärischen und sicherheitspolitischen Fragen zu ihrem dienstlichen Auftrag gehört. Ihre Bedeutung übertrifft ihren Bekanntheitsgrad in der breiten Öffentlichkeit damit bei weitem. Wenn Generalinspekteure in die Schlagzeilen geraten, steht es gewöhnlich schlecht um sie. Wellershoff geriet nie in die Schlagzeilen, nicht in skandalträchtige. Er versah seinen Dienst kompetent, entschieden und nach außen unauffällig. Gerade deshalb lohnt es, sich seiner zu erinnern. Als er am 1. Oktober 1986 sein Amt von General Altenburg übernahm, ahnte niemand, daß er der letzte Generalinspekteur sein würde, der die Bundeswehr in ihrem alten Umfang, in ihren alten Strukturen und in einem geteilten Deutschland führen würde. Als der Kollaps der DDR über die alte Bundesrepublik hereinbrach, kommentierte er dies, wie sich Ohrenzeugen erinnern, mit der lapidaren Feststellung, „die Wiedervereinigung wirft mir meinen gesamten Bundeswehrplan über den Haufen“. Das war richtig, aber nicht sein Kommentar zur Wiedervereinigung, sondern die Feststellung einer Wiedervereinigungsfolge, die er gern in Kauf nahm. Auf Wellershoff war die Bundeswehr schon vor seiner Ernennung zum Generalinspekteur besonders stolz – aus mehreren Gründen. Mit ihm trat erstmals ein Offizier an die Spitze der Streitkräfte, der die Wehrmacht nicht mehr kennengelernt hatte, sondern ein Eigengewächs der Bundeswehr war. 1933 in Dortmund als Sohn eines Bergbauingenieurs geboren, studiert er nach dem Abitur zunächst Maschinenbau, bevor er 1957 als einer der ersten Freiwilligen in die gerade mit ihrem Aufbau beginnende Marine eintritt. Seine erste Verwendung ist als Wachoffizier auf einem Minensuchboot. Es ist der Beginn einer steilen Karriere. 1967/68 durchläuft er die Admiralstabsausbildung auf der Führungsakademie der Bundeswehr, wird Befehlshaber der Minenräum-Flottille und findet sich bereits 1977 als der für die Rüstungsplanung zuständige Stabsabteilungsleiter im Führungsstab der Marine wieder. Bereits zu diesem Zeitpunkt weiß in der Marine „jeder“, daß er als künftiger Inspekteur „ausgeguckt“ ist. Das wird er 1985. Fast immer ist er der Jüngste: bei der Beförderung zum Kapitän zur See, bei der Beförderung zum Flottillen- und zum Konteradmiral – und so ist es bei seiner Ernennung zum Marineinspekteur und 18 Monate später bei seinem Amtsantritt als Generalinspekteur am 1. Oktober 1986. Da ist er gerade 53 Jahre. Dabei ist er alles andere als alert, dynamisch und durchtrainier. Im Gegenteil. Er hatte schon damals eher barocke Formen, die zu seinem Gestus und zu seinem Auftreten insgesamt paßten. Der Mann ruhte in sich, konnte zuhören und führen. Daß er vom Typus her einem jovialen Zivilisten entsprach, hat ihm den Umgang mit Politikern erleichtert, die mit militärischen Flair Probleme haben. Wellershoff hatte mit ihnen seinerseits kein Problem. Im Gegenteil: Er ging auf die Politiker und die Journalisten zu, weil er wußte, wie wichtig es für die Streitkräfte war, Wohlwollen und Verständnis zu gewinnen. So nutzte er seine Wohnung, die er sich in einem alten Wasserschloß in Flamersheim bei Bonn gemietet hatte, um dort zu den inzwischen berühmt gewordenen „Flamersheimer Gesprächen“ einzuladen, in denen es um die Fragen und Probleme ging, die der Bundeswehr zu schaffen machten. Das war auch damals das Geld, aber ebenso die Bedrohungslage. Die ist heute fast vergessen. Als Wellershoff Generalinspekteur wurde, waren das Wettrüsten und der Versuch der Sowjetunion, mit militärischer Macht Politik zu machen, noch nicht beendet: Das begann erst nach der historischen Begegnung von Präsident Reagan mit Gorbatschow in Reykjavik im Herbst 1987, als sich beide zur doppelten Nullösung durchrangen und damit einen Prozeß einleiteten, der die Wiedervereinigung Deutschlands ermöglichte. Der Weg dorthin war nicht zuletzt für den Generalinspekteur atemberaubend. Wellershoff hatte nicht nur eine völlig neue Heeresstruktur zu verantworten, die auf eine drastische Reduzierung des Heeres – genannt „Heeresstruktur 2000“ – hinauslief, weil die Regierung Kohl die zum Erhalt des Heeres notwendigen Mittel nicht mehr bereitstellen wollte. Zugleich galt es, die Spannungen unter Kontrolle zu halten, die sich in der Nato wie in der Öffentlichkeit aus der doppelten Nullösung – also der Beseitigung aller Mittelstreckenraketen in Europa – ergaben. Erstmals traten sich die Nato-Partner quasi offen als Interessensgegner gegenüber: Die meisten Verbündeten wollten, daß an die Stelle der Mittelstreckenraketen atomare Kurzstreckenraketen treten, die nur Ziele in Deutschland treffen konnten; sie selbst aber aus dem direkten nuklearen Risiko herausnehmen sollte. Auch dieses Problem fiel mit dem Fall der Mauer in sich zusammen. Als Wellershoff sein Amt am 1. Oktober 1991 seinem Nachfolger übergab, war es schon erledigt. Die Bundeswehr hatte die Nationale Volksarmee der DDR bereits aufgelöst und ihren eigenen Zenit überschritten: Von nun an ging’s bergab; finanziell und personell. Aber das war schon nicht mehr sein Problem. Mit ihm endete die Bundeswehr, so wie sie in dreieinhalb Jahrzehnten gewachsen war. Etwas Neues begann, von dem wir auch heute noch nicht wissen, wie es am Ende der nun 15 Jahre dauernden Metamorphose aussehen wird. Karl Feldmeyer war Redakteur und langjähriger Parlamentskorrespondent der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“