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ESN-Fraktion, Europa der souveränen Nationen

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Der Europäische Rat – die Staatsund Regierungschefs der 25 EU-Mitgliedstaaten – hat am 18. Juni einen „Vertrag über eine Verfassung für Europa“ verabschiedet. Dieser kann nach Ratifizierung durch die Parlamente der Mitgliedstaaten – in einigen Ländern erst nach einer Volksabstimmung – etwa 2007 in Kraft treten. Er soll dann den Vertrag über die Europäische Union (EU) von 1992 und den Vertrag über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (jetzt EG) von 1957 ersetzen. Die Bezeichnung „Verfassung für Europa“ ist ein bewußter Etikettenschwindel zur Förderung der Wunschvorstellungen einiger Politiker; denn eine Verfassung haben nur Staaten. Europa ist aber kein Staat mit einem Staatsvolk und umfassender Zuständigkeit, sondern eine Kooperation weiterhin selbständiger Staaten, die aufgrund verschiedener Verträge nur in bestimmten Bereichen mit unterschiedlicher Intensität und in unterschiedlicher Rechtsform zusammenarbeiten. Diese „Verfassung“ geht auch über den üblichen Inhalt einer Verfassung – Grundrechte, Bestimmungen über Art, Wahl und Befugnisse der Organe, über die drei staatlichen Gewalten Gesetzgebung, Exekutive und Rechtsprechung und das Verhältnis zwischen Zentralgewalt und Regionalgewalten – weit hinaus; denn sie ist eine Zusammenfassung des EU-Vertrages und des EWG-Vertrages und regelt daher nicht nur die zweckmäßig und üblich in einer Verfassung zu regelnden Bereiche, sondern auch bis in Einzelheiten gehende Bestimmungen für alle Tätigkeitsbereiche der EU. Sie enthält daher 465 (!) Artikel mit meist drei bis vier Absätzen. Diese Verfassung ist nicht nur in großen Teilen überflüssig, sondern für das Ziel des EU-Vertrages „einer immer engeren Union der Völker Europas“ in hohem Maße schädlich. Allein wegen ihres Umfangs, vom Inhalt einmal abgesehen, verfehlt sie die Aufgabe einer Verfassung, daß die Bürger sie verstehen und sich mit ihren Werten und ihrer Ordnung identifizieren können und daß sie so beiträgt zum Empfinden der Zugehörigkeit zu diesem Staat. Es wäre ausreichend gewesen, statt einer Neufassung des EU-Vertrages und EG-Vertrages die in diesen Verträgen nicht oder nur unbefriedigend geregelten Fragen durch eine Änderung und Ergänzung dieser Verträge zu regeln. Die vollständige Neufassung hat nicht nur den großen Nachteil, daß dadurch Verweisung und Rückgriff auf Gesetzgebung, Rechtsprechung und Schrifttum von 40 Jahren in hohem Maße erschwert werden, sondern daß durch Änderung des Wortlauts inhaltlich übernommener Bestimmungen vermeidbare Rechtsfragen entstehen. Das Pathos der langen Präambel wird am Empfinden sehr vieler Menschen vorbeigehen. Viele Menschen werden auch eine Bezugnahme wenn schon nicht auf Gott, dann wenigstens ausdrücklich auf die Werte des Christentums vermissen, das Europa geprägt hat. In wortreicher Politikersprache werden die Werte und Ziele der Union in fünf langen Absätzen umfassend beschrieben, beispielsweise: „Sie bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes“. Leider ist nur „soziale Gerechtigkeit“ ein Begriff, in den jeder Mensch seine eigenen Wertvorstellungen hineindenken kann. Die bisherigen Ziele hohes Beschäftigungsniveau, hohes Maß an sozialem Schutz und der Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb werden ersetzt durch die Ziele „eine in hohem Masse wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“; ein Ansatz für eine grundlegend andere Wirtschafts- und Währungspolitik. Nichtberechtigte Erwartungen und unerfüllbare Ansprüche Im Bestreben der Verfassung, jedem Bürger etwas zu bieten, ist auch der Sport zwar drin, aber nur im Teil Politikbereiche „Die Union trägt in Anbetracht der sozialen und pädagogischen Funktion des Sports zur Förderung seiner europäischen Aspekte bei“. Als Teil der Verfassung ist jetzt die Charta der Grundrechte, die Rat, Kommission und Europäisches Parlament auf der Konferenz von Nizza im Dezember 2000 als feierliche Proklamation ohne Gesetzeskraft verkündet haben, als verbindlicher Grundrechtskatalog in die Verfassung aufgenommen worden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs waren aber bereits von Anfang an Grundrechte der Bürger, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und aus der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte ergeben, Teil des Gemeinschaftsrechts. Ein Grundrechtskatalog war daher aus Rechtsgründen nicht erforderlich, aber zur Information der Bürger über ihre Grundrechte und Akzeptanz der Verfassung zweckmäßig. Er gilt für die Organe und anderen Einrichtungen der Union sowie für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union, also nicht für die Mitgliedstaaten bei Tätigkeit aufgrund nationalen Rechts. Leider hat die Verfassung sich nicht auf den Schutz der Rechte der Bürger vor Akten der Organe einer Gemeinschaft mit nur begrenzter Zuständigkeit beschränkt, sondern ist durch die vollständige Übernahme der Charta der Grundrechte von Nizza über diese Aufgabe weit hinausgegangen. Dabei wurde der entscheidende Unterschied zwischen der Grundrechtscharta von Nizza und der Aufnahme dieser Charta in die Verfassung nicht beachtet. Bei ihrer feierlichen Proklamation einer Charta der Grundrechte in Nizza hatten die Organe der EU unbeschränkte Freiheit bei der Aufnahme von Rechten, Pflichten und Wünschen ohne Rücksicht auf die Realität. Durch ihre Aufnahme in die Verfassung wird die am 1. Februar 2003 in Kraft getretene Charta von Nizza verbindliches Gemeinschaftsrecht, das die Organe der EU bei ihrer gesamten Tätigkeit und die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrecht zu beachten haben. Dieser Fehler hat sehr erhebliche Folgen. Die mit 54 Artikeln viel zu umfangreiche Charta der Grundrechte enthält vielfach allgemeine Menschenrechte, deren Beeinträchtigung durch die EU kaum zu befürchten ist wie „Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, körperliche und geistige Unversehrtheit“; Verbote wie Verbot der Sklaverei und des Menschenhandels und Grundrechte wie das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, an deren Notwendigkeit man mit Recht zweifeln darf; keine Grundrechte der Bürger, sondern Leitlinien für die Gemeinschaftspolitik wie hohes Niveau für Umweltschutz und Verbraucherschutz; Grundrechte, für deren Bereich die EU keine oder nur eine marginale Zuständigkeit hat wie Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit; wohlklingende, aber in ihrer Rechtswirkung unklare Rechte von Kindern („Sie können ihre Meinung frei äußern“), von älteren Menschen („Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben und auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben“) und von Behinderten. Viele Bestimmungen sind so unklar, daß sie zu nichtberechtigten Erwartungen und nichterfüllbaren Ansprüchen der Bürger Anlaß geben und zu Rechtsstreitigkeiten bei ihrer Anwendung führen werden. Die Zuständigkeit der EU ist seit 1958 vielfach erweitert worden, zuletzt durch den Vertrag von Nizza. Durch die Verfassung wird der Bereich der Zuständigkeit der EU nicht erweitert, wohl aber durch Änderung der für Rechtsakte erforderlichen Mehrheit die Möglichkeit, von dieser Zuständigkeit Gebrauch zu machen. Der EG-Vertrag und jetzt die Verfassung enthalten zwar das sogenannte Subsidiaritätsprinzip, das heißt die Union wird in Bereichen, die nicht unter ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten nicht besser erreicht werden können, sondern wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Unionsebene. Das Subsidiaritätsprinzip hat aber bisher leider die EU nicht daran gehindert, durch Gemeinschaftsrecht nicht selten auch Bereiche zu regeln, deren Regelung man ohne Nachteil für die Ziele der Gemeinschaft hätte den Mitgliedstaaten überlassen können, zum Beispiel die artgerechte Haltung von Zootieren oder die Qualität der Badegewässer mit mehreren Vertragsverletzungsverfahren im Jahr gegen Mitgliedstaaten. Der tatsächlich wichtigste Teil des Vertrages über die Verfassung ist eine Anpassung der Bestimmungen über die Organe der Gemeinschaft und des Entscheidungsverfahrens an die Erweiterung der EU von 15 auf 25 Mitgliedstaaten, durch Bulgarien und eventuell Rumänien sowie Kroatien bald auf 28 Mitgliedstaaten. Diese Anpassung wurde nach Ansicht der Politiker, die eine stärkere Integration Europas anstreben, im Vertrag von Nizza nicht befriedigend erreicht. Eine Einigung über diese Fragen gelang erst nach heftigem Streit und erbittertem Feilschen der Mitgliedstaaten um Einfluß auf die Entscheidungen. Diese Verhandlungen zeigen ebenso wie die geringe Wahlbeteiligung bei der Wahl zum Europäischen Parlament und die Wahlentscheidungen der Bürger ganz überwiegend aus Gründen der Innenpolitik sehr deutlich das geringe Empfinden einer europäischen Identität und das Übergewicht nationaler Interessen. Deutschland ist in Gefahr, überstimmt zu werden Die EU besteht jetzt anders als zu Beginn aus einer sehr großen Zahl von Mitgliedstaaten, die sich nach Bevölkerungszahl, Infrastruktur, politischer Tradition und Erfahrung, Effizienz der Verwaltung und dadurch bedingt in ihren Interessen sehr stark unterscheiden. Erst in der Zukunft wird sich zeigen, ob die so erweiterte EU funktionsfähig ist und ob die Bürger der Mitgliedstaaten die Entscheidungen der EU akzeptieren. Die sehr kleinen Mitgliedstaaten, wie Malta oder Zypern mit 0,4 bzw. 0,9 Millionen Bevölkerung sind im Rat, der Kommission, dem Gerichtshof, dem Gericht Erster Instanz und dem Rat der Europäischen Zentralbank mit je einem Vertreter ebenso vertreten wie Deutschland mit 82,6 Millionen. Nur im Rat ist ihr Stimmgewicht geringer, weil zusätzlich zur Mehrheit der Mitglieder des Organs noch 65 Prozent der vertretenen Bevölkerung erforderlich sind. Auch im Europäischen Parlament stehen den kleinen und mittleren Mitgliedstaaten mehr Sitze, den großen Mitgliedstaaten weniger Sitze zu als gemäß ihrer Bevölkerung. Anderenfalls wären diese Staaten aus Sorge vor einem Übergewicht der großen Mitgliedstaaten nicht bereit gewesen, der EU beizutreten. Im Interesse der Handlungsfähigkeit der EU sind jetzt überwiegend nicht mehr einstimmige, sondern Mehrheitsentscheidungen im Rat vorgesehen. Damit besteht für Deutschland die Gefahr, bei Mehrheitsentscheidungen überstimmt zu werden, unter anderem in so kritischen Bereichen wie Haushalt der EG, Asyl und Einwanderung, Wirtschaftsförderung bestimmter Regionen. Bereits bei Abschluß des EWG-Vertrages 1957 hatten die Politiker unterschiedliche Vorstellungen über die künftige Entwicklung der europäischen Integration. Insbesondere deutsche Politiker sahen als Ziel die Vereinigten Staaten von Europa an, einen Bundesstaat, in dem die Nationalstaaten als Teile ohne eigene Identität aufgehen und die Bürger sich nicht mehr als Deutsche, Franzosen etc., sondern nur noch als Europäer fühlen sollten. Statt Europa der Vaterländer ein Vaterland Europa Die Politiker der anderen damals fünf Mitgliedstaaten wollten dagegen nur eine Wirtschaftsgemeinschaft weiterhin selbständiger Staaten mit klarer eigener Identität. Charles de Gaulles damaliger Premierminister Michel Debré hat diesen Unterschied im Ziel einer europäischen Integration 1959 prägnant formuliert: Frankreich wolle kein Vaterland Europa, sondern ein „Europa der Vaterländer“. Inzwischen sind durch mehrfache Änderungen des ursprünglichen EWG-Vertrages und insbesondere durch die Währungsunion erhebliche Schritte in Richtung eines „Vaterlandes Europa“ gemacht worden, zuletzt durch den beabsichtigten Vertrag über eine Verfassung für Europa. Eine Entscheidung über das endgültige Ziel der europäischen Integration wurde aber bisher nicht getroffen, sondern man hat diese Frage offen gelassen, wohl um eine Einigung über die jeweils anstehenden Vertragsänderungen nicht noch mehr zu erschweren. Eine entsprechende Information der Bevölkerung und erst recht eine breite Diskussion aufgrund einer solchen Information in der Öffentlichkeit ist bisher unterblieben, weil man offenbar die Skepsis der Bevölkerung befürchtete. In Deutschland sind wesentliche Entscheidungen wie die Einführung des Euro und die EU-Osterweiterung faktisch ohne ausreichende Information der Öffentlichkeit und gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung vom Bundestag und Bundesrat beschlossen worden. Dasselbe soll jetzt mit dem Vertrag über die Verfassung geschehen. In einer Anzahl Mitgliedstaaten, darunter Großbritannien und Frankreich, sind dagegen Volksabstimmungen beabsichtigt. Sollte die Verfassung deshalb wegen der notwendigen Einstimmigkeit scheitern, wäre das für die europäische Integration kein schwerer Nachteil. Die Grundrechte der Bürger werden bereits jetzt durch das Gemeinschaftsrecht geschützt. Falls man zur Anpassung an die Erweiterung der EG über den Vertrag von Nizza hinausgehende weitere Änderungen für notwendig hält, könnte dies durch eine Änderung der gegenwärtigen Verträge über die EU und EG geschehen. Prof. Dr. Folkmar Koenigs lehrte Handels- und Wirtschaftsrecht an der Technischen Universität Berlin. Er befaßte sich auch speziell mit den Entwicklungen des Europarechts. Foto: EU-Regierungskonferenz am 17. Juni in Brüssel: Durch Änderungen des EWG-Vertrages und die Währungsunion sind Schritte in Richtung eines „Vaterlandes Europa“ gemacht worden

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