Die außereuropäischen Beziehungen der EU waren wegen des kolonialen Erbes der meisten Gründungsmitglieder lange von der Entwicklungspolitik zugunsten Afrikas (sowie der Karibik und einiger Pazifikinseln/AKP) geprägt. So verpaßte die EU die frühzeitige Entwicklung enger kooperativer Beziehungen zu der dynamischsten Wachstumsregion der Welt. Ein strategischer Fehler, der trotz der vor einem Jahrzehnt einsetzenden Korrekturversuche noch nicht gutgemacht werden konnte. Während Afrika durch oft selbstverschuldete Mißwirtschaft, Seuchen und Bürgerkriege weiter zurückfällt, orientieren sich die asiatischen Industrie- und Schwellenländer – in denen die Hälfte der Menschheit lebt – politisch und kulturell fast ausschließlich in Richtung USA. Die Beziehungen der seinerzeitigen EWG-Länder zu Asien waren anfangs nur bilateral – zunächst mit Japan, das mit seiner merkantilistischen Außenwirtschaftspolitik die EG-Märkte in den siebziger und achtziger Jahren mit Motorrädern, Uhren und Kugellagern, später mit Autos und Unterhaltungselektronik überflutete. Der japanische Markt blieb weitgehend geschlossen. Erst unter dem Druck der EU und der USA wurde er geöffnet – als Japan sicher sein konnte, bei den betroffenen Produkten wettbewerbsstark geworden zu sein. Später imitierte Südkorea die gleiche aggressiv protektionistische Exportpolitik. Heute übernimmt die Volksrepublik China mit einem unterbewerteten Yuan, einer Schutzzollpolitik und zahlreichen nichttarifären WTO-widrigen Handelshemmnissen diese Politik, ohne daß sich die EU darüber ernsthaft mokiert (siehe JF 40/03). Ungelöster Konflikt um Handelshemmnisse Die Brüsseler Asien-Politik durchlief etliche Mutationen. Vor allem von seiten Italiens und Frankreichs sowie teilweise Großbritanniens wurde bis in die achtziger Jahre versucht, durch Quoten, „freiwillige“ Exportbeschränkungen der Ostasiaten und als „Antidumpingmaßnahmen“ getarnte Strafzölle die europäischen Märkte bei Textilien, Stahl, Autos, Schiffbau oder Elektronik abzuschotten. Dies verhinderte Deutschland zusammen mit den freihändlerisch gesonnenen Niederlanden und Dänemark. Danach begann ein Jahrzehnt hartnäckiger Bemühungen, in Japan und Korea Sektor um Sektor Marktöffnungen für europäische Exporte durchzusetzen, die jedoch nur sehr verspätet gewährt wurden und am strukturellen Handelsüberschuß mit Europa nichts änderten. Auch die EU-Exportförderung half nicht viel. Trotz dieser asiatischen Handelsschranken, die in Europa Tausende von Industriearbeitsplätzen kosteten, rief die EU-Kommission Mitte der neunziger Jahre den großen Handelsfrieden aus und erwartet seither das Heil im Abschluß der vertagten multilateralen Doha-Runde. Als EU-Kommissionspräsident Romano Prodi sich im Oktober 2003 mit der chinesischen Führung in Peking traf, war von WTO-widrigen chinesischen Importbarrieren und Währungsdumping keine Rede. Es ging Prodi hauptsächlich um eine siebenprozentige Beteiligung der Chinesen an den Entwicklungskosten des EU-Satelliten-Navigationssystems Galileo, das als Konkurrenz zum amerikanischen GPS-System 2008 in Betrieb gehen soll. Zweifellos freut sich Peking – wie beim Transrapid -, so billig an EU-Spitzentechnologie zu kommen. Mit den Ländern Süd- und Südostasiens pflegt die EU hauptsächlich Programme der Entwicklungshilfe. Seit 1976 wurden etwa 13 Milliarden Euro gezahlt: für Straßenbau und der Schutz der Regenwälder, für den Aufbau von Gewerkschaften und die Förderung von Klein- und Mittelbetrieben sowie „Frauenprojekte“, die Abwasserklärung, Biomasseeinsatz und „Dorfentwicklung“. Doch die Wirkung der Hilfe ist umstritten: Staaten wie Südkorea, Taiwan, Singapur oder Malaysia erhielten wenig EU-Hilfen – doch sie kamen wirtschaftlich voran. Die Hauptempfänger Indien, Bangladesh, Papua-Neuguinea, die Philippinen, Pakistan oder Kambodscha bewegten sich kaum. Wie in Afrika mit seiner über Jahrzehnte entwickelten „Kultur der Abhängigkeit“ überlassen viele dieser asiatischen Empfängerländer die Sozial- und Regionalentwicklung den internationalen Gebern und verwenden ihr Steueraufkommen lieber für Rüstung und den gehobenen Eigenbedarf der korrupten Regierungsapparate. Lord Peter Bauer, emeritierter Professor der London School of Economics, brachte dies in seinem Buch „The Development Frontier – Essays in Applied Economics“ auf den Punkt: Entwicklungshilfe sei in letzter Konsequenz nichts anderes als der Transfer der Mittel armer Menschen in reichen Ländern in die Taschen reicher Menschen in armen Ländern. Es werde zu viel Geld an große Bürokratien ausgezahlt, die – gefangen im staatsdirigistischen Denken – nicht in der Lage sind, Wirtschaftsprozesse zu verstehen und Effizienz hervorzubringen. Offizieller Dialogpartner der EU in Ostasien war zunächst die 1967 gegründete Asean – die Vereinigung der Länder Südostasiens. Dieser Kontakt brach ab, als sich die Asean 1997 um die diktatorisch regierten Länder Vietnam, Laos, Kambodscha und Myanmar (Burma) erweiterte. Doch allein Burma war für die EU Stein des Anstoßes – dabei sind die Regime in Hanoi, Vientiane und Phnom Penh kaum weniger korrupt und repressiv (siehe JF 34/03 und 36/03). Als Krönung der EU-Asienpolitik wurden 1996 (als Gegenstück zur US-inspirierten transpazifischen Apec) die informellen „Asien-Europa-Treffen“ (Asem) ins Leben gerufen, wo sich EU-Regierungschefs regelmäßig mit den Amtskollegen der zehn wichtigsten Länder Ost- und Südostasiens treffen. Auf Initiative von Singapurs Premier Goh Chok Tong und dem deutschen Kanzler Helmut Kohl wurde 1996 zusätzlich die für den Kultur-, Wissenschafts- und Jugendaustausch zwischen beiden Kontinenten sehr verdienstvolle Asien-Europa-Stiftung (Asef) geschaffen. Deutsche Politiker sind zu selten in Südostasien aktiv Doch bei den Asem-Treffen sind deutsche Politiker eher rar. Während der Wiener Kanzler und seine Minister regelmäßig teilnehmen, fehlte der Berliner Kanzler als einziger EU-Regierungschef beim Kopenhagener Gipfel 2002. Die deutschen Minister für Wirtschaft, Umwelt und Äußeres glänzten bei den letztjährigen Asem-Treffen durch Abwesenheit. Die EU produziert zwar schöne „Strategiepapiere“ – das nächste ist spätestens im Frühjahr 2005 fällig -, mit denen sich dann die EU-Außenkommissare zu profilieren versuchen. In der Substanz reflektieren sie aber nur die „soft power“ der EU. Bei allen echten Großkonflikten Asiens (Indien/Pakistan, China/Taiwan, Nord- /Südkorea, in der geostrategischen Rivalität von China gegenüber Indien und Japan sowie den US-Versuchen, die stetig wachsende regionale Hegemonialmacht Chinas einzudämmen) ist die EU ohnmächtiger Zuschauer ohne aktiven Gestaltungswillen. Als Instrumente bleiben Handelskonzessionen, Konferenzdiplomatie mit Fototerminen und das Füllhorn der Entwicklungshilfe. Davon sind die Despoten von Burma bis Nordkorea ziemlich unbeeindruckt. Auch die „humanitären“ Einsätze europäischer Truppen, wie etwa der Bundeswehr in Nordafghanistan, sind zur dauerhaften Friedenssicherung ungeeignet. Die Sicherheit Europas und Deutschlands wird in jenen entlegenen Weltgegenden so nicht verteidigt. Wo die EU anfängt, politisch zu agieren – wie die USA gerne mit moralischen Zeigefinger -, da gerät sie rasch in Widersprüche. Die EU akzeptiert mit ihrer „Ein China“-Politik die Drohungen der Pekinger Kommunisten gegenüber Taiwan, der einzigen echten chinesischen Demokratie. Taiwan wird von Peking als illegitime Rebellenprovinz gesehen, deren Bewohner kein Recht auf demokratische Selbstbestimmung haben und die zur Not mit Waffengewalt heim ins Reich gezwungen werden dürfen. Die deutsche Asienpolitik zeichnet sich seit dem Abgang von Kohl – der wie Helmut Schmidt und Jacques Chirac von Asien fasziniert war – durch eine Mischung aus Desinteresse, Ignoranz und Opportunismus aus. Die ostasiatischen Erfolgsgeschichten mit ihrer Betonung konservativer konfuzianischer Tugenden im Bildungs- und Wirtschaftssystem laufen rot-grünen Vorurteilen und Gewißheiten zuwider. Es ist bezeichnend, daß weder Kanzler Gerhard Schröder noch sein Außenminister Joseph Fischer – im Gegensatz zu Schmidt und Kohl -persönliche Beziehungen zu irgendeinem asiatischen Staatschef aufbauen konnten. Schließlich entwickelte sich die deutsche Chinapolitik, die schon seit Wilhelm II. unter einem gewissen Maß an Großmannssucht leidet, unter Schröder endgültig zum Fiasko. China ist leider das einzige Land Asiens, das der Kanzler mit großen Wirtschaftsdelegationen im Schlepptau gern bereist. Schröder lebt in der naiven Hoffnung, von dort eines Tages mit milliardenschweren Großaufträgen für die deutsche Exportwirtschaft zurückzukehren, um in der Heimat endlich als Wirtschaftsheld gefeiert zu werden. Dazu wird es aber nicht kommen. Nicht nur, daß die Chinesen – als beinharte Verhandler – Prototypen deutscher Spitzentechnologie zum Schleuderpreis erwerben. Die in Aussicht gestellten Anschluß-Großaufträge führen sie dann – siehe Transrapid – doch lieber in Eigenregie aus. Doch die Vision des chinesischen Marktes mit seinen 1,4 Milliarden Verbrauchern (von denen die meisten noch zu arm sind, sich ein Fahrrad zu leisten) treibt den Kanzler um. Er verstieg sich bei seiner Reise im Dezember 2003 sogar dazu, den Chinesen den Verkauf hochwertiger Rüstungsgüter und die Aufhebung des EU-Waffenembargos zu versprechen – so als sei China kein aggressiver Hegemon, der in der Tradition der Qing-Kaiser sich wieder willfährige Einflußsphären von Burma bis Nordkorea schafft und seine Territorialansprüche von Nordindien über die Spratly-Inseln bis Taiwan mit Waffengewalt durchzusetzen droht. Eine deutsch-französische Aufrüstung Chinas würde – wie der übergangene grüne Koalitionspartner mit Entsetzen feststellte – in der Tat den Weltfrieden gefährden. Dem Kanzler scheint auch entgangen zu sein, daß das aktuelle chinesische Wirtschaftswunder auf tönernen Füßen ruht. Der gesamte Aufschwung der Küstenregion von Hongkong bis Schanghai wird ausschließlich von fremdfinanzierten Auslandsinvestitionen geschaffen, von denen die meisten erst noch Gewinne machen müssen. In China sind die großen Staatskonzerne und Banken ebenso konkursreif wie seinerzeit im Ostblock. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann die überhitzte China-Spekulation ebenso platzt wie die Japan-Blase von 1992, die „Tiger-Staaten“-Blase von 1997/98 und die „New Economy“-Blase von 2000. Fotos: Straße in Hanoi: Geld für Rüstung und den gehobenen Eigenbedarf der korrupten Regierungsapparate / Außenhandel: Asien muß stärker ins Blickfeld der Wirtschaftspolitik